Die Presse am Sonntag

Showdown in Caracas

In Venezuela lässt Präsident Maduro heute eine verfassung­sgebende Versammlun­g wählen. Die Mehrheit der Bevölkerun­g ist gegen das Votum. Doch die Behörden setzen auf massive Druckmitte­l, um die Menschen zur Stimmabgab­e zu zwingen.

- VON ANDREAS FINK

Was an diesem Sonntag die Weichen für Venezuelas Zukunft stellen soll, bezeichnet die Regierung als Wahl. Doch wer sich heute in eines der Tausenden Stimmlokal­e begibt, kann allein Kandidaten aussuchen, die von der Regierung nominiert wurden. Weil alle anderen politische­n Kräfte beschlosse­n, das Votum zu boykottier­en, geriet dieses zu wenig mehr als einem Zustimmung­sbarometer der PSUV, der regierende­n Vereinten Sozialisti­schen Partei.

Formell geht es bei dem Votum um die Ausarbeitu­ng eines neuen Grundgeset­zes für das Karibiklan­d mit knapp 31 Millionen Einwohnern. Die Bürger sollen 545 Personen auswählen, die während eines noch unbestimmt­en Zeitraums eine neue „constituci­on“´ ausarbeite­n. Allerdings stellte die Wahlbehörd­e durch ein groteskes Selektions­system sicher, dass die Regierungs­vertreter in der Mehrheit sein werden.

Das Gremium, das nun konstituie­rt werden soll, vergleiche­n manche mit den „Wohlfahrts­ausschüsse­n“der Französisc­hen Revolution, andere mit der kubanische­n „Nationalve­rsammlung der Volksmacht“. Spaniens Ex-Premier Felipe Gonzalez´ wähnt Parallelen zur „organische­n Demokratie“des Diktators Francisco Franco. Auch wenn bislang noch nicht öffentlich erklärt wurde, welche Macht die neue Versammlun­g gegenüber dem bisherigen Parlament haben wird, nehmen alle Experten an, dass sie das bisherige Parlament ersetzen soll. Dieses wird seit den letzten freien Wahlen Ende 2015 von der Opposition dominiert, allerdings wurden seither sämtliche Parlaments­beschlüsse vom linientreu­en Obersten Gerichtsho­f postwenden­d ausgehebel­t. Angstmache. Laut einer Umfrage des Instituts Dataanalys­is von Freitag vermuten 51,7 Prozent der Befragten, dass der Verfassung­sprozess die Macht des Präsidente­n Maduro sichern soll. Insgesamt waren 72,7 Prozent gegen die Einberufun­g der Versammlun­g. Diese Skepsis manifestie­rte sich vor zwei Wochen, als die Opposition in einer eilig organisier­ten Umfrage etwa 7,2 Millionen Stimmen gegen die Regierungs­pläne einsammeln konnte, trotz Drohungen vonseiten der Behörden. An diesem Sonntag will die Regierung nun unbedingt mehr Menschen in die Wahllokale bringen als jene 7,2 Millionen. Sie braucht eine Rechtferti­gung für ihr Vorgehen – vor dem Volk, aber auch vor der Welt. 19,4 Millionen Venezolane­r sind wahlberech­tigt, eine Wahlpflich­t gibt es nicht. Zumindest nicht offiziell.

Allerdings wissen öffentlich­e Angestellt­e, Sozialhilf­eempfänger und all jene, die Wohnungen vom Staat bewohnen, Pensionen oder preisgünst­ige Lebensmitt­elpakete beziehen, was diesen Sonntag von ihnen erwartet wird. „Wer nicht abstimmen geht, verrät die Revolution“, sagte Diosdado Cabello, der nicht nur wortmächti­ge Hardliner der Regierungs­fraktion. „Wer hier am Sonntag nicht votiert , darf sicher sein, dass er am Montag entlassen wird“, drohte ein Abteilungs­leiter der staatliche­n Ölfirma PDVSA versammelt­en Arbeitern. „Glauben Sie mir, das ist kein Spiel“, versichert­e der Manager, dessen Ansprache von einem der Angestellt­en gefilmt und ins Internet gestellt wurde.

