NITRAT
Das intensive Düngen hat das Grundwasser im Marchfeld verschmutzt. Da die Leopoldsdorfer ihr Wasser trotzdem aus Brunnen beziehen, droht das Land mit Betriebsschließungen.
Den Betrieben eines ganzen Ortes wird vom Land Niederösterreich die Zwangsschließung angedroht. Das betrifft Bauern ebenso wie die Konditorei, den Würstelstand oder den Frisör – im Großen und Ganzen alle, die für ihre Arbeit Wasser benötigen. Dazu hat das Land verordnet, dass bis auf Weiteres kein Grund mehr in Bauland umgewidmet werden darf.
Dass die Landesregierung zu solch drastischen Mitteln greift, kann als letzte, verzweifelte Erziehungsmaßnahme gesehen werden. Denn Leopoldsdorf im Marchfeld ist eine Art gallisches Dorf, dessen Bürger seit Jahren erbitterten Widerstand gegen eine zentrale Wasserversorgung leisten. Sie beziehen Wasser aus ihren hauseigenen Brunnen, gießen, waschen, kochen damit – und trinken es. Und das, obwohl der Schadstoffwert doppelt so hoch wie der erlaubte Grenzwert ist. Gülle. Der Übeltäter heißt Nitrat und ist ein Schadstoff, der durch die intensive Landwirtschaft und Überdüngung mit Gülle in das Grundwasser gelangt ist. Der durchlässige Boden des Marchfelds und das sich langsam austauschende Grundwasser haben das Ihre zu der hohen Konzentration beigetragen. Vor allem für Säuglinge und Kleinkinder ist Nitrat schädlich. Es hemmt den Sauerstofftransport im Blut und kann im schlimmsten Fall zu innerer Erstickung führen. Auch für Erwach- sene ist Nitrat in hoher Konzentration und vor allem a` la longue schädlich. Das gesamte Marchfeld kämpft seit Jahrzehnten mit der Belastung. Bis auf sechs kleine Gemeinden wurde dieses aber schon an die zentrale Wasserversorgung und somit an Filteranlagen angeschlossen. Leopoldsdorf mit seinen 3200 Einwohnern (Haupt- und Nebenwohnsitz) ist wohl die größte Gemeinde, die das noch nicht getan hat. Nun wurde der Gemeinde eine zwölfmonatige Frist gesetzt, um einen detaillierten Zeitplan zu präsentieren, wie eine zentrale Wasserversorgung umgesetzt werden kann.
Bürgermeister Thomas Nentwich (SPÖ) versucht, die Leopoldsdorfer seit Jahren von der Sinnhaftigkeit der Leitung zu überzeugen. Bisher ohne Erfolg. „Eine Befragung hat ergeben, dass das überwiegend nicht gewünscht ist“, sagt er zur „Presse am Sonntag“. Ein Ergebnis, das der Mehrheitsbevölkerung Österreichs, die Trinkwasser aus der Leitung bezieht, wohl unverständlich erscheint: Denn was kann man schon gegen schadstofffreies, sauberes Wasser haben, das nicht krankt macht?
„Reine Geldmacherei“, „Der Anschluss kostet jeden Haushalt Tausende Euro, wer soll das zahlen? Selbst wenn ich Wasserflaschen bis an das Ende meines Lebens bezahle, ist das billiger.“„Bisher sind wir auch nicht gestorben, sondern uralt geworden.“Und: „Warum sollen wir für das bezahlen, was die Landwirtschaft verbrochen hat“, hört man beim Würstelstand gegenüber dem Gemeindeamt. Die Leitung zu einem Einfamilienhaus kostet rund 2500 Euro und mehr.
Auch wenige Meter weiter in der Konditorei haben die Damen, die hier im Gastgarten sitzen, eine eindeutige Meinung: Eine zentrale Wasserversorgung braucht es nicht, der Brunnen tut es vollkommen. „Wer sagt, dass die Konzerne den Preis für Wasser nicht hochtreiben?“, sagt eine Dame. Eine andere: „Ich bin alt und Witwe. Haben Sie schon einmal als alte Witwe versucht, einen Kredit zu bekommen? Ich kann das sowieso nicht zahlen.“Außerdem glaubt man nicht daran, dass Nitrat überhaupt krank macht – immerhin vertritt auch der pensionierte praktische Arzt des Dorfes diese Meinung. Und er muss es immerhin wissen. Planungen. Ob die Bewohner es wollen oder nicht, die Wasserleitung wird geplant und umgesetzt. Ein einstimmiger Gemeinderatsbeschluss liegt nach langem Hin und Her nun endlich vor. Angebote werden eingeholt, Ausschreibungen vorbereitet – im Idealfall sollen im Frühjahr 2018 die ersten Grabungsarbeiten beginnen. „Wir werden zuerst die öffentlichen Gebäude anschließen, und mit gutem Vorbild vorangehen“, sagt Nentwich. „Und dann hoffen wir, dass die anderen nachziehen, wenn sie
Grundwasser.
