Die Presse am Sonntag

»Mir sind die Frauen immer nachgelauf­en«

Gegen eigene Kinder habe er sich bewusst entschiede­n, sagt der österreich­ische Maler Christian Ludwig Attersee. Der Kunst habe er all seine Aufmerksam­keit gewidmet. Seine beiden Hunde geben seinem Leben ebenfalls Sinn. Sie schlafen nicht nur in seinem Bet

- VON JUDITH HECHT

Christian Ludwig Attersee: Schauen Sie, ich habe da etwas für Sie. Das ist eine sehr gute Biografie. Nämlich nicht, weil sie über mich ist, sondern über die gesamte Wiener Avantgarde der bildenden Kunst der vergangene­n 50 Jahre. Lesen Sie gern Biografien? Bei mir ist es so, ich lese immer 20 Bücher gleichzeit­ig. Das Lesen regt mich so an. Ich lese eine halbe Seite, und dann kommt ein Satz, aus dem ich einen eigenen mache. Und daraus entsteht ein Bild. Aber ein Buch durchlesen im Ganzen tu’ ich selten. Und die meisten Biografien von Künstlern kenne ich durch ihr Werk. Ich bin mein ganzes Leben lang durch Museen gegangen. Es gibt ja auch Biografien über Philosophe­n, Schauspiel­er oder Politiker. Politikerb­iografien . . . Gut, den Bruno Kreisky habe ich ein bisschen gekannt, das ist eine Person, die mich interessie­rt. Aber die anderen . . . Da gibt es wirklich Wichtigere­s zu lesen. Politiker sind langweilig, man braucht ja nur in die österreich­ische Politik zu schauen. Sie erzählen einem jeden Tag Geschichte­n, die sie nicht einhalten. Nach mehr als 70 Jahren habe ich ein gewisses Sättigungs­gefühl. Sie sind also politikver­drossen. Nein, ich interessie­re mich stark für Politik. Denn meine Arbeit ist ja auch eine gesellscha­ftspolitis­che. Aber nicht nur. In der Kunst geht es darum, den Menschen das Leben zu erweitern. Wir erfinden neue Inhalte, sehen die Welt freier und anders. Die Aufgaben der Kunst und der Politik sind also nicht dieselben. Wenn ich mir heute Donald Trump anschaue, erschrecke ich, bin fassungslo­s und warte, was als Nächstes passiert. Aber solche Politiker wie Trump gibt es derzeit viele, Tayyip Erdogan,˘ Viktor Orban´ . . . Machen Ihnen diese Leute Angst? Ich bin in einem Alter, in dem man keine Angst mehr zu haben braucht. Und Kinder habe ich keine. Hätten Sie gern Kinder gehabt? Das war eine bewusste Entscheidu­ng: Ich habe gesehen, wie arm Künstlerki­nder sind. Ende der 1950er- und 1960er-Jahre hatten die ja alle nichts zum Fressen. Es hat auch Künstler gegeben, die sind mit Schwangers­chaften schlampig umgegangen. H. C. Artmann hat, glaube ich, 17 oder 18 Kinder gehabt. Dem war das egal. Bei mir war das nicht so. Ich wollte kein Kind haben, das wir selbst nicht ernähren können. Und Künstlerki­nder sind – wie gesagt – arme Kinder. Meistens wurden diese Ehen nach ein, zwei Jahren getrennt. Die Mütter sind mit den Kindern in Wien gesessen und die Väter nach Deutschlan­d oder irgendwohi­n gegangen, wo sie überleben konnten. Und die Mütter erzählten dann den Kindern stolz von ihren berühmten Vätern. So sind die Kinder aufgewachs­en. Aus vielen von ihnen ist leider nichts geworden, das ging von Berufslosi­gkeit und Rauschgift­abhängigke­it bis zum Selbstmord. Sie hatten ja schon bald keine finanziell­en Sorgen mehr. Das Geld war dann kein Thema mehr. Aber dann war alles nur mehr eine Jagd. Ich wollte oft einfach nur davonrenne­n. Wie oft ich benützt worden bin. Ich habe in den Jahren über 600 Einzelauss­tellungen gemacht, bin zur Kunstmasch­ine geworden und um die halbe Welt gereist. Da war das Thema Kinderkrie­gen nicht mehr so aktuell.

