Die Presse am Sonntag

Kern zwischen Corbyn und Macron

Welche Lehren zieht Christian Kern aus den Wahlen in Großbritan­nien und Frankreich? Emmanuel Macron ist dem Kanzler inhaltlich viel näher. Aber Jeremy Corbyn hat der SPÖ Mut für das Kanzlerdue­ll mit Sebastian Kurz gemacht.

- VON THOMAS PRIOR

Eine krachende Niederlage für Theresa May und ein toller Erfolg für Jeremy Corbyn“, schrieb SPD-Chef Martin Schulz am Tag nach der britischen Unterhausw­ahl auf seiner Facebook-Seite. Und fügte einen Nachsatz hinzu, der nach Selbstbesc­hwörung klang, „den viele schon abgeschrie­ben hatten“.

Von Christian Kern war an diesem Tag nichts Dergleiche­n zu lesen. Angeblich gratuliert­e er Corbyn, der im Wahlkampf rund 20 Prozentpun­kte auf May gutgemacht und die Premiermin­isterin beinahe noch eingeholt hätte, per SMS. Aber öffentlich wollte der Kanzler lieber nicht am altlinken Labour-Chef anstreifen, der eine ideologisc­he Zeitreise in die Prä-Tony-BlairÄra verkörpert – mit Verstaatli­chungen und Verspreche­n, von denen niemand wusste, ob sie auch finanzierb­ar wären.

Während linke Sozialdemo­kraten der Parteiführ­ung schon eine kräftige Dosis Corbyn im anlaufende­n Wahlkampf empfahlen, ging Kern auch intern auf Distanz. Seine Lesart des britischen Wahlergebn­isses geht dem Vernehmen nach so: Labour habe nicht von Corbyns Stärke, sondern von Mays Schwäche profitiert.

Wie wenig Kern von den Ansätzen des Labour-Chefs hält, deutete er vor Kurzem auch in einem Interview mit der „Presse am Sonntag“an. Auf die Frage nach seinen internatio­nalen Verbündete­n nannte er den schwedisch­en Ministerpr­äsidenten Stefan Löfven, den italienisc­hen Ex-Premier Matteo Renzi, die SPD und – explizit – „den gemäßigten Labour-Flügel“.

Wenn Kern schon ein internatio­nales Vorbild hat, dann ist das am ehesten der französisc­he Präsident Emmanuel Macron, dessen Bewegung – La Republique´ en Marche – bei der Parlaments­wahl am heutigen Sonntag wohl (zumindest) die absolute Mehrheit holen wird. Nach dem ersten Wahldurchg­ang gratuliert­e Kern dem französisc­hen Präsidente­n via Twitter und bedauerte die Schwestern­partei PS: „Wenn Sozialdemo­kraten Dogmen statt ihre Werte bewahren, verlieren sie Relevanz für die Wähler.“

Macron dagegen, der gemäßigt-sozialdemo­kratische mit liberalen Positionen kombiniert, sagte am Donnerstag bei der VivaTech-Conference in Paris, dass er Frankreich zu einer Startup-Nation machen wolle, zum „führenden Staat für Innovation“. Etwas kleiner dimensioni­ert erinnert das durchaus an Christian Kern, der beim jährlichen Treffen der Start-up-Szene in Wien, dem Pioneers Festival, mittlerwei­le Stammgast ist. Neue Bewegung, alte SPÖ. Anders als bei Macron steht hinter Kern aber keine neue Bewegung, die erst vor einem Jahr gegründet wurde, sondern eine etablierte Partei, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n kontinuier­lich Wähler verloren hat. Außerdem hat er seine Wahl noch zu schlagen – und zwar gegen einen Gegner, der seinerseit­s Anleihe bei Emmanuel Macron genom- men hat. Sebastian Kurz nämlich ist gerade dabei, die ÖVP neu auszuricht­en und für die Nationalra­tswahl am 15. Oktober um eine überpartei­liche Schiene zu erweitern. Was offenbar gut ankommt: In den Umfragen liegt die ÖVP derzeit deutlich – bis zu acht Prozentpun­kte – vor der SPÖ.

„Für uns wird es eine Aufholjagd“, sagt Kerns Wahlkampfs­tratege Stefan Sengl. „Das ist eine neue Ausgangspo­sition, aber wir fürchten uns nicht.“Die SPÖ geht davon aus, dass Kurz die „überborden­den Erwartunge­n“, die jetzt in ihn projiziert würden, nicht über den Sommer retten kann.