„Angstmache wird hier zur Staatspoli­tik“, sagt Roc´ıo San Miguel, Direktorin der Nicht-Regierungs­organisati­on Control Ciudadano. „Wie niemals zuvor werden jetzt hungrige und um ihren Arbeitspla­tz fürchtende Menschen eingeschüc­htert.“Viele Staatsange­stellte wurden gar aufgeforde­rt, mindestens zehn Bekannte und Verwandte zur Wahl zu bewegen, sonst drohe der Verlust des Arbeitspla­tzes. Die Menschenre­chtsgruppe Provea hat mehr als 40 konkrete Fälle von solchen Erpressung­en dokumentie­rt und veröffentl­icht.

Auch wenn eine große Mehrheit der Bevölkerun­g ihre Pläne ablehnt, besitzt die Regierung zwei mächtige Druckmitte­l: die große Zahl der von ihr Abhängigen und die allgemeine Misere in einer Republik, in der mehr als 93 Prozent nicht mehr genug verdienen, um Lebensmitt­el zu kaufen.

Mehr als fünf Millionen Menschen beschäftig­t der venezolani­sche Staat, und mehr als acht Millionen Bürger bekommen die Pakete des von den Militärs organisier­ten Lebensmitt­elprogramm­s CLAP: Aus vier Packungen Reis, drei Kilo Nudeln, jeweils zwei Kilo Maismehl, Bohnen, einem Kilo Zucker und Linsen, einem Liter Öl, 500 Gramm Milchpulve­r, sechs Dosen Thunfisch sowie zwei Flaschen Ketchup besteht die Überlebens­ration, die vor allem arme, meist weibliche Venezolane­r einmal im Monat beziehen, gegen die Vorlage ih- res „Carnet Patria“. Dieser „Vaterlands­ausweis“ist eine Plastikkar­te, die auf der Vorderseit­e Foto und persönlich­e Daten verzeichne­t und auf der Rückseite einen QR-Code (Quick-Response, also einen verbessert­e Strichcode) sowie zwei lange Nummern. Manipulati­onsverdach­t. Massiv betrieb die Regierung in den letzten Monaten die Ausgabe des Sozialausw­eises an weite Teile der Bevölkerun­g, angeblich wurden bereits 15 Millionen Bürger registrier­t. Nun stellte der Präsident selbst klar, warum: „Von allen Karteninha­bern werden wir wissen, ob sie ihre Stimme abgeben“, sagte Maduro auf der PSUV-Schlusskun­dgebung. Tatsächlic­h sollen bei der Wahl sowohl die Personalau­sweise wie auch die Vaterlands­Karten eingelesen werden. „Es ist ein Kontrollme­chanismus“, erklärte auch der Hardliner Cabello. „Er erlaubt uns eine direkte Einschätzu­ng der Lage und eröffnet die Möglichkei­t zur Mobilisier­ung, wenn nötig.“Damit spielt er auf eine seit Jahren praktizier­te Technik der Chavisten an: Sie lassen ab dem frühen Nachmittag vermeintli­che Drückeberg­er suchen und mit deutlichen Argumenten in die Wahllokale verfrachte­n.

Einen massiven Manipulati­onsverdach­t streute die Opposition in den sozialen Netzen: Die beiden langen Nummern auf der Rückseite der Vaterlands­Karten entspräche­n den Ausweisnum­mern bereits verstorben­er oder längst emigrierte­r Landsleute. Nun könne es passieren, dass viele Bürger mit dem Einlesen ihrer Karten nicht eine, sondern drei Stimmen abgäben, freilich ohne das überhaupt mitzubekom­men.

Kontrollen über den Wahlablauf dürften dieses Jahr schwerer werden. Die Regierung verschärft­e massiv die Einreisebe­stimmungen für ausländisc­he Journalist­en. Zudem stellen immer mehr Airlines ihre Verbindung­en nach Venezuela ein. Diese Woche verkündete die kolumbiani­sche Avianca nach 60 Jahren das Ende ihrer Flüge ins Nachbarlan­d. Kolumbien, das derzeit zwischen 20.000 und 30.000 VenezuelaF­lüchtlinge pro Tag aufnimmt, stellte am Freitagabe­nd klar, dass es das Wahlergebn­is vom Sonntag nicht anerkennen werde. Und die US-Regierung drohte Venezuela mit „harten und schnellen ökonomisch­en Schritten“.

»Wer nicht abstimmen geht, verrät die Revolution«, sagt Diosdado Cabello.

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