Das Idyll am langen Radweg
Warren Barguil und Renaud Bardet erfüllten Frankreich bei der 104. Tour de France mit Stolz und gaben Hoffnung, dass ein Heimsieg bei der »Grande Boucle« keine Illusion ist. Chris Froomes Vorfahrt konnte heuer noch keiner stoppen.
Wieder kein gelbes Trikot. Seit nunmehr 32 Jahren. Und dennoch ist Frankreich von seinem „grand spectacle“Tour de France und seinen neuen Helden hellauf begeistert wie lange nicht mehr. Wie zu Zeiten Laurent Fignons und Bernard Hinaults, des letzten französischen Siegers 1985. Warren Barguil, 25, und Romain Bardet, 26, haben „la Grande Boucle“(große Schleife) in diesem Sommer geprägt und sind der neue Stolz der „Grande Nation“. Es passt perfekt ins Bild des neuen französischen Nationalgefühls, dass der jugendliche Staatspräsident Emanuel Macron, 39, am Ziel der Galibier-Etappe in Briancon den Bretonen Barguil inniglich umarmte wie einen engen Freund. Die politischen und sportlichen Aufsteiger des Jahres lagen sich in den Armen.
Warren Barguil ist der Herrscher über das französische Hochgebirge, die Pyrenäen und die Alpen. Die Geste seines Triumphes auf dem 2360 Meter hohen Col d’Izoard hielt „L’E´quipe“als „absoluten Höhepunkt“dieser 104. Tour auch symbolisch auf der Titelseite fest. Barguil, das rotgepunktete Trikot des Bergkönigs weit geöffnet, streckt den rechten Zeigefinger in die Höhe und richten den Blick in den blauen Himmel. Diese ausgewählte Sieges- pose unter mehreren versinnbildlicht die drei Schlagzeilen: „Tout en haut“– Ganz oben. Platz 3, ein schwacher Trost. Dass Barguil auf seiner dritten Tour für das deutsch-lizenzierte Team Sunweb, die Nachfolge-Mannschaft von Giant-Alpecin, über die Gipfel stürmte, kann auch als sportlicher Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft gewertet werden. Er hat beim vorgezogenen Finale dieser Tour Bardet klar die Schau gestohlen. Dem Dritten des Gesamtklassements war es nicht gelungen, dem nicht nur sinnbildlich, sondern buchstäblich sattelfesten Christopher Froome, 32, im Gelben Trikot davon zu klettern. Also wird Frankreichs Gelb-Hoffnung, wie im Vorjahr, wie in den vergangenen Jahrzehnten, heute in Paris wieder von Nostalgie untermalt und begleitet sein. Bardet wird immerhin als Dritter neben dem dann viermaligen Tour-Sieger aus Großbritannien auf dem Podest stehen. Ein schwacher Trost.
Zwar hätte Bardet nur 23 Sekunden am Samstag in Marseille auf 22,5 Zeitfahrkilometern gegenüber Froome aufholen müssen, das glich jedoch einer „Mission impossible“. Das hatte man zwar auch 1989 gedacht, als vor dem finalen Zeitfahren Versailles-Paris über 24,5 Kilometer Greg LeMond sogar 50 Sekunden Rückstand zu Fignon hatte. Aber der Amerikaner montierte erstmals einen Triathlon-Lenker auf das Rad, es war die „Geburt“der modernen Zeitfahrräder. Fignon verlor die Tour um acht Sekunden. Doch Bardet ist kein LeMond, der schon 1986 TourSieger war. Froome, schon sechsmaliger Zeitfahrsieger bei der Tour, setzte alles darauf. Es war auch Prestigesache, immerhin gewann er bei den Sommerspielen 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro Gold im Zweitfahren. Radbegeisterung reloaded. Froomes unspektakuläre Präsenz und Dominanz konnten der Tour-Euphorie nichts anhaben. Denn diese Hochgebirgs-Etappen bleiben die gigantischsten Arenen der Welt, mit Millionen Zuschauern. Stundenlange Staus von bis zu dreißig Kilometern nehmen Radsportfans in Campingwägen in Kauf, wenn sie von einem Gipfel zum nächsten schleichen und sich am Straßenrand dann nebeneinander auffädeln wie ihre Helden im Peloton. Schwarzrot-goldene Fahnen entlang der Serpentinen sieht man kaum, rotweißrote ebenso. Dabei waren mit Bernhard Eisel (Dimension Data), Marco Haller (Katjuscha) und Michael Gogl (Trek) drei ÖRV-Starter dabei, die auch ins Ziel fahren sollten.
Deutschlands neue Tour-Begeisterung, ausgelöst vom „Grand Depart“in Düsseldorf und fünf Etappensiegen durch Marcel Kittel, findet nur noch vor dem Fernseher statt und nicht mehr entlang der Strecke. Das war zu Jan-Ullrichs-Zeiten noch ganz anders.
Die Zukunft der Tour gehört Chris Froomes »Dauphin« (Kronprinz): Romain Bardet.
Und 2018! Frankreichs Tour-Taumel aber wird in den nächsten Jahren anhalten und sich sogar steigern. Fünf Etappensiege von Arnoud Demare,´ Lilian Calmejane, Romain Bardait, Warren Barguil (doppelter Coup am 14.Juli und auf dem Izoard) und dessen BergTrikot lassen die „Tricolore“im Wind des nationalen Stolzes wehen. Bald dürfte Froome abtreten oder, wie Alberto Contador, seinem Alter Tribut zahlen müssen. Die Zukunft gehört Froomes „Dauphin“(Kronprinz) Romain Bardet, auch wegen seines Alters von erst 26 Jahren. Seine normale Entwicklung zeichnet eine positive Route: Sechster 2014, Neunter 2015, Zweiter 2016, Dritter 2017. Erster 2018?