»Einen Schritt zu weit«
Die britisch-französische Schauspielerin Kristin Scott-Thomas spricht im Interview über die Dreharbeiten zu »The Party«, den Brexit, wie es ist, eine mörderische Mutter zu spielen, und wie man es als alleinerziehende Schauspielerin schafft, drei Kinder gr
Wer Kristin Scott-Thomas noch nicht erlebt hat, auf den kann die 57-Jährige einschüchternd und schnippisch wirken. Beim Interview im Berliner Regent Hotel wird schnell klar: Hier gilt der Spruch „Harte Schale, weicher Kern“. Und gerade weil sie nicht ganz pflegeleicht ist, ist sie auch in ihren Aussagen erfrischend unverblümt. In „The Party“sind Sie als Politikerin bei einer britischen Abendgesellschaft zu sehen, die durch verschiedenste Enthüllungen außer Kontrolle gerät. Sinnigerweise drehten Sie den Film während der Brexit-Entscheidung. Kristin Scott-Thomas: Ich bin ja von Haus aus Pessimistin, deshalb hatte ich schon befürchtet, dass irgendetwas Schlimmes passiert. Trotzdem verschlug es mir danach die Sprache. Auch der Rest des Filmteams war entgeistert. Da war ein Argentinier, der in Paris lebt – so wie ich, wir hatten französische Tontechniker und einen russischen Kameramann, wir alle schauten uns an: Wie konnte das passieren? Was sind das für Leute, die dafür gestimmt haben? Die froh sind, dass sie von den Schrecken Europas befreit sind? Aber es gibt noch Menschen, die eine andere Sicht auf die Welt haben. Was eben auch zum Film passt. Denn da manifestiert sich in den Figuren im Lauf des Abends eine andere Seite ihres Charakters – ein Tier voller instinktiven Hasses und Wut. Wie kommen Sie mit eigenen extremen Emotionen zurecht? Ich habe ja das Glück und den Luxus, dass ich sie in meinen Rollen ausleben kann. Aber es gibt immer wieder Projekte, bei denen ich einen Schritt zu weit gehe. In „Only God Forgives“spielte ich eine mörderische Mutter, und dabei habe ich mich richtig krank gefühlt. Jeden Tag musste ich meine Negativität in mir ausloten und sie dann herausbringen. Das ist gefährlich, mörderisch. Zumal du davon auch nur eine bestimmte Menge hast. Du musst sie ständig am Köcheln halten, und das laugt dich total aus. Ich war heilfroh, als das vorbei war. Wie haben Sie sich davon erholt? Ich bin nach dem Dreh nach Hause gefahren. Einfach nur weg aus Bangkok, wo wir gedreht haben. Aber ich lasse mich dann trotzdem wieder auf solche Projekte ein. Ich denke dann immer, diesmal wird es anders.
Kristin Scott Thomas
wurde 1960 in Cornwall geboren. Ihr Filmdebüt hatte sei 1986 in dem Film „Under the Cherry Moon – Unter dem Kirschmond“des Musikers Prince. International bekannt wurde sie 1992 mit Roman Pola´nskis Film „Bitter Moon“. Weiters war sie in den Filmen „Der englische Patient“, „Der Pferdeflüsterer“, „Gosford Park“, „So viele Jahre liebe ich dich“zu sehen. Sie spielt auch immer wieder im Theater. Wird es das? Durchaus. Zum Beispiel stand ich danach drei Monate als Elektra auf der Bühne. Und ich hatte eigentlich erwartet, dass ich davon schlimme Depressionen bekomme. Aber im Theater gibst du solche negativen Emotionen ans Publikum weiter. Deshalb fühlte ich mich nach den Vorstellungen auch immer wohl, war nur körperlich erschöpft. Wie war die Erfahrung bei „The Party“? Da war der Zeitdruck am schlimmsten. Wir hatten nur ganz wenige Tage Drehzeit. Ich fühlte mich, als würden wir ohne genügend Vorbereitung auf die Bühne treten. Diese Vorstellung ist ein absoluter Albtraum von mir. Deshalb versuchte ich, meine Kollegen aus ihren Garderoben zu treiben, damit wir miteinander probten. Ich konnte nicht verstehen, warum sie so entspannt waren. Aber dann drehten wir die erste Szene, und alles war in Ordnung. Warum stürzen Sie sich aber immer wieder in so aufreibende Erfahrungen? Weil mich alles andere sonst langweilt. Irgendwie denke ich, dass ich alle mög- lichen Figuren bewältigen kann. Natürlich bietet man dir immer wieder dieselben Rollen an. Du kannst damit viel Geld einsammeln, wenn du bestimmte Marktnischen abdeckst. Sollte das dein Ziel sein, dann musst du nur deinen Paradeakt perfektionieren – zum Beispiel als Mutter toter Kinder. Aber meine Herangehensweise ist viel aufregender. Sie haben neben Ihren aufreibenden Rollen auch drei Kinder großgezogen, und das sogar teilweise allein. Wie schwer war das? Es hat viel Planung erfordert. Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich das alles schaffe. Das habe ich erst nach und nach begriffen. Bei meinen beiden ersten Kindern war es für eine Schauspielerin ungewöhnlich, Mutter zu sein. Aber ich habe während der Schwangerschaft gearbeitet, und sie dann einfach zum Dreh mitgebracht, auch ihr Vater hat mich unterstützt. Als alleinerziehende Mutter hatte ich dann bei meinem jüngeren Sohn gelegentlich Schuldgefühle, wenn ich im Ausland drehte und er in die Schule ging. Aber es ging eben nicht anders. Ich glaube, jede Mutter verspürt solche Gefühle.