Geburtstage mit Lerneffekt: Physik statt Picknick
Bei Geburtstagspartys sollen Kinder nicht mehr einfach nur Spaß haben, sondern auch »etwas mitnehmen«. Weshalb vor der Torte neuerdings immer öfter Wissenschaft und naturwissenschaftliche Experimente auf dem Programm stehen.
Es gibt eine Redewendung, die ausschließlich kinderlose Erwachsene verwenden. Die Worte „Das ist doch ein Kindergeburtstag!“als Synonym für eine simple, nette Aufgabe würden Eltern nie in den Mund nehmen. Denn unkompliziert – falls sie es jemals waren – sind Kindergeburtstage und vor allem die dazugehörigen Feiern schon lang nicht mehr. Dabei ist die Frage der Einladungspolitik nur der Anfang.
Vor allem in der Stadt werden Kinder immer weniger zu Feiern eingeladen, die zu Hause stattfinden. Topfklopfen oder Luftballontanz steht nicht mehr auf dem Programm, die Geburtstagsindustrie beschränkt sich nicht mehr auf das Ausblasen der Kerzen. Die Möglichkeiten sind beinahe grenzenlos. Die Indoor-Spielplätze haben rein zahlenmäßig noch die Hoheit, dort laufen am Wochenende Heerscharen von überzuckerten Kindern in verschwitzten T-Shirts ferngesteuert die Rutschen verkehrt hinauf.
Dass Kindergeburtstage professionell organisiert werden, ist keine neue Entwicklung. Stretchlimousinen für den Indoor-Spielplatz, ausgefallene, teure Torten und durchgeplante Programme gibt es schon länger. Doch in den vergangenen Jahren kamen vermehrt Angebote hinzu, die die Kinder historisch, kulturell und vor allem naturwissenschaftlich bilden sollen. Auf den Internetseiten, die die Geburtstagsfeiern bewerben, kann man Sätze wie diesen lesen: „Kinder glauben, dass sie nur Spaß haben, gerade dadurch bleibt viel an Information in ihren Köpfen verankert.“
Das Angebot ist vielfältig: Der Schönbrunner Zoo lockt etwa mit Spezialführungen zu den Lieblingstierarten des Geburtstagskindes oder gibt Einblicke in Artenschutzprojekte. Im Naturhistorischen Museum kümmern sich Museumspädagogen um die Bildung der Kinder, im Belvedere dürfen sie in barocke Kostüme schlüpfen, bevor es anschließend zu einem Kreativworkshop im Atelier geht. Im Architekturzentrum Wien können Kinder bei ihrer Geburtstagsfeier „eine Zeitreise durch die Geschichte des Wohnens“unternehmen und auf der UraniaSternwarte Beobachtungen durch das Teleskop anstellen.
Im Technischen Museum gibt es zweistündige Workshops wie „Das verrückte Labor“, bei dem die Kinder die Geheimnisse des Alltags erforschen sollen und viele Experimente auf sie warten. Meist dauert das Programm etwa zwei Stunden, die Eltern geben dafür um die 300 Euro aus, oft auch mehr. Feiern im Labor. Martin Pieler kann man seit etwa einem Jahr für Wissenschaftspartys buchen. Er arbeitet für den Verein Science Pool, der vor allem Workshops in Schulen durchführt, aber als Nebenzweig auch Feiern mit Experimenten anbietet. Vor fünf Jahren startete Science Pool damit recht spontan, die Nachfrage stieg rasant, bis schließlich die Preise verdoppelt wurden. Knapp 300 Euro zahlt man nun, wenn man zum Feiern ins Simmeringer Labor fährt, 400, wenn Pieler zum Geburtstagskind nach Hause kommen soll.
Zwei Stunden lang werkelt er bei seiner Vorführung mit Trockeneis und Flüssigstickstoff, das Geburtstagskind und seine Gäste bauen aus Alltagsdingen Löffelkatapulte oder eine Armbrust, beschäftigen sich mit Aggregatzuständen und Regenbogenbrillen, durch die man das aufgespaltene Licht sehen kann. „Die Kinder sind meist sechs bis zehn Jahre alt“, erzählt Martin Pieler. Für manche Kinder sei es trotz der vielen Erklärungen nur eine Show, die Spaß mache. Andere würden ihn aber mit Fragen löchern und mehr über die Hintergründe erfahren wollen. Ehrgeizige Väter und Mütter. „Aus den Gesprächen mit den Eltern weiß ich, dass es eher nicht um den schnellen Spaß geht“, sagt der Chemiker. „Die Kinder sollen etwas mitnehmen. Wenn sie etwas schnell begreifen, sind die Eltern sehr stolz.“Freilich seien eher die Mütter oder Väter an dieser Art von Feier interessiert, aber es gebe durchaus auch Kinder, die sich konkret eine Party mit Experimenten wünschen. „Die Schere geht allerdings weit auseinander. Bei einer Feier hatte ich einmal ein sechsjähriges Mädchen, das die Polymerisation wirklich zu verstehen schien. Und daneben einen achtjährigen Buben, der es nicht schaffte, ein Klebeband abzureißen.“Beim Versuch zur Polymerisation, erklärt Pieler, würde er zwei Moleküle zu einem verknüpfen. Er zeige den Kindern dabei, dass der Aufbau der Welt mit Legosteinen vergleichbar sei.
Im Prinzip buchen Eltern damit einen Workshop für einen Geburtstag, nur die Teilnehmer wissen das nicht. Diese Diskrepanz sehen auch die anderen Anbieter: „Die Kinder sollen nicht das Gefühl haben, bei einem Geburtstag zum Lernen gezwungen zu werden. Man muss den Spagat zwischen Feiern, Spaß und Wissensvermittlung schaffen“, erzählt Klaus Kie- neswenger. Er ist beim Planetarium Wien und bei der Kuffner- und UraniaSternwarte für die Kinderpartys zuständig. Das Interesse nehme stark zu, erzählt er. Mittlerweile würde man rund 40 Partys im Monat ausrichten – viel mehr sei nicht möglich, manche Eltern müsse man auch vertrösten. Die Feiern rund um Universum, Sterne, Planeten und schwarze Löcher werden vor allem für Kinder im Volksschulalter gebucht, im Planetarium gibt es aber auch Partys für Vierjährige. Man achte darauf, die Kinder nicht zu überfordern, sagt Kieneswenger.
Woher der Trend zu naturwissenschaftlichen Feiern kommt, kann auch er nicht genau erklären. Er glaubt, dass momentan generell das Interesse an den Naturwissenschaften steige. Man könnte allerdings auch mutmaßen, dass Kindergeburtstage bisweilen zu einer Prestigeveranstaltung geworden sind. Oder dass tatsächlich eine gewisse Bildungspanik herrscht, wie sie der Soziologe Heinz Bude ortet.
Er sieht die Bildungsversessenheit mancher Mütter und Väter als Zeichen großer Verletzlichkeit. Besonders Eltern, die selbst Bildungsaufsteiger seien und weder Festanstellung noch Immobilienbesitz hätten, würden häufig die Lockerheit verlieren, wenn es um die richtige Förderung ihrer Kinder gehe.
»Aus Gesprächen mit Eltern weiß ich, dass es nicht um den schnellen Spaß geht.« »Die Kinder sollen nicht das Gefühl haben, zum Lernen gezwungen zu werden.«