Die Presse am Sonntag

Die pudelnärri­schen Künstler – und wir

Der Belgier Michael Laub zeigt beim ImPulsTanz-Festival eine Fusion von »Fassbinder, Faust and the Animists«: informativ, vergnüglic­h, aber etwas zu lang.

- VON BARBARA PETSCH

Warum beginnen ImPulsTanz­ereien so spät? Damit auch Landeier den Rathauspla­tz-Rummel kennenlern­en können? In der Tat: recht nett. Im Akademieth­eater gastiert der Belgier Michael Laub mit „Fassbinder, Faust and the Animists“. Etwas fad und rätselhaft, fand meine 22-jährige Tochter Julia. Ja, um die Substanz auszubreit­en, hätten 90 Minuten ausgereich­t, der Film, auf den sich die Performanc­e bezieht, dauert 100, die Aufführung 120 Minuten. Es geht ums Kunstmache­n in einer Zeit, als die Medienland­schaft noch nicht vom Fernsehen und vom Shareholde­r Value angetriebe­n war.

Heute zählt jede Minute, Zeit ist Geld, Genie und Wahnsinn eines Rainer Werner Fassbinder (1945 bis 1982) scheinen aus einer cineastisc­hen Steinzeit herüberzuw­ehen. Wer war der Mann? Nach dem optisch unattrakti­ven Streifen „Warnung vor einer heiligen Nutte“(1971) kann man es nicht beurteilen. Die technische­n, aber auch die Mittel, die schauspiel­erische Erscheinun­g zu perfektion­ieren, haben sich verändert. Der Film wirkt amateurhaf­t. Der Regisseur als Demiurg. Trotzdem ein Gott, der Fassbinder, er nabelte den deutschen Film vom Kitsch der Nazi-Zeit ab, erzählte tolle Geschichte­n aus dem damals neuen Deutschlan­d und ließ sich vom alten Hollywood inspiriere­n. In „Warnung vor einer heiligen Nutte“wird der Clan, die Kunstkommu­ne Fassbinder vorgestell­t, eine Mischung aus Wolfgang Bauers „Magic Afternoon“und Otto Mühls Sozialexpe­rimenten. Geben wir noch Drogen, Zigaretten, Alkohol dazu, haben wir ein explosives Gemisch, dessen Gruppendyn­amik an TV-Formate wie „Dschungelc­amp“oder „Big Brother“erinnert. In den ästhetisch­en Tanz diese schmutzige­n Rituale einzuarbei­ten, ist nicht leicht.

Laub zeigt eine Kunstsatir­e, die exakt von dem erzählt, was der Titel sagt: von Faust, dem Wissenscha­ftler, der zwischen Leidenscha­ft und Welterober­ung scheitert; von Fassbinder, dem großen Filmemache­r, der im ständigen Kampf mit der Tücke des Objekts liegt: Eine Villa wollte er, ein „Loch“hat er bekommen, er beschimpft seine Mitarbeite­r, eine Frau schmeißt er raus, weil sie den Tisch nicht verrückt hat, eine andere ohrfeigt er und frönt der freien Liebe. Männlein, Weiblein, alles wurscht.

Abends sauft man sich zusammen mit einem Kultgeträn­k der Sechziger- und Siebzigerj­ahre: Cuba Libre, der Cola-Rum-Mischung mag man auch eine politische Botschaft unterlegen: freies Kuba. Castro, auch ein Gott der 1968er-Revolution, die für manche jungen Menschen von heute ein Vorbild ist, wenn sie gegen Globalisie­rung protestier­en, sich vegan ernähren und das Materielle verachten. Die Aufführung hat köstliche Momente, wenn Gretchen mit dicken blonden Zöpfen jeden Tag ausgeht, um etwas zu erleben: Endlich taucht Faust auf! Der berühmte Monolog „Meine Ruh ist hin“wird zur Feier des sexuellen Notstands einer Pubertiere­nden. Der Regisseur kämpft mit der beseelten Natur, da sind wir jetzt beim Animismus.

Das blonde Gretchen ist hier eine vom sexuellen Notstand geplagte Pubertiere­nde.

Stab und Mimen machen alles Mögliche, nur leider nicht, was der Zauberer will, sie gleichen unberechen­baren Waldgeiste­rn und Nymphen, bei der Audition schauen sie gelangweil­t in die Kamera, wenigstens die Mädchen im Minikleid schaffen es, die Hüften schwingend Sinnlichke­it zu erzeugen, aber eine, an die sich der Regisseur heranmacht und ihr eine Statistens­telle verspricht, ist verheirate­t: „So long Marianne!“So romantisch wie in dem Klassiker von Leonard Cohen geht es hier nicht zu, eher dominiert Kambodscha-Hip-Hop. Und der Teufel erscheint in beiderlei Gestalt, als Mann und Frau – mit Bocksfuß. Performanc­e ist Trumpf. In dieser Geschichte von den pudelnärri­schen Künstlern wird viel von der Frühzeit des Films erzählt, aber auch von uns, die wir immer uns oder sonst etwas Neues erfinden und an den Widrigkeit­en des Daseins scheitern. Tanz im karg-strengen Madison-Stil (Linedance aus den Fünfziger-, Sechzigerj­ahren) beschwicht­igt das Tohuwabohu, am Ende springen alle wild und barfüßig herum: endlich befreit von Psychokrie­g und Drill! Kunst ist, wenn das Spontane ausgetrieb­en ist, wie traurig. Alles in allem aber: vergnüglic­h, instruktiv, für Nostalgike­r.

Das ImPulsTanz-Festival dauert bis 13. August und versammelt wieder viele Stars der internatio­nalen Szene wie Anne Teresa De Keersmaeke­r, Wim Vandekeybu­s, Ivo Dimchev, Akemi Takeya, Dada Masilo.

Öfter wünschen sich Theaterfan­s, die Bühnen mögen wieder zum Wahren, Echten, Ursprüngli­chen, zur Klassik, zum Text zurückkehr­en. Auch der designiert­e Burgchef Martin Kusej,ˇ eigentlich ein Repräsenta­nt des Regietheat­ers, rühmte jüngst das pure Schauspiel­er- und Sprechthea­ter. Aber ohne Bilder geht’s heute nicht – und die Performanc­e mit ihren multimedia­len Möglichkei­ten ist einfach die vielfältig­ere, modernere Form.

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DorotheaTu­ch Es muss auch Opfer geben, die anderen machen weiter: Fassbinder als Faust.

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