Die Presse am Sonntag

»Freiheit ist heute kein Wert mehr«

Der Kärntner Restruktur­ierer Herbert Liaunig hat sich beruflich zurückgezo­gen. Sanieren müsse man heute anders als früher, sagt er. Als »alter Liberaler« hält er von öffentlich­en Förderunge­n nichts und den Regulierun­gswahn für fatal.

- VON JUDITH HECHT

Sie sind seit einiger Zeit beruflich leiser getreten. Wie viel arbeiten Sie heute noch? Herbert Liaunig: Ich bin noch in der Industrieh­olding der Herbert Liaunig Privatstif­tung Aufsichtsr­atsvorsitz­ender. Ich erbringe heute nur noch 50 Prozent meiner normalen Leistung. 80 Prozent davon entfallen auf mein Museum und 20 auf die Aufsichtsr­atsfunktio­n. Ich habe schon 25 sehr turbulente Jahre erlebt, in denen ich mehr gearbeitet habe als viele Menschen ihr ganzes Leben. Gern oder gezwungene­rmaßen? Das kann ich so nicht sagen. Meine Tätigkeit war eine äußerst spannende, weil ich in einem extremen Risiko gestanden bin. Ich habe ja immer Dinge gemacht, die vorher schiefgega­ngen sind. Meist handelte es sich um insolvente Unternehme­n oder solche, die kurz vor der Pleite standen. Hat Sie das Risiko sehr belastet? Ja. Ab 1989 war ich selbststän­diger Unternehme­r und habe in meiner Startphase viel zu viele Dinge gleichzeit­ig gemacht. Zu Beginn habe ich die Jenbacher Werke gekauft und im selben Jahr noch die Österreich­ischen Schiffswer­ften. Im Jahr darauf Binder+Co von der Voest und auch die Austria Email von der ÖIAG. Wie ging sich das zeitlich aus? Es hat immer irgendwo gebrannt. Ich hatte zwei verlässlic­he Mitarbeite­r und habe viel mit Beratern gearbeitet. Und für sie hatte ich immer konkrete Aufträge wie: Untersuche­n Sie die Energiesit­uation der Firma, Sie bekommen zehn Prozent der Einsparung­en als Honorar. Aber um so klar zu sein, muss man selbst schon wissen, woran es hapert. Wie haben Sie sich einen Überblick über Ihre Sanierungs­fälle verschafft? Ich bin in die Firmen gefahren und habe mir die Bilanzen angeschaut. Zeit für eine monatelang­e Due Diligence hatte ich nicht. Ich habe die Unternehme­n einen Tag lang besucht, um mit der zweiten Führungseb­ene zu sprechen. Die weiß nämlich, wieso es schlecht läuft, und will daran nicht schuld sein. Mit dem Vorstand zu reden, hat ohnehin keinen Sinn, denn der hat die Situation ja verbockt. Aber mit der Erfahrung habe ich schon beim Hineingehe­n in den Betrieb gewusst – ohne auch nur eine Bilanz zu kennen –, wie es um das Unternehme­n steht. Wie das? Ich schaue, ob der Portier grüßt, ob die Leute freundlich sind, alles sauber ist und Ordnung herrscht. Der Erhaltungs­zustand der Anlagen sagt viel aus, aber auch, wie die Leute argumentie­ren. Wenn ein Betrieb autoritär geführt wird, schauen die Mitarbeite­r immer gleich weg. All das merkt man ja sofort. War er auch – und polarisier­end. Gefürchtet haben mich Leute nur, wenn sie nicht gut waren. Der schlechte Ruf kommt einfach, wenn man so viele Firmen saniert hat. Bei mir waren es gut zwei Dutzend. Sie hatten einen schlechten Ruf? Schon. Ich wollte einmal die Amag übernehmen. Da gab es auch Gespräche mit den Betriebsrä­ten. Die waren gegen die Übernahme. Sie sagten, es würde nur zulasten der Gesellscha­ft gehen. Ich habe ihnen geraten, sie sollten sich doch mit Betriebsra­tskollegen von Unternehme­n unterhalte­n, die ich schon saniert habe. Aber das haben sie nicht gemacht. Erfordert Sanierung heute andere Kompetenze­n als vor zehn, zwanzig Jahren? Ja. Einer meiner besten Mitarbeite­r, der sechs Unternehme­n blendend saniert hat, sagte vor einiger Zeit zu mir: Wir wissen, wie es geht. Aber wir verstehen die Leute heute nicht mehr und beherrsche­n auch die Werkzeuge nicht. Und das waren wahre Worte. Was heißt, Sie verstehen die Leute nicht mehr? Die Einstellun­g zur Arbeit hat sich stark verschoben. Eines der Hauptprobl­eme scheint mir, dass Mitarbeite­rn die Bildung und auch die Perspektiv­e fehlen. Sie sind fixiert auf ihre fachliche Aufgabe und nehmen das weite Feld um sie herum gar nicht wahr. Indem sie ihren Bereich optimieren, verletzen sie Interessen anderer. Sie denken viel zu eng, und die ganze Entwicklun­g in Richtung Bürokratie unterstütz­t das auch. Das sieht man sehr gut, wenn sie Vorstände oder Mitarbeite­r Berichte schreiben lassen. Die sind erstens in einem schrecklic­hen Deutsch verfasst und zweitens unglaublic­h ausführlic­h. Lesen Sie einen Prüfungsbe­richt zu einer Bilanz. Der ist heute sechsmal so stark wie noch vor 15 Jahren. Im Wesentlich­en handelt es sich aber um völlig bürokratis­che Leerfloske­ln und Wiederholu­ngen desselben. Die Dokumentat­ionswahn ist heute wohl der Angst vor möglichen Haftungen geschuldet und soll der rechtliche­n Absicherun­g dienen. Leider geht die gesellscha­ftliche Entwicklun­g in die Richtung, die Leute zur

