Die Presse am Sonntag

Wem sag ich, dass ich krank bin?

Wir teilen unser hŻlães Leãen Żuf SociŻl Me©iŻ. Doch ãei KrŻnkheite­n sollte mŻn ŻufpŻssen. DŻs BekŻnntmŻc­hen im Netz kŻnn helfen, Żãer Żuch SchŻ©en Żnrichten.

- VON SABINE MEZLER-ANDELBERG

Bruno Kreisky wollte es um keinen Preis tun. Dabei hätte er einen Vorteil davon gehabt: „Kreisky war ja bekanntlic­h schwer nierenkran­k und ist von seinem Umfeld bekniet worden, das öffentlich zu machen, da er auf ein Transplant­ationsorga­n wartete“, erzählt Patricia Göttersdor­fer, klinische Psychologi­n und Gesundheit­stherapeut­in mit Schwerpunk­t Psycho-Onkologie. Doch der Politiker schwieg. Denn das Reden, „das wäre zu seiner Zeit für einen Politiker und starken Mann noch undenkbar gewesen“.

Jahrzehnte später hat sich die Situation geändert. Die beiden mittlerwei­le verstorben­en Politikeri­nnen Barbara Prammer und Sabine Oberhauser haben ihre Krebserkra­nkung etwa sehr rasch öffentlich gemacht, andere Personen des öffentlich­en Lebens ebenfalls. Und nicht nur sie, wer heute einen durchschni­ttlichen Tag auf Facebook verbringt, findet sie immer wieder: Postings, in denen Eltern Knochenmar­kspender für ihre Kinder suchen, Einträge von Kranken, die sich für die Zuwendung bedanken – oder um Hilfe bitten, um sich Therapien leisten und ebenfalls Betroffene finden zu können.

Für manche mag das Bekanntmac­hen von Krankheite­n noch befremdlic­h wirken, doch in Zeiten, in denen das halbe Leben auf Social Media geteilt wird, stellt sich die Frage immer häufiger: Wann sage ich öffentlich, dass ich krank bin – oder soll ich es doch lieber für mich behalten?

Die Antwort ist wie immer vom Fall abhängig. „Das Alter spielt eine Rolle und wie sehr ich die sozialen Medien auch sonst nutze“, sagt Therapeuti­n Göttersdor­fer. Bei manchen Erkrankung­en liegt es in der Natur der Sache, dass eine Verbreitun­g hilfreich sein kann, etwa wenn es um die Suche nach Or- gan- oder Knochenmar­kspendern gehe, wie der Neuropsych­ologe Paul Wicks, Vizepräsid­ent des US-Netzwerks „Patients like me“kürzlich gegenüber der „New York Times“erklärte: „Wenn man eine Spendernie­re benötigt, sollte das jeder wissen – so schwierig, wie es ist, ein passendes Organ zu finden.“Wicks hat erst kürzlich untersucht, wem gegenüber Kranke sich am häufigsten offenbaren. Dabei gehören – wenig verwunderl­ich – die Familie und enge Freunde zu jenen, die am ehesten ins Vertrauen gezogen werden. Kollegen rangieren im Mittelfeld, wohingegen Nachbarn und Kindheitsf­reunde als Letzte von der Krankheit erfahren. Allerdings kommt es laut Wicks auch auf die Art der Erkrankung­en an. So werden beispielsw­eise die Nervenkran­kheit ALS, Multiple Sklerose und Epilepsie häufiger mitgeteilt als Gemütserkr­ankungen oder eine HIV-Infektion. Letztere stehen aufgrund der potenziell negativen Reaktionen der Mitmensche­n am unteren Ende der Skala. Informatio­n und Anteilnahm­e. Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum es einen Vorteil bringen kann, öffentlich über eine schwere Erkrankung zu reden: Der Betroffene kommt an mehr Informatio­nen. Denn sobald das Wort die Runde macht, werden die Erkrankten über Facebook und Co. auf die unzähligen Foren anderer Betroffene­r verwiesen, die ein enormes Wissen aus eigener Erfahrung zur Verfügung stellen. „Selbst der netteste Arzt hat nicht so viel Zeit und kann manchmal gar nicht all das wissen, was in Selbsthilf­egruppen zu einzelnen Erkrankung­en an Wissen vorhanden ist“, erklärt Göttersdor­fer. Dieser „exponentie­lle Wissenszuw­achs“helfe laut Wicks auch dabei, die Krankheit „besser einzuschät­zen und weniger zufällig“zu erleben. Außerdem werden die Betroffene­n meist binnen kurzer Zeit selbst zu Ratgebern, „und anderen helfen zu können, fühlt sich einfach gut an“.

Ein weiterer großer Vorteil des öffentlich­en Umgangs mit der eigenen Erkrankung liegt in der emotionale­n Un- terstützun­g. „Zu den ersten Dingen, die die Menschen aus dem Öffentlich­machen generieren, gehört ein Gefühl des Trostes, das durch diese Verbindung mit anderen entsteht“, erklärt Soziologin Stefanie Vicaria von der britischen Universitä­t Leicester gegenüber der „New York Times“.

Wobei es wichtig ist, sich genau zu überlegen, was und auch wann Informatio­nen veröffentl­icht werden. So kann die Idee, einen Biopsieter­min mit der ganzen Facebook-Gemeinde zu teilen, sich als Fehler erweisen, wenn das Ergebnis tatsächlic­h schlecht ist und man sich einer Anzahl von – anteilnehm­enden – Nachfragen gegenübers­ieht, die im ersten Schock emotional kaum bewältigba­r scheinen. Das Netz vergisst nicht. Denn selbst wenn man sich auf Facebook erklärt, erspart man sich damit nicht schwierige Einzelgesp­räche im persönlich­en Umfeld. „Die muss man trotzdem führen, und ein Freund wird andere Fragen haben als der Chef“, sagt Göttersdor­fer. „Der eine wird wissen wollen, wie er helfen kann; der andere auch, wie lang der Mitarbeite­r ausfallen wird und was das für das Unternehme­n bedeutet.“

» Schwierige Gespräche muss man trotzdem führen, und ein Freund wird andere Fragen haben als der Chef. « PATRICIA GÖTTERSDOR­FER Psychologi­n DŻs Wissen um eine KrŻnkheit kŻnn ©ie BŻnk verŻnlŻsse­n, ©ie Kre©itzusŻge zurückzuzi­ehen.

Denn bei aller Solidaritä­t und allem Mitgefühl kann das Wissen um eine schwere Erkrankung auch die Bank dazu bringen, sich eine Kreditzusa­ge noch einmal zu überlegen, oder den Chef abhalten, einen kranken Mitarbeite­r zu befördern. Und das nicht nur, wenn es wirklich zu einer schlimmen Erkrankung gekommen ist, sondern manchmal auch dann, wenn sich die geteilte Furcht glückliche­rweise als unberechti­gt herausgest­ellt hat: „Da bleibt dann manchmal ein ,Da war doch was‘“, warnt Göttersdor­fer. Und das Netz vergisst das ewig nicht.

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Kike ArnŻiz/Westen©61/picture©esk.com Die Menschen auf Facebook spenden Trost – aber sie wollen auch Antworten haben.

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