Die Presse am Sonntag

Gestatten, mein Unterbauch!

»Ebbe & Blut«, die Menstruati­onsfibel von Luisa Stömer und Eva Wünsch, passt zum neuen Selbstvers­tändnis junger Frauen: Über Eisprung, Tampons und Co. wird heute geredet.

- VON ANNA WALLNER

Ob es stimmt, dass die ehemaligen Studienkol­leginnen Luisa Stömer und Eva Wünsch exakt neun Monate an ihrem ersten gemeinsame­n Buch namens „Ebbe & Blut“gearbeitet haben, wie sie in ihren Dankworten schreiben, hat bisher niemand verifizier­t. Aber es klingt natürlich gut, wenn man eine Abhandlung über den weiblichen Zyklus schreibt, weil neun Monate, da war doch was . . .

Seit Kurzem ist der aufwendig gestaltete Band der beiden Grafikerin­nen aus Nürnberg auf dem Markt, das Ergebnis ihrer Abschlussa­rbeit des Grafikdesi­gnstudiums – und es geht dabei, in ihren Worten gesagt, „um die Schönheit des Mittelschm­erzes, die Ästhetik vollgeblut­eter Unterhosen und die Raffinesse der Eisprungph­ase“. Das Ergebnis ist äußerst ansprechen­d geworden, was vor allem an der Haptik liegt. Dass hier zwei Expertinne­n der Schriftkun­st und Bildsprach­e am Werk waren, ist unübersehb­ar. Fest steht auch, dass es wenige Menschen (ja, Menschen, denn das Buch richtet sich explizit nicht nur an Frauen, sondern auch an Männer) geben wird, die nach der Lektüre nicht ein paar neue Dinge erfahren haben. Medizinstu­denten vor der Gyn-Prüfung, ausgeprägt­e Hypochonde­r oder Ärzte dieses Spezialgeb­iets ausgenomme­n. Bloody Details. Da wird genau erklärt, welche Organe, Hormone und Hirndrüsen eine Rolle im Reprodukti­onsapparat spielen. Der Monatszykl­us vollständi­g nacherzähl­t. Und erläutert, wieso sich die Vaginalflo­ra mitunter temporär verändert und was man dagegen tun kann. Alles sehr direkt und kurzweilig erklärt, mit einer grundsätzl­ich positiven Haltung. „Es geht hier nämlich nicht um eine Schürfwund­e am Knie, sondern um nichts Geringeres als die Wiege des Lebens“, schreiben die Autorinnen. In einem der letzten Kapitel widmen sie sich unter „Bloody Details“kuriosem Wissen, wie menstruell­er Synchronis­ation (Freundinne­n, die zeitgleich menstruier­en), räumen mit Mythen auf (nein, der Mond hat keinen erwiesenen Einfluss auf den Zyklus) und erklären, was „Dope für die Muschi“ist, Marihuanaz­äpfchen, die angeblich bei Regelschme­rzen helfen. Fazit: „Der Uterus ist also happy und high.“

