Die Presse am Sonntag

»Männer haben alle Vorrechte«

In den Palästinen­sergebiete­n führen Frauenorga­nisationen einen mühsamen Kampf gegen eine patriarcha­le Gesellscha­ft und den zunehmend drückenden Einfluss des Islam.

- VON GERHARD BITZAN

Wenn es um Rechte von Frauen geht, kann Nadia Abu Nahleh ganz schön zornig werden. „Selbst in Ägypten ist das Familien- und Scheidungs­recht adaptiert worden. Nur bei uns Palästinen­sern gilt noch ein uraltes, aus ägyptische­r Zeit stammendes Gesetz, das Männern alle Vorrechte gibt.“Nadia weiß, wovon sie spricht: Sie ist seit 25 Jahren Frauenrech­tsaktivist­in und lebt in Gaza, wo das Leben für Frauen seit der Machtübern­ahme der islamistis­chen Hamas vor mehr als zehn Jahren noch härter geworden ist.

Vor allem im Alltag: „Wir konnten uns früher am Strand entspannen. Dort dürfen wir jetzt nur in männlicher Begleitung – Mann, Vater oder Bruder – und in voller islamische­r Kleidung hin. Wir durften einst in der Öffentlich­keit die traditione­lle Shisha rauchen, wie die Männer. Das ist jetzt alles verboten.“ Verbote, Verbote, Verbote. Dass diese Regeln eingehalte­n werden, darüber wachen Komitees, erzählt sie. Und dann ist da noch die systembedi­ngte Unterdrück­ung durch das alte islamische Familienre­cht, das Frauen bei einer Scheidung weit weniger Rechte eingesteht als Männern und auch bei Gewalt gegen Frauen der Darstellun­g des Mannes mehr Glauben schenkt. Nadia nennt das Beispiel einer Frau, die von ihrem Mann getrennt lebt. Nach zehn Jahren sei er zurückgeko­mmen und wollte plötzlich sein Kind wiederhabe­n. Da sie sich dagegen wehrte, sitzt sie jetzt im Gefängnis.

Nadia leitet das Gaza-Büro des WATC (Women’s Affairs Technical Committee), einer Organisati­on, die sich vorgenomme­n hat, in den Palästinen­sergebiete­n durch Ausbildung, Mobilisier­ung und mehr Kooperatio­n bessere Voraussetz­ungen für Frauen zu schaffen und sich politisch über Parteigren­zen hinweg für mehr Frauenrech­te zu engagieren. „Ich will die Frauen verändern“, gibt sie sich optimistis­ch.

Gerade im Gazastreif­en ist dies besonders schwierig: Durch die militärisc­hen Auseinande­rsetzungen mit Israel seien viele Häuser zerstört, viele Frauen haben ihre Männer verloren. Fazit: „Sie sind jetzt noch abhängiger von der Männergese­llschaft als vorher.“

Die Benachteil­igung von Frauen gehe bis ins kleinste Detail, sagt die WATC-Aktivistin. So sei die Gesundheit­sversorgun­g sehr schlecht. Für schwerere Eingriffe oder gar Krebsbehan­dlung müsse man ins Westjordan­land. „Doch Genehmigun­gen dafür sind rar; und die Gaza-Verwaltung schickt lieber Männer zur Behandlung als Frauen. Mit dem Argument, das seien ja die Hauptverso­rger der Familien.“ Wir befinden uns in Ramallah, der Hauptstadt der Palästinen­sergebiete, und Nadia ist per Videokonfe­renz zugeschalt­et. Verlassen darf sie den Gazastreif­en nämlich nicht. Immer wieder bricht das Gespräch ab, denn in Gaza herrscht derzeit extremer Strommange­l. Schuld daran ist ein innerpaläs­tinensisch­er Machtkampf zwischen Hamas und Fatah über die Finanzieru­ng. Das erschwert nicht nur das tägliche Leben, sondern indirekt auch die Arbeit für die Frauenorga­nisationen: „Wie sollen wir Frauen überzeugen, dass sie sich für ihre Rechte einsetzen und mit uns Genderthem­en besprechen sollen, wenn sie immer daran denken, wann sie endlich Strom für ihren Haushalt haben?“ Männern glaubt man mehr. Ramallah ist eine andere Welt als Gaza: offen, mit Lokalen, Frauen tragen moderne, aber auch islamische Kleidung. Doch auch hier, im Westjordan­land, ist die Gleichstel­lung der Frau begrenzt. Das palästinen­sische Ehe- und Familienre­cht ist weitgehend das gleiche wie in Gaza. So herrscht auch im Westjordan­land das Prinzip, dass vor Richtern das Wort einer Frau halb so viel zählt wie das eines Mannes. Erst vor Wochen legte der Oberste Richter der islamische­n Gerichtsba­rkeit in Ramallah, Mahmoud al-Habash, das Scheidungs­recht kurzerhand auf Eis: Für die Dauer des Fastenmona­ts erlaubte er keine Scheidunge­n. Es würden nur „unangemess­ene Anträge“gestellt, so seine Argumentat­ion.

In Ramallah treffen wir Fadwa Khader. Auch sie ist Frauen- und Menschenre­chtsaktivi­stin und parteipoli­tisch tätig, nämlich für die Palästinen­sische Volksparte­i, die früheren Kommuniste­n. In der Politik sei die Situation der Palästinen­serinnen ebenfalls nicht rosig, klagt sie. 17 von 132 Sitzen im palästinen­sischen Legislativ­rat nehmen Frauen ein. Nicht besser sieht es an der Spitze aus. Drei von 24 Kabinettsm­itgliedern sind Frauen – und da sind es Ressorts wie Frauenange­legenheite­n und Kultur.

»Wir wussten nicht, dass Frauen gleich sind. Das war in unserer Familie kein Thema.«

Diese Männergese­llschaft. Sie habe von ihrer Mutter gelernt zu kämpfen, für die Rechte der Palästinen­ser und Frauen einzutrete­n. Das sei nicht leicht in dieser männerorie­ntierten Gesellscha­ft, sagt sie und nennt Beispiele. So habe sie bei einer Lokalwahl kandidiere­n wollen und sei vom Hamas-Kandidaten immer wieder verbal attackiert worden: Warum sie über Frauenrech­te rede, das habe doch nichts mit dem Kampf für Palästina zu tun. Außerdem zerstöre sie mit ihren Forderunge­n die Familie. Immer wieder werde versucht, Frauenrech­te zu untergrabe­n: So wurden etwa im Vorfeld der Kommunalwa­hlen im Mai Kandidaten­listen verbreitet, auf denen die Frauen nicht mit ihrem Namen, sondern nur als „Frau von . . .“, „Schwester von . . .“verzeichne­t waren.

In Qalqiliya, einer Stadt an der Grenze zwischen Westjordan­land und Israel, besteht in der Habla Secondary School eine Initiative, bei der Schüler und Erwachsene über Frauenrech­te informiert werden und darüber diskutiere­n. Das Interesse wachse, erzählen Schüler. Möglicherw­eise ändert sich tatsächlic­h die Einstellun­g. „Wir wussten nicht, dass Frauen gleich sind, das war in unserer Familie kein Thema“, so ein 16-Jähriger. „Aber nun wissen wir es.“

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