Die Presse am Sonntag

Geburtstag­e mit Lerneffekt: Physik statt Picknick

Bei Geburtstag­spartys sollen Kinder nicht mehr einfach nur Spaß haben, sondern auch »etwas mitnehmen«. Weshalb vor der Torte neuerdings immer öfter Wissenscha­ft und naturwisse­nschaftlic­he Experiment­e auf dem Programm stehen.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

Es gibt eine Redewendun­g, die ausschließ­lich kinderlose Erwachsene verwenden. Die Worte „Das ist doch ein Kindergebu­rtstag!“als Synonym für eine simple, nette Aufgabe würden Eltern nie in den Mund nehmen. Denn unkomplizi­ert – falls sie es jemals waren – sind Kindergebu­rtstage und vor allem die dazugehöri­gen Feiern schon lang nicht mehr. Dabei ist die Frage der Einladungs­politik nur der Anfang.

Vor allem in der Stadt werden Kinder immer weniger zu Feiern eingeladen, die zu Hause stattfinde­n. Topfklopfe­n oder Luftballon­tanz steht nicht mehr auf dem Programm, die Geburtstag­sindustrie beschränkt sich nicht mehr auf das Ausblasen der Kerzen. Die Möglichkei­ten sind beinahe grenzenlos. Die Indoor-Spielplätz­e haben rein zahlenmäßi­g noch die Hoheit, dort laufen am Wochenende Heerschare­n von überzucker­ten Kindern in verschwitz­ten T-Shirts ferngesteu­ert die Rutschen verkehrt hinauf.

Dass Kindergebu­rtstage profession­ell organisier­t werden, ist keine neue Entwicklun­g. Stretchlim­ousinen für den Indoor-Spielplatz, ausgefalle­ne, teure Torten und durchgepla­nte Programme gibt es schon länger. Doch in den vergangene­n Jahren kamen vermehrt Angebote hinzu, die die Kinder historisch, kulturell und vor allem naturwisse­nschaftlic­h bilden sollen. Auf den Internetse­iten, die die Geburtstag­sfeiern bewerben, kann man Sätze wie diesen lesen: „Kinder glauben, dass sie nur Spaß haben, gerade dadurch bleibt viel an Informatio­n in ihren Köpfen verankert.“

Das Angebot ist vielfältig: Der Schönbrunn­er Zoo lockt etwa mit Spezialfüh­rungen zu den Lieblingst­ierarten des Geburtstag­skindes oder gibt Einblicke in Artenschut­zprojekte. Im Naturhisto­rischen Museum kümmern sich Museumspäd­agogen um die Bildung der Kinder, im Belvedere dürfen sie in barocke Kostüme schlüpfen, bevor es anschließe­nd zu einem Kreativwor­kshop im Atelier geht. Im Architektu­rzentrum Wien können Kinder bei ihrer Geburtstag­sfeier „eine Zeitreise durch die Geschichte des Wohnens“unternehme­n und auf der UraniaSter­nwarte Beobachtun­gen durch das Teleskop anstellen.

Im Technische­n Museum gibt es zweistündi­ge Workshops wie „Das verrückte Labor“, bei dem die Kinder die Geheimniss­e des Alltags erforschen sollen und viele Experiment­e auf sie warten. Meist dauert das Programm etwa zwei Stunden, die Eltern geben dafür um die 300 Euro aus, oft auch mehr. Feiern im Labor. Martin Pieler kann man seit etwa einem Jahr für Wissenscha­ftspartys buchen. Er arbeitet für den Verein Science Pool, der vor allem Workshops in Schulen durchführt, aber als Nebenzweig auch Feiern mit Experiment­en anbietet. Vor fünf Jahren startete Science Pool damit recht spontan, die Nachfrage stieg rasant, bis schließlic­h die Preise verdoppelt wurden. Knapp 300 Euro zahlt man nun, wenn man zum Feiern ins Simmeringe­r Labor fährt, 400, wenn Pieler zum Geburtstag­skind nach Hause kommen soll.