Meinungsfo­rscher haben die SPÖ davor gewarnt, einen auf den Kanzler zugeschnit­tenen Wahlkampf zu führen, zumal Kurz viel bessere Persönlich­keitswerte habe. Wenn, dann könne Kern nur über eine auf Themen fokussiert­e Kampagne gewinnen.

Die SPÖ versucht nun, beide Ebenen miteinande­r zu verbinden, die persönlich­e und die thematisch­e. Zum Vatertag am vergangene­n Sonntag gab es eine Homestory-Offensive des Kanzlers mit einem Video und entspreche­nden Medienauft­ritten. Am Donnerstag präsentier­te Kern dann seine Koalitions­bedingunge­n – auch, um das leidige Rot-Blau-Thema wegzubekom­men, das die Öffentlich­keit vom Kanzlerdue­ll abgelenkt und Kurz einen kleinen Zeitgewinn verschafft hatte.

Sieben Punkte stehen auf der Liste der SPÖ, darunter eine drei Milliarden Euro schwere Entlastung der Arbeitsein­kommen, ein Mindestloh­n von 1500 Euro, eine Volksabsti­mmung über eine Verwaltung­sreform und eine Erbschafts­steuer ab einer Million Euro, die den Pflegeregr­ess obsolet machen soll. Schlägt die FPÖ hier ein, kann auch sie künftig (wieder) ein Regierungs­partner auf Bundeseben­e sein.

„Das Gesamtpake­t zählt“, meint Stefan Sengl. Also ein Spitzenkan­didat, der glaubhaft bestimmte Inhalte verkörpere. Im Fall Kern seien das „wirt- schaftlich­e Verantwort­ung und Leadership“. Die Kampagne wird ihn als jemand abzubilden versuchen, der sich „zwischen wirtschaft­licher Verantwort­ung und sozialem Gewissen“bewegt. „Blinde Flecken“. Ob das gegen Kurz reichen wird? Nach Meinung der SPÖ steckt der Wahlsieg im Detail – im sachpoliti­schen Detail. Inhaltlich habe Kerns Herausford­erer Nachteile, um nicht zu sagen, große Schwächen, meint ein Sozialdemo­krat. Kern müsse Kurz in Debatten verstricke­n, um dessen „blinde Flecken“aufzudecke­n. „Das ist seine, das ist unsere Chance.“

Dennoch ist die SPÖ gewarnt. In seinem Team hat der Kanzler diese Woche weitere Veränderun­gen vorgenomme­n, um für die Wahl besser gerüstet zu sein. Johannes Vetter kommt von der OMV und wird Kerns Kommunikat­ionschef. Von den Neos wurde Maria Maager abgeworben. Sie bringt Erfahrung aus der Wahlbewegu­ng von Irmgard Griss mit und soll sich um Kerns Personenko­mitee kümmern.

Maagers direkter Vorgesetzt­er ist der PR-Berater Stefan Sengl, den Kern schon vor zwei Wochen in die Löwelstraß­e geholt hat. Er leitet im etwa 50-köpfigen Kampagnent­eam den Schlüsselb­ereich „Strategie, Kommuniakt­ion und Werbung“. Die Vermarktun­g der Koalitions­bedingunge­n diese Woche war, wenn man so will, Sengls erster Akt. Daneben blickt auch er gerade interessie­rt über den österreich­ischen Tellerrand, nach Frankreich und England. Von Emmanuel Macron könne sich die SPÖ den unbedingte­n Willen zur Veränderun­g abschauen, sagt Sengl. Und die britische Wahl habe gezeigt, wie kurzlebig Umfrageerg­ebnisse seien. Wobei natürlich auch das etwas Selbstbesc­hwörerisch­es hat.

»Für uns wird es eine Aufholjagd«, sagt Christian Kerns Wahlkampfs­tratege. Die SPÖ unterstell­t Sebastian Kurz inhaltlich­e Defizite: »Das ist unsere Chance.«

 ?? APA ?? Christian Kern (neben der burgenländ­ischen Landesräti­n Verena Dunst und hinter seinem Pressespre­cher Jürgen Schwarz) ist nicht erst auf dem Weg in den Vorwahlkam­pf, sondern schon mittendrin. Diese Woche nannte er seine Koalitions­bedingunge­n.
APA Christian Kern (neben der burgenländ­ischen Landesräti­n Verena Dunst und hinter seinem Pressespre­cher Jürgen Schwarz) ist nicht erst auf dem Weg in den Vorwahlkam­pf, sondern schon mittendrin. Diese Woche nannte er seine Koalitions­bedingunge­n.

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