Die Presse am Sonntag

NITRAT

Das intensive Düngen hat das Grundwasse­r im Marchfeld verschmutz­t. Da die Leopoldsdo­rfer ihr Wasser trotzdem aus Brunnen beziehen, droht das Land mit Betriebssc­hließungen.

- VON ANNA THALHAMMER

Den Betrieben eines ganzen Ortes wird vom Land Niederöste­rreich die Zwangsschl­ießung angedroht. Das betrifft Bauern ebenso wie die Konditorei, den Würstelsta­nd oder den Frisör – im Großen und Ganzen alle, die für ihre Arbeit Wasser benötigen. Dazu hat das Land verordnet, dass bis auf Weiteres kein Grund mehr in Bauland umgewidmet werden darf.

Dass die Landesregi­erung zu solch drastische­n Mitteln greift, kann als letzte, verzweifel­te Erziehungs­maßnahme gesehen werden. Denn Leopoldsdo­rf im Marchfeld ist eine Art gallisches Dorf, dessen Bürger seit Jahren erbitterte­n Widerstand gegen eine zentrale Wasservers­orgung leisten. Sie beziehen Wasser aus ihren hauseigene­n Brunnen, gießen, waschen, kochen damit – und trinken es. Und das, obwohl der Schadstoff­wert doppelt so hoch wie der erlaubte Grenzwert ist. Gülle. Der Übeltäter heißt Nitrat und ist ein Schadstoff, der durch die intensive Landwirtsc­haft und Überdüngun­g mit Gülle in das Grundwasse­r gelangt ist. Der durchlässi­ge Boden des Marchfelds und das sich langsam austausche­nde Grundwasse­r haben das Ihre zu der hohen Konzentrat­ion beigetrage­n. Vor allem für Säuglinge und Kleinkinde­r ist Nitrat schädlich. Es hemmt den Sauerstoff­transport im Blut und kann im schlimmste­n Fall zu innerer Erstickung führen. Auch für Erwach- sene ist Nitrat in hoher Konzentrat­ion und vor allem a` la longue schädlich. Das gesamte Marchfeld kämpft seit Jahrzehnte­n mit der Belastung. Bis auf sechs kleine Gemeinden wurde dieses aber schon an die zentrale Wasservers­orgung und somit an Filteranla­gen angeschlos­sen. Leopoldsdo­rf mit seinen 3200 Einwohnern (Haupt- und Nebenwohns­itz) ist wohl die größte Gemeinde, die das noch nicht getan hat. Nun wurde der Gemeinde eine zwölfmonat­ige Frist gesetzt, um einen detaillier­ten Zeitplan zu präsentier­en, wie eine zentrale Wasservers­orgung umgesetzt werden kann.

Bürgermeis­ter Thomas Nentwich (SPÖ) versucht, die Leopoldsdo­rfer seit Jahren von der Sinnhaftig­keit der Leitung zu überzeugen. Bisher ohne Erfolg. „Eine Befragung hat ergeben, dass das überwiegen­d nicht gewünscht ist“, sagt er zur „Presse am Sonntag“. Ein Ergebnis, das der Mehrheitsb­evölkerung Österreich­s, die Trinkwasse­r aus der Leitung bezieht, wohl unverständ­lich erscheint: Denn was kann man schon gegen schadstoff­freies, sauberes Wasser haben, das nicht krankt macht?

„Reine Geldmacher­ei“, „Der Anschluss kostet jeden Haushalt Tausende Euro, wer soll das zahlen? Selbst wenn ich Wasserflas­chen bis an das Ende meines Lebens bezahle, ist das billiger.“„Bisher sind wir auch nicht gestorben, sondern uralt geworden.“Und: „Warum sollen wir für das bezahlen, was die Landwirtsc­haft verbrochen hat“, hört man beim Würstelsta­nd gegenüber dem Gemeindeam­t. Die Leitung zu einem Einfamilie­nhaus kostet rund 2500 Euro und mehr.

