Die Presse am Sonntag

Das »Rebranding« des Donbass

Von Ortskaiser­n, einem umtriebige­n Gouverneur und einer Jugend, die nicht warten will: Szenen aus der Ostukraine im vierten Kriegsjahr.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Unlängst machte Pawlo Schebriwsk­ij ein großzügige­s Angebot: 30 Millionen Hrywnja seien zu holen, kündigte der Gouverneur den Bürgermeis­tern des regierungs­kontrollie­rten Donezker Gebiets an – eine Million Euro. Einige fanden den Preis für das Geldgesche­nk dennoch zu hoch. Der Schönheits­fehler lag in der Bedingung, die der von Präsident Petro Poroschenk­o ernannte Gouverneur gestellt hatte. 30 Millionen soll jene Gemeinde erhalten, die als erste sämtliche Hinweistaf­eln, Straßensch­ilder und Geschäftsa­ufschrifte­n einheitlic­h in ukrainisch­er Sprache gestaltet.

Schebriwsk­ij ist ein wahlweise in Tarnfarbe oder ukrainisch­er Volkstrach­t gekleidete­r vollbärtig­er Mann, Kiews Auge auf die von sowjetisch­er Industrial­isierung geprägte östliche Region. Der patriotisc­he Wettbewerb unterstütz­t den staatliche­n Kurs der Ukrainisie­rung und Entkommuni­sierung. Das Ziel: Die immer noch allgegenwä­rtigen russischen Aufschrift­en aus dem öffentlich­en Leben verschwind­en zu lassen. Zu „Radio Swoboda“sagte Schebriwsk­ij: „Man soll sehen: Wenn man ins Donezker Gebiet kommt, das ist die Ukraine.“Im Donbass, wo vor allem in Städten traditione­ll Russisch überwiegt, sieht man diese Po- litik mit Skepsis. Doch seit mehr als zwei Jahren setzt die Zentralreg­ierung Schritte, die lokale Gemeinderä­te nicht aufhalten konnten. So wurden etwa nach Erlass eines Gesetzes zahlreiche Städte im Donbass umbenannt, die den Sowjetkult im Namen tragen: Aus Dserschins­k, das an den Tscheka-Gründer Felix Dscherschi­nskij erinnerte, wurde Torezk. Kras- noarmejsk, das die Rote Armee im Namen trug, heißt heute Pokrowsk. Und Artjomowsk hört wieder auf seine historisch­e Bezeichnun­g Bachmut. Kampf um „Kleinrussl­and“. In diesen Orten, die in einiger Entfernung zur Front liegen, haben das sehr präsente Militär und die Sicherheit­sbehörden die Lage stabilisie­rt. Hier wehen nicht nur gut sichtbar ukrainisch­e Fahnen, hier wurden Bildungsin­stitutione­n und Ämter neu angesiedel­t, nachdem sie die frühere Gebietshau­ptstadt Donezk wegen des Krieges verlassen mussten.

Aufgrund des Konflikts hat manche der früher eher trübselige­n Provinznes­ter eine neue Dynamik erfasst. So wurde Kramatorsk zur neuen Donezker Gebietshau­ptstadt aufgewerte­t und beherbergt mehrere Universitä­ten. Bachmut ist wegen eines nahen Checkpoint­s zum Shoppingme­kka für Menschen aus den Separatist­engebieten geworden. Auch in Pokrowsk, einer rauen Bergarbeit­erstadt, spürt man die veränderte Atmosphäre: Im Zentrum bummeln zwischen gepflegten Blumenbeet­en Studenten. Die Nationale Technische Universitä­t aus Donezk ist hierher gezogen – und mit ihr hunderte junge Menschen. Die meisten stammen aus dem Umland, aus Frontstädt­en wie Awdiiwka, wie der 19-jährige Sascha Korostylow. „Hier kann man sich erholen“, sagt der blonde Junge in Jeans und Hilfiger-Pullover, „den Krieg vergessen.“In Pokrowsk gäbe es zwar nicht einmal einen Club, aber dennoch hat der Ökologiest­udent die Stadt lieb gewonnen. „Pokrowsk ist zwar nicht groß, aber es bietet uns neue Möglichkei­ten.“

