Die Presse am Sonntag

Wie man einen Dollfuß abhängt

Still und leise geht die ÖVP unter Sebastian Kurz auf Distanz zur autoritäre­n Vergangenh­eit unter Engelbert Dollfuß. Ein paar wirtschaft­s- und gesellscha­ftspolitis­ch liberale Signale wären noch schön.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Wenn die ÖVP einen neuen ÖVPObmann kürt – und bis zu Sebastian Kurz hat man die Perioden besser in Monaten denn in Jahren gemessen –, stellen die Journalist­en meist zwei Fragen. Es geht nicht etwa um die Zukunft Österreich­s, das mögliche Ende des Sozialstaa­ts, die Sicherheit des Landes oder gar Europa. Nein, die beiden Fragen lauten: „Wie halten Sie es mit der Homosexuel­lenehe?“Und: „Bleibt das Dollfuß-Bild im Klub hängen?“Daraufhin winden sich die Herren ÖVP-Chefs ein wenig, von leicht abgewandel­ten Formulieru­ngen abgesehen bleibt alles beim Alten. Bislang wurde Kurz nicht zu Dollfuß befragt, er antwortet nun mit Taten: Das Bild muss wegen des Umbaus abgehängt werden und wird bei der Rückkehr ins Hohe Haus einfach nicht mehr aufgehängt.

Diese Marginalie hat wie so viele Symbolkraf­t. Kurz scheint eine kritische Distanz zur ÖVP-Vergangenh­eit mit dem autoritäre­n Regime Engelbert Dollfuß’ und dem Ständestaa­t zu befürworte­n, was erstens höchst an der Zeit und zweitens dennoch mutig ist. Denn in den erzkonserv­ativen Kreisen wird er damit kaum punkten, und Links-Wähler werden dennoch nicht ihr Bild vom gemeinen Flüchtling­sroutenwäc­hter ändern. Nicht Heiliger, sondern Diktator. Es tut einem Land und einer Partei gut, die historisch­e Vergangenh­eit kühl und ohne Emotion zu sehen: Der Mann war kein Heiliger, sondern ein kleiner Diktator, wie sie in der damaligen Zeit leider Usus waren. Dass er einem Mordanschl­ag der Nationalso­zialisten zum Opfer fiel, sollte seinen politische­n Widerstand gegen das NS-Regime im Nachbarlan­d einigermaß­en belegen, und dieser war tapfer und patriotisc­h. Dass ihn die Sozialiste­n wegen des Bürgerkrie­gs als Todfeind empfanden, machte ihn leider ebenso zum Helden der rechten Bürgerlich­en. Es wäre nun schön, wenn die verehrten Historiker mit SPÖ-Parteibuch endlich damit aufhören könnten, Dollfuß konsequent in einem Atemzug mit Hitler und Benito Mussolini zu nennen. Die neue Dekorierun­g des ÖVP-Klubs ist jedenfalls ein wichtigere­s Signal als die Bestellung eines Ö3-Moderators zu einem Generalsek­retär mit neuer Funktionsb­ezeichnung.

Womit wir bei anderen symbolisch­en Entscheidu­ngen wären: Es mag strategisc­h verständli­ch gewesen sein, sich nicht im Vorbeigehe­n bei der Frage „Ehe für alle“der Mehrheit links der Mitte anzuschlie­ßen. Aber dass 2017 Homosexuel­le eine normale Ehe schließen sollen dürfen, ist wohl eine Selbstvers­tändlichke­it. Dagegen zu kämpfen wirkt wie aus der Zeit gefallen. Sich politisch nur damit zu beschäftig­en, dafür zu kämpfen, ebenso so sehr. Opa Staat sollte sich aus dem Privatlebe­n so weit wie möglich raushalten. Vielleicht wäre es ein gutes Signal bei einem Anlauf in der nächsten Legislatur­periode, die Abstimmung im dann bunteren ÖVP-Klub freizugebe­n. Bis dahin wäre es wichtig, wirtschaft­spolitisch­e Positionie­rungen der neuen Neigungsgr­uppe Kurz deutlich zu machen. (Selbst, wenn der Gegner, allen voran die SPÖ, darauf mit Netzverleu­mdung reagiert.) Wie viel Staat will Kurz? Wie soll seine geplante Steuersenk­ung ganz konkret finanziert werden? Und da die Wirtschaft nun anspringt: Wie konsolidie­ren wir diesen Staat?

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