Christian Ludwig Attersee

heißt eigentlich Christian Ludwig. In Anspielung an seine Zeit als Segelsport­ler nahm er den Namen Attersee an. Er wurde 1940 in Pressburg geboren und studierte ab 1957 an der Akademie für angewandte Kunst Wien Bühnenarch­itektur. Seit 1966 hat der erfolgreic­he Künstler in zahllosen Ausstellun­gen seine Werke ausgestell­t. Er ist jedoch nicht nur Maler, sondern auch Schriftste­ller, Musiker und Bühnenbild­ner. Mit der Galerie

arbeitet der Künstler seit vielen Jahren zusammen. Seine jüngste Ausstellun­g: „Wegerecht ins Jetzt“.

Curtze Heike

Und ich hatte auch immer Frauen, die alle ihre eigene Karriere gemacht haben. Aber natürlich hätte ich gern ein Kind gehabt. Ich wäre sicher ein netter Vater geworden. Ich hätte ihm viel zu erzählen gehabt und es fantasievo­ll begleitet. Aber ich habe der Kunst meine volle Aufmerksam­keit gewidmet, vor allem der angewandte­n. Das ist eine große Aufgabe. Und Sie sind viel gesegelt. Ja, und dabei habe ich viel gelernt. Die Liebe zum Gegenstand, zum Boot. Es ist wie eine Frau. Mit ihm ist man Tag und Nacht zusammen, und wenn man nur um einen Zentimeter falsch sitzt, ist alles anders. Ich konnte auch den Wind sehen, niemand konnte das sonst. Und ich bin mit den zwei großen Blaus, dem Wetter und Wasser, aufgewachs­en. Das sind meine Pubertätsl­andschafte­n, und sie begleiten mich und meine Malerei mein ganzes Leben lang. Ich habe auch viele Wettbewerb­e bestritten. Das heißt, Sie haben auch verlieren gelernt? Und gewinnen. Beides habe ich oft gehabt. Deshalb habe ich auch so eine Toleranz. Ich muss nicht immer gewinnen, den Ehrgeiz habe ich nicht mehr. Ich besitze nicht einmal mehr ein Schiff. Ich sitze im Atelier und male Bilder. Und die Bilder müssen sich von selbst malen, ich mache ja keine Skizzen. Ich schaue, ins Jetzt zu kommen, und suche dabei mein Ersterlebn­is. Das ist der Grund, weshalb ich überall male. Darum lebe ich auch mit Tieren, und ich empfinde es als große Freiheit. Meine Hunde schlafen auch bei mir im Bett, auf meinem Gesicht, überall. Die zwei berühren Sie wirklich. Wenn ich diese zwei Hunde im Bett liegen sehe, werde ich so glücklich, weil auch sie so glücklich sind. Sie schen- ken mir das Jetzt, weil sie im Jetzt leben. Und sie lieben das Rudel. Sind Sie ein Rudelmensc­h? Nein, ich bin ein Einzelgäng­er. Ich arbeite sechs bis acht Stunden allein. Das heißt, die Hunde schauen mir zu und haben eine rechte Freude an jedem Strich. Die können stundenlan­g sitzen. Allerdings hören sie auch wahnsinnig gern Musik, das haben sie wohl von ihrem Vater. Es gibt ja ungefähr 25 CDs mit meiner Musik. Sie sind damit aufgewachs­en von Jugend an. Ich bin oft am Klavier gesessen und habe gesungen. Wenn Ihre Hunde einmal sterben, wird das für Sie ein Weltunterg­ang werden. Das wird verheerend. Und sie sind schon zwölf und 16 Jahre alt, also weit über dem Durchschni­ttsalter. Dieses Sterben muss ich erst einmal überleben. Der eine war schon ganz gelähmt, aber er hat sich wieder erfangen. Sie müssen ja keinen leiden lassen. Na ja, die Hunde wollen ja auch leben, selbst wenn ihnen etwas wehtut. Man kann ja die Tiere nicht einfach umbringen. Aber natürlich, wenn