In 85 Prozent der niederösterreichischen Landesfläche entspricht die Grundwasserqualität den EU-Vorgaben. Aufgrund der hohen Werte sind das Marchfeld und das südliche Wiener Becken (Prellenkirchner Flur) als voraussichtliche Maßnahmengebiete einzustufen. Das Weinviertel und das Untere Ennstal werden als Beobachtungsgebiete ausgewiesen. Bis auf den Prellenkirchner Flur und das Untere Ennstal sind die Nitratgehalte in den vergangenen sechs Jahren bereits leicht gefallen.
Leopoldsdorf.
Der Ort mit seinen 3200 Einwohnern ist der letzte dieser Größe, der in Niederösterreich nicht an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen ist. Gleichzeitig ist das Grundwasser (und somit das Trinkwasser) schwer kontaminiert. Die Gemeinde muss nun eine zentrale Wasserversorgung (statt Brunnen) errichten. Das Projekt kostet die Gemeinde rund 7,2 Millionen Euro, bei drei Millionen Euro Gemeindebudget. Rund 40 Prozent der Kosten würden Land und Bund fördern. Der Rest soll sich durch Anschlusskosten finanzieren. Diese liegen pro Einfamilienhaus bei etwa 2500 Euro. die Vorteile sehen.“Werden sie wohl müssen: Denn eine Anschlusspflicht wird per Verordnung erlassen. „Wir versuchen, eine sozial verträgliche Lösung für alle zu finden, die es sich wirklich nicht leisten können“, sagt Nentwich. Er will versuchen, so gut wie möglich auf die Bedürfnisse aller einzugehen – etwa, an welcher Stelle in den Garten gegraben wird –, und bei den Bauarbeiten Hilfestellungen leisten. „Auch wenn die Begeisterung nicht groß ist, ich denke, es ist der richtige Schritt. Auch für die nachfolgenden Generationen, die hier Häuser erben“, sagt Nentwich. Und: „Wir werden nicht irgendwann der letzte Ort Österreichs sein können, der keine zentrale Wasserversorgung hat.“
So sieht das auch eine junge Frau, die hier vor einiger Zeit ein Haus ge-
Beinahe im ganzen Marchfeld sind die Werte für Nitrat höher als vorgeschrieben. Die Gemeinde bezahlt Mineralwasserflaschen für Schule und Kindergarten.
erbt hat, das nun saniert werden soll. „Ich bin hier aufgewachsen und habe schon damals als Kind nur Wasser aus Flaschen getrunken. Oder wir haben uns Kanister von Freunden in Wien anfüllen lassen – die Menschen tun das heute noch. Das ist schade. Es ist doch gut, wenn das aufhört“, sagt sie.
Aufhören soll auch die Ursache der Nitratverseuchung des Grundwassers, die vor allem stark das Marchfeld, das Weinviertel, das südliche Wiener Becken sowie die Parndorfer Platte im Burgenland betrifft. Die Landwirtschaft wird sich auf lange Sicht verändern müssen. Auf Bundesebene ist darum gerade ein neuer Aktionsplan Nitrat in Endabstimmung. Künftig soll deutlich weniger gedüngt werden dürfen – etwa nur mehr dann, wenn ein Feld danach auch bepflanzt wird. Auch dürfen künftig nur mehr bestimmte Sorten gedüngt werden – Mais und Getreide müssen ohne auskommen. Dazu muss ganz genau dokumentiert werden, wann gedüngt wurde. Und das wird kontrolliert.
Das sind zwar erste Schritte zur Nitratreduktion – laut Studien wird es aber noch Jahrzehnte dauern, bis es sich abgebaut hat und das Grundwasser wieder sauber ist.