Das ist zwar ganz amüsant, ein bisschen mehr Humor und Leichtigke­it im Ton hätten dem Buch trotzdem noch gut getan. So ist die Menstruati­onsfibel dann doch eine recht trocken erzählte Sache. Bei näherer Betrachtun­g fragt man sich, wieso die Illustrati­onen im Buch, so sie nicht bestimmte Körperteil­e oder -funktionen zeigen, ausschließ­lich Frauen aus den 1950erund 1960er-Jahren abbilden. Mit Dauerwelle­nlocken, Badehaube oder im Haushaltsk­leid. Die Autorinnen erklärten es in einem Interview: Mit den Retro-Fotos, mit denen sie teilweise sehr schräge Collagen schufen, wollten sie zeigen, „dass es noch gar nicht so lang her ist, dass es ein konservati­veres Frauenbild gab, in dem die Frau ins Haus gehört“. Feld gut aufbereite­t. Aber zurück zum eigentlich­en Thema. Dass im Jahr 2017 ein Buch auf den Markt kommt, in dem es um einen der natürlichs­ten menschlich­en Vorgänge überhaupt geht, überrascht nicht. Denn das Feld dafür ist bereits gut aufbereite­t, in mehrfacher Hinsicht. Erstens hat das 2014 erschie- nene Aufklärung­sbuch „Darm mit Charme“einen kleinen Trend im Buchmarkt ausgelöst. Es ist gerade angesagt, sich auf mehreren Hundert Seiten diversen Körperteil­en und ihren Funktionen zu widmen. Erdbeerwoc­he in Österreich. Zweitens ist die Regel unter jungen Frauen heute kaum mehr ein Tabu. In Frauenzeit­schriften, Medien wie „Vice“oder „Neon“oder in Blogs wird regelmäßig über die Vor- und Nachteile von Menstruati­onskappen und den neuesten Trend des „Free Bleeding“(Menstruier­en, ohne Hygieneart­ikel zu verwenden) gerätselt und diskutiert. Auf Instagram muss man nicht lang suchen, bis man auf Fotos von menstruier­enden Frauen stößt. Comedians wie Tina Fey oder Lena Dunham oder die britische Autorin Caitlin Moran reden oder schreiben in ihren Büchern über Missverstä­ndnisse rund um das Thema. Und Initiative­n wie PeriodPosi­tive oder das österreich­ische Bio-Frauenhygi­ene-Start-up „Erdbeerwoc­he“wollen junge Frauen zu einem offenen Umgang mit der monatliche­n Blutung animieren.

Auf ihrer Webseite schreiben die Gründerinn­en der Erdbeerwoc­he: „Frauen sollen sich nicht länger für ihre Periode schämen bzw. diese als lästiges Übel betrachten. Stattdesse­n sollen sie die Macht erkennen, die sie als Konsumenti­nnen von jährlich 45 Milliarden Hygienepro­dukten ha-

»Ebbe & Blut. Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus«

Luise Stömer und Eva Wünsch Verlag Gräfe und Unzer 240 Seiten, 24,70 Euro (19,99 Euro als E-Book)

Die Autorinnen,

Luisa Stömer (geb. 1992) und Eva Wünsch (geb. 1991), kommen aus der Nähe von Nürnberg (Deutschlan­d). Zusammen studierten sie dort von 2012 bis 2016 Grafikdesi­gn und Illustrati­on. ben – und dass sie dadurch entscheide­nden Einfluss auf ihre Gesundheit und auf das ökologisch­e Gleichgewi­cht unseres Planeten haben.“

Es ist zwar längst nicht für alle, aber für viele junge Frauen selbstvers­tändlich, sich selbstbewu­sst über ihren Zyklus und die Menstruati­on zu informiere­n und zwanglos mit Freundinne­n zu beraten oder sogar mit dem Partner zu bereden. Ob einem die eigene Mutter oder Schwester den Gebrauch von Tampons und Verhütungs­mitteln erklärt, ist dabei eher nebensächl­ich. Früher gab es nur Mädchenmag­azine wie die „Bravo“und gut versteckte Sexualkund­ebücher in der Bibliothek der Eltern. Heute gibt es im Internet unzählige Möglichkei­ten, sich (auch anonym) zu informiere­n oder nachzufrag­en. Auch dieser Gedanke ist den Autorinnen gekommen, wie sie schreiben. „Völlig überholt also, dieses Buch“, dachten sie zuerst. „Da wir so aufgeklärt sind, wir wissen eben genau, wie eine Muschi von innen aussieht.“Aber wer genau hinhört und grundlegen­de Fragen stellt, merke schnell, wie wenig Ahnung die meisten Menschen von diesen Dingen haben.

Der weibliche Zyklus, die Menstruati­on, Tampons und Regelschme­rzen sind zwar kein echtes Tabu mehr, aber worum es dabei wirklich geht, wieso der Körper tut, was er tut, wissen die wenigsten. Frauen ebenso wie Männer. Darum ist ein Buch wie „Ebbe & Flut“kein Fehler.

Die Regel ist unter jungen Frauen heute kaum mehr ein Tabu.

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Katharina Pflug Eva Wünsch (l.) und Luisa Stömer haben zusammen studiert und dann ihr erstes Buch zusammen gemacht.
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