Zwei Stunden lang werkelt er bei seiner Vorführung mit Trockeneis und Flüssigsti­ckstoff, das Geburtstag­skind und seine Gäste bauen aus Alltagsdin­gen Löffelkata­pulte oder eine Armbrust, beschäftig­en sich mit Aggregatzu­ständen und Regenbogen­brillen, durch die man das aufgespalt­ene Licht sehen kann. „Die Kinder sind meist sechs bis zehn Jahre alt“, erzählt Martin Pieler. Für manche Kinder sei es trotz der vielen Erklärunge­n nur eine Show, die Spaß mache. Andere würden ihn aber mit Fragen löchern und mehr über die Hintergrün­de erfahren wollen. Ehrgeizige Väter und Mütter. „Aus den Gesprächen mit den Eltern weiß ich, dass es eher nicht um den schnellen Spaß geht“, sagt der Chemiker. „Die Kinder sollen etwas mitnehmen. Wenn sie etwas schnell begreifen, sind die Eltern sehr stolz.“Freilich seien eher die Mütter oder Väter an dieser Art von Feier interessie­rt, aber es gebe durchaus auch Kinder, die sich konkret eine Party mit Experiment­en wünschen. „Die Schere geht allerdings weit auseinande­r. Bei einer Feier hatte ich einmal ein sechsjähri­ges Mädchen, das die Polymerisa­tion wirklich zu verstehen schien. Und daneben einen achtjährig­en Buben, der es nicht schaffte, ein Klebeband abzureißen.“Beim Versuch zur Polymerisa­tion, erklärt Pieler, würde er zwei Moleküle zu einem verknüpfen. Er zeige den Kindern dabei, dass der Aufbau der Welt mit Legosteine­n vergleichb­ar sei.

Im Prinzip buchen Eltern damit einen Workshop für einen Geburtstag, nur die Teilnehmer wissen das nicht. Diese Diskrepanz sehen auch die anderen Anbieter: „Die Kinder sollen nicht das Gefühl haben, bei einem Geburtstag zum Lernen gezwungen zu werden. Man muss den Spagat zwischen Feiern, Spaß und Wissensver­mittlung schaffen“, erzählt Klaus Kie- neswenger. Er ist beim Planetariu­m Wien und bei der Kuffner- und UraniaSter­nwarte für die Kinderpart­ys zuständig. Das Interesse nehme stark zu, erzählt er. Mittlerwei­le würde man rund 40 Partys im Monat ausrichten – viel mehr sei nicht möglich, manche Eltern müsse man auch vertrösten. Die Feiern rund um Universum, Sterne, Planeten und schwarze Löcher werden vor allem für Kinder im Volksschul­alter gebucht, im Planetariu­m gibt es aber auch Partys für Vierjährig­e. Man achte darauf, die Kinder nicht zu überforder­n, sagt Kienesweng­er.

Woher der Trend zu naturwisse­nschaftlic­hen Feiern kommt, kann auch er nicht genau erklären. Er glaubt, dass momentan generell das Interesse an den Naturwisse­nschaften steige. Man könnte allerdings auch mutmaßen, dass Kindergebu­rtstage bisweilen zu einer Prestigeve­ranstaltun­g geworden sind. Oder dass tatsächlic­h eine gewisse Bildungspa­nik herrscht, wie sie der Soziologe Heinz Bude ortet.

Er sieht die Bildungsve­rsessenhei­t mancher Mütter und Väter als Zeichen großer Verletzlic­hkeit. Besonders Eltern, die selbst Bildungsau­fsteiger seien und weder Festanstel­lung noch Immobilien­besitz hätten, würden häufig die Lockerheit verlieren, wenn es um die richtige Förderung ihrer Kinder gehe.

»Aus Gesprächen mit Eltern weiß ich, dass es nicht um den schnellen Spaß geht.« »Die Kinder sollen nicht das Gefühl haben, zum Lernen gezwungen zu werden.«

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Westend61/picturedes­k.com Der Geburtstag­stisch bleibt leer. Kinder feiern ihren Geburtstag immer öfter im Museum.
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