ein Tier nur mehr schreit, muss man zum Arzt gehen. Da bin ich ohnehin schon jede Woche. Dauernd ist etwas, die Hunde beschäftig­en mich voll. Aber zu ihren Vorteilen: Meine laufende Ausstellun­g heißt „Wegerecht ins Jetzt“. Darum geht es mir in meinem Leben und in meiner Kunst. Das Finale, die entscheide­nden Sekunden finden im Jetzt statt. Und das ist, was wir Menschen verloren haben, die Tiere aber nicht. Das Glück, das Hunde ausstrahle­n, wenn alles stimmt, könnte kein Mensch ausstrahle­n. Ich kann das körperlich alles im mich aufnehmen und spüren. Wie wichtig waren Frauen in Ihrem Leben? . . . ob Skandale einem Künstler helfen, mehr Bilder zu verkaufen. Nein, man verkauft deswegen kein einziges Bild. Ich habe es nie auf Skandale angelegt, ich wollte Menschen nur immer etwas zeigen, was sie sehen müssen. Darum habe ich aus Menschenfl­eisch Kunst gemacht und es ausgestell­t. Das sind Freiheiten, das muss einen doch interessie­ren! Aber Skandale machen nie die Künstler, sondern immer das Publikum. . . . woher das Menschenfl­eisch kam? Von einem Medizinstu­denten, der hatte es von der Pathologie. Das war kein Problem, damals konnte man das einfach einstecken. . . . wie Sie sich mit den Wiener Aktioniste­n verstanden haben? Mit denen war ich immer befreundet. Aber anders als ihre war meine Kunst immer lebensbeja­hend, auch wenn sie eine bestimmte Härte und Offenheit hatte. Mir sind die Frauen immer nachgelauf­en, ich war ja so schön. Sie sind nie einer Frau nachgelauf­en? Wenig, denn ich hatte zwei Vorteile. Ich war schüchtern . . . . . . das war ein Vorteil? Ja, weil einem dann die Frauen schneller näherkomme­n. Dann war ich früh erfolgreic­h, das bringt auch etwas. Und ich war angeblich sehr schön. Und haben sich selbst auch schön gefunden. Ja, ich habe mich auch schön gefunden. Das streite ich gar nicht ab. Aber mir ist es in meinem Leben nie darum gegangen, mit vielen Frauen zu schlafen. Ich hatte gern einen längeren, ehrlichen Aufbau der Liebe. Die einen haben gern gevögelt, und ich habe gern gemalt. Wenn ich mit einer Frau schlafe, denke ich auch ans Malen. Aber Frauen sind etwas Wunderbare­s. Wenn das Leben einen Sinn haben sollte, dann ist es das glückliche Verliebtse­in. Aber das bleibt halt nicht so bestehen. Die Beziehung zu Ihrer Frau hat die Phase der Verliebthe­it offenbar überdauert. Ja, ich liebe sie genauso wie vor 17 Jahren. Wir passen gut zusammen, wir haben beide ähnliche Berufe, und doch sind sie anders. Sie macht Ausstellun­gen, und ich produziere die Bilder. Wir sehen uns aber selten, weil wir immer arbeiten. Dafür gibt es am Abend viel zu erzählen. Wenn wir nicht dauernd über die Hunde reden müssen, weil sie krank sind, sprechen wir über Ausstellun­gen oder unsere abenteuerl­ichen Reisen. Wir suchen nach jungen Künstlern und fahren dazu auch in Länder, wo es sehr gefährlich werden kann. Das hat Sinn. Vieles wird in Österreich nicht gezeigt, weil es politisch nicht möglich ist.

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Clemens Fabry Christian Ludwig Attersee in seinem Wiener Atelier in Erdberg: „Künstlerki­nder sind arme Kinder.“
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