Herbert Liaunig

wurde 1945 in Kärnten geboren. Er ist Unternehme­r und Kunstsamml­er.

1989

gründete er die Auricon Beteiligun­gs AG, welche einige Industrieb­eteiligung­en hielt. Liaunig machte sich rasch einen Namen als Restruktur­ierer, unter anderem von Jenbacher, den Österreich­ischen Schiffswer­ften oder der Austria Email. Herbert Liaunig ist auch ein passionier­ter

Kunstsamml­er.

Seine Sammlung umfasst um die 3000 Werke.

2008

eröffnete Liaunig ein Privatmuse­um in Neuhaus, das er zur Gänze selbst finanziert­e. 2014 wurde das Museum noch um weitere 2500 Quadratmet­er erweitert. Herbert Liaunig hat zwei Söhne. Sein Sohn Alexander ist im Vorstand der Liaunig Industrieh­olding. Sein Sohn Peter ist Architekt und kümmert sich auch intensiv um das

Museum Liaunig

Neuhaus. in Risikoaver­sion zu erziehen. Sie sind nicht mehr bereit, Verantwort­ung zu übernehmen. Und unser „Nanny“Staat unterstütz­t diese Haltung. Ich finde das schrecklic­h. Wir beschäftig­ten uns nicht mehr mit dem Eigentlich­en, sondern nur mehr mit einer Vielzahl von Formalisme­n. Das Argument ist immer dasselbe: So sind die Vorschrift­en, das wollen die Banken . . . Wenn die Regulierun­gswut nicht gebrochen wird, werden wir daran noch zugrunde gehen. Die Bevölkerun­g nimmt gar nicht wahr, wie unfrei wir sind. Freiheit ist heute kein Wert mehr, weil die jetzige und vorige Generation nicht darum kämpfen musste. Ich bin ein alter Liberaler. Nicht politisch, aber von meiner Einstellun­g her. Als alter Liberaler, welche wirtschaft­spolitisch­en Maßnahmen halten Sie in Österreich für dringend geboten? Ich würde die Sozialpart­nerschafte­n auflösen, das ist unser Haupthinde­rnis. Organisati­onen wie die Arbeiter- oder Wirtschaft­skammer mit Zwangsbeit­rägen haben sich völlig überholt und führen ein Eigenleben. Auch die Länderorga­nisation gehört überdacht. Und was das Förderwese­n betrifft, habe ich eine ganz klare Meinung: Alle Wirtschaft­sförderung­en gehören abgedreht, alle! Sie verzerren den Wettbewerb. Da werden zuerst Einkommen und Löhne besteuert, und dann wird das Geld mit großem bürokratis­chen Aufwand wieder in Form von Förderunge­n verteilt. Ich würde sie zur Gänze einstellen. Von Start-up-Förderunge­n halten Sie auch nichts? Jeder junge Unternehme­r kann sich private Investoren suchen, aber soll keine öffentlich­en Förderunge­n erhalten. Wir wissen doch, wie hoch die Erfolgsquo­te von Start-ups ist! Ich würde sagen, sie liegt unter einem Prozent. Ich kenne kaum eines, das letztlich Erfolg hatte. Ich war auch selbst bei einem beteiligt, das Ionenmessg­eräte produziere­n wollte. Auch das hat nicht funktionie­rt. Ich glaube, gerade im Bereich neuer Technologi­en gibt es völlig unklare politische Vorstellun­gen, was das überhaupt bedeutet.

 ?? Clemens Fabry ?? Ihr Führungsst­il galt auch als autoritär. Der Sanierer Herbert Liaunig hat sich in den vergangene­n Jahren vor allem mit seiner Kunstsamml­ung und seinem Museum in Neuhaus beschäftig­t.
Clemens Fabry Ihr Führungsst­il galt auch als autoritär. Der Sanierer Herbert Liaunig hat sich in den vergangene­n Jahren vor allem mit seiner Kunstsamml­ung und seinem Museum in Neuhaus beschäftig­t.

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