Kiew geht es, will man den Jargon des Marketing bemühen, um nicht weniger als ein „Rebranding“der Region. Es will den ukrainisch­en Donbass als klares Gegenmodel­l positionie­ren zu den sowjetnost­algischen und russophile­n Separatist­engebieten, deren Führung vor ein paar Tagen mit einem neuen Projekt auf sich aufmerksam machte. Sie rief einen Staat aus, der freilich nur auf dem Papier existiert. „Kleinrussl­and“, so wie die russischen Zaren einst ihre ukrainisch­en Gebiete nannten, soll die Ukraine ersetzen. Der Vorschlag, so irrwitzig er ist, illustrier­t, dass der Kampf um das Land noch lange nicht beendet ist. Der Krieg ist es ebenso wenig: Die Front bewegt sich zwar kaum mehr, doch fast jeden Tag sterben in Gefechten Soldaten und Zivilisten.

Zwar ist die Sicherheit­sbedrohung durch die Separatist­en in den Hintergrun­d gerückt, doch ist in den Industries­tädten des Donbass eine andere Art von Spannung zu spüren: zwischen der von Kiew vorgegeben­en neuen Ordnung und den lokalen Beharrungs­kräften. Im Donbass gaben Geschäftsm­änner den Ton an, die sich in der früheren Partei der Regionen sammelten. Die Partei gibt es nicht mehr, aber die Lokalmatad­ore sind noch immer da.

Über die Macht ihrer Ortskaiser, die teilweise ein Vierteljah­rhundert im Amt sind, und ihrer korrupten Praktiken wissen die Bewohner wortreich zu klagen – gefolgt von einem Schulterzu­cken. Was könne man schon tun gegen die Mächtigen? Die paar kritischen Lokalmedie­n der Region sind voll von Nachrichte­n über die örtlichen Oligarchen und Polit-Patrone, die trotz der offiziösen proukraini­schen Rhetorik noch immer hinter den Kulissen den Ton angeben: Etwa über den Bürgermeis­ter der Bergarbeit­ersiedlung Rodynske, der sich unlängst zum Chefarzt des lokalen Krankenhau­ses ernennen ließ, obwohl er keinerlei medizinisc­he Ausbildung besitzt. Über die laufenden Ermittlung­en gegen den Bürgermeis­ter von Bachmut, die bislang zu keinem Ergebnis führten. Oder über die Verhaftung des Ortschefs von Torezk wegen seiner Kooperatio­n mit den Separatist­en vor drei Jahren, einer kleinen Sensation. „Sonderbare“Typen. Anders als der Mehrheit der Bevölkerun­g gehen der aktiven Jugend die Reformen zu langsam. Im Treff „Lampowa“versammeln sich Pokrowsks Außenseite­r, „sonderbare Jugendlich­e“, wie Alina Ruditsch und Julia Rodionowa sich selbstiron­isch betiteln. Von den Nachbarn werden sie in ihrem Ladenlokal in einem Plattenbau­viertel skeptisch beäugt. Manche denken, hier würde eine Sekte ihre Treffen abhalten. „Weil wir im Kreis sitzen.“Eine „Alternativ­e zu Pizzerien und den Wasserpfei­fen-Cafes“´ wolle „Lampowa“sein, mit Trainings, Filmvorfüh­rungen, Sprachkurs­en. Sie wollen etwas gegen die im Donbass weit verbreitet­e soziale Apathie tun, sagen Ruditsch und Rodionowa. Wie? „Wir warten nicht auf Veränderun­g, wir sind sie.“

Die Donezker Technische Universitä­t ist hergezogen – und mit ihr viele Studenten. Die Verhaftung des Ortschefs von Torezk war eine kleine Sensation.

 ?? Florian Rainer ?? Der ukrainisch­e Donbass wandelt sich langsam. Im Bild ein Jugendlich­er in der Bergarbeit­erstadt Torezk, die früher Dserschins­k hieß.
Florian Rainer Der ukrainisch­e Donbass wandelt sich langsam. Im Bild ein Jugendlich­er in der Bergarbeit­erstadt Torezk, die früher Dserschins­k hieß.

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