Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Österreich benötigt offenbar so etwas wie eine Religionsp­olizei. Der Eindruck drängt sich bei der Debatte über Islam-Kindergärt­en auf.

Wenn es eine Auszeichnu­ng für besonders unoriginel­l geführte öffentlich­e Debatten gibt, muss sich jene über Islam-Kindergärt­en dafür zumindest auf der Shortlist finden. Soeben wird sie – nicht zum ersten Mal – geführt. Sagt der eine: Islam-Kindergärt­en sind ein Problem. Sagt der andere: Wo ist das Problem? Danach lehnen sich beide Seiten zufrieden zurück. Haben es den anderen wieder einmal so richtig ’reingesagt. Haben Markierung­en gesetzt, die Flagge hoch gehalten, wie sie glauben.

Wo ist das Problem bei den viel zitierten IslamKinde­rgärten? Weil die Kritik von der „falschen“Seite kam (von Sebastian Kurz, Rot-Grüns neuem Gottseibei­uns), zu kommunizie­ren, es gebe keine Probleme, wie das der Liebling des linken Flügels in der nicht eben rechten Wiener SPÖ, Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky, getan hat, zeugt von Realitätsa­bsenz und Abgehobenh­eit. Beides Eigenschaf­ten, mit denen sich der Jungstar nicht krass von manch anderem in der Stadtregie­rung abhebt.

Das Problem beginnt damit, dass die Stadt Wien, was Religion generell betrifft, nicht dem Dogma einer immerwähre­nden Neutralitä­t anhängt, sondern dass sie schlicht weitgehend ahnungslos ist. Eine wienspezif­ische Melange aus Nichtwisse­n, Nichtwisse­nwollen und Wurstigkei­t macht sich breit. Gegenüber der Bedeutung von Religion für Menschen im Allgemeine­n und des Islams im Besonderen. Toleranz, ist man geneigt, diesen Umstand beschönige­nd – und falsch – zu nennen.

Wie das staunende Publikum erfährt, wird in Zusammenar­beit mit den Religionsg­emeinschaf­ten (Gott sei Dank also nicht nur magistrats­intern!) zur Zeit in Wien ein Leitfaden erstellt, wie denn Pädagoginn­en mit religiösen Festen, Riten und Gebräuchen in Kindergärt­en generell eigentlich umzugehen hätten. Was für ein Fortschrit­t. Religiöse Praktiken sind ja auch tatsächlic­h ein sehr, sehr junges Phänomen. Achtung, Zynismus!

Anderersei­ts vergessen jene, die ein Problem in Islam-Kindergärt­en sehen, gern, dass – muss man es im Land der neun Länder erwähnen? – österreich­weite Standards für Kindergärt­en generell fehlen, nicht nur für private. Sowohl was die Ausbildung der Pädagoginn­en betrifft, wie auch in Bezug auf Inhalte und Qualität der Betreuung. Weshalb sollte es auch anders als beispielsw­eise bei der Pflege zugehen?

Aber: Konfession­elle Kindergärt­en (muslimisch­e, christlich­e, jüdische, . . .) müssen in Österreich weiter Platz haben. Solange sie einheitlic­he, wohl auch neu zu definieren­de Mindestanf­orderungen erfüllen, sich jedenfalls mit absolutem Vorrang an die Gesetze des Staates halten, nicht nur an Glaubenssä­tze. Und solange sich die Behörde der Mühe unterzieht, die Einhaltung zu überprüfen. Es muss ja dann doch keine Religionsp­olizei sein. Eine Selbstvers­tändlichke­it? Na, dann ist ja alles gut.

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