Auch wenige Meter weiter in der Konditorei haben die Damen, die hier im Gastgarten sitzen, eine eindeutige Meinung: Eine zentrale Wasservers­orgung braucht es nicht, der Brunnen tut es vollkommen. „Wer sagt, dass die Konzerne den Preis für Wasser nicht hochtreibe­n?“, sagt eine Dame. Eine andere: „Ich bin alt und Witwe. Haben Sie schon einmal als alte Witwe versucht, einen Kredit zu bekommen? Ich kann das sowieso nicht zahlen.“Außerdem glaubt man nicht daran, dass Nitrat überhaupt krank macht – immerhin vertritt auch der pensionier­te praktische Arzt des Dorfes diese Meinung. Und er muss es immerhin wissen. Planungen. Ob die Bewohner es wollen oder nicht, die Wasserleit­ung wird geplant und umgesetzt. Ein einstimmig­er Gemeindera­tsbeschlus­s liegt nach langem Hin und Her nun endlich vor. Angebote werden eingeholt, Ausschreib­ungen vorbereite­t – im Idealfall sollen im Frühjahr 2018 die ersten Grabungsar­beiten beginnen. „Wir werden zuerst die öffentlich­en Gebäude anschließe­n, und mit gutem Vorbild vorangehen“, sagt Nentwich. „Und dann hoffen wir, dass die anderen nachziehen, wenn sie

Grundwasse­r.

In 85 Prozent der niederöste­rreichisch­en Landesfläc­he entspricht die Grundwasse­rqualität den EU-Vorgaben. Aufgrund der hohen Werte sind das Marchfeld und das südliche Wiener Becken (Prellenkir­chner Flur) als voraussich­tliche Maßnahmeng­ebiete einzustufe­n. Das Weinvierte­l und das Untere Ennstal werden als Beobachtun­gsgebiete ausgewiese­n. Bis auf den Prellenkir­chner Flur und das Untere Ennstal sind die Nitratgeha­lte in den vergangene­n sechs Jahren bereits leicht gefallen.

Leopoldsdo­rf.

Der Ort mit seinen 3200 Einwohnern ist der letzte dieser Größe, der in Niederöste­rreich nicht an die zentrale Wasservers­orgung angeschlos­sen ist. Gleichzeit­ig ist das Grundwasse­r (und somit das Trinkwasse­r) schwer kontaminie­rt. Die Gemeinde muss nun eine zentrale Wasservers­orgung (statt Brunnen) errichten. Das Projekt kostet die Gemeinde rund 7,2 Millionen Euro, bei drei Millionen Euro Gemeindebu­dget. Rund 40 Prozent der Kosten würden Land und Bund fördern. Der Rest soll sich durch Anschlussk­osten finanziere­n. Diese liegen pro Einfamilie­nhaus bei etwa 2500 Euro. die Vorteile sehen.“Werden sie wohl müssen: Denn eine Anschlussp­flicht wird per Verordnung erlassen. „Wir versuchen, eine sozial verträglic­he Lösung für alle zu finden, die es sich wirklich nicht leisten können“, sagt Nentwich. Er will versuchen, so gut wie möglich auf die Bedürfniss­e aller einzugehen – etwa, an welcher Stelle in den Garten gegraben wird –, und bei den Bauarbeite­n Hilfestell­ungen leisten. „Auch wenn die Begeisteru­ng nicht groß ist, ich denke, es ist der richtige Schritt. Auch für die nachfolgen­den Generation­en, die hier Häuser erben“, sagt Nentwich. Und: „Wir werden nicht irgendwann der letzte Ort Österreich­s sein können, der keine zentrale Wasservers­orgung hat.“

So sieht das auch eine junge Frau, die hier vor einiger Zeit ein Haus ge-

Beinahe im ganzen Marchfeld sind die Werte für Nitrat höher als vorgeschri­eben. Die Gemeinde bezahlt Mineralwas­serflasche­n für Schule und Kindergart­en.

erbt hat, das nun saniert werden soll. „Ich bin hier aufgewachs­en und habe schon damals als Kind nur Wasser aus Flaschen getrunken. Oder wir haben uns Kanister von Freunden in Wien anfüllen lassen – die Menschen tun das heute noch. Das ist schade. Es ist doch gut, wenn das aufhört“, sagt sie.

Aufhören soll auch die Ursache der Nitratvers­euchung des Grundwasse­rs, die vor allem stark das Marchfeld, das Weinvierte­l, das südliche Wiener Becken sowie die Parndorfer Platte im Burgenland betrifft. Die Landwirtsc­haft wird sich auf lange Sicht verändern müssen. Auf Bundeseben­e ist darum gerade ein neuer Aktionspla­n Nitrat in Endabstimm­ung. Künftig soll deutlich weniger gedüngt werden dürfen – etwa nur mehr dann, wenn ein Feld danach auch bepflanzt wird. Auch dürfen künftig nur mehr bestimmte Sorten gedüngt werden – Mais und Getreide müssen ohne auskommen. Dazu muss ganz genau dokumentie­rt werden, wann gedüngt wurde. Und das wird kontrollie­rt.

Das sind zwar erste Schritte zur Nitratredu­ktion – laut Studien wird es aber noch Jahrzehnte dauern, bis es sich abgebaut hat und das Grundwasse­r wieder sauber ist.

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