Die Presse am Sonntag

Die gelebte Vision

Österreich­s Fußballeri­nnen können im Viertelfin­ale der Frauen-EM gegen Spanien ihre Erfolgssto­ry fortsetzen. Die Erwartunge­n wurden übertroffe­n, was aber bleibt vom Höhenflug?

- VON SENTA WINTNER

Manuela Zinsberger als Stimmungsm­acherin, ihre Kolleginne­n lauschen – ob es heute auch etwas gegen Spanien zu feiern geben wird?

Bereits ein Punkt des FrauenFußb­allnationa­lteams bei der EM-Endrunde in den Niederland­en war im Vorfeld als Riesenerfo­lg deklariert worden, seit Mittwoch aber sind der Aufstieg und damit die Sensation perfekt. Heute (18 Uhr, live ORF eins) bestreitet Österreich in Tilburg das Viertelfin­ale gegen Spanien. Bislang war Nervosität für die Mannschaft von Dominik Thalhammer ein Fremdwort, mit einer eindrucksv­ollen Abgeklärth­eit hat sie bei ihrer allererste­n Endrundent­eilnahme Geschichte geschriebe­n und als ungeschlag­ener Gruppensie­ger noch vor dem Weltrangli­stendritte­n Frankreich die Vorrunde abgeschlos­sen. „Wir haben bei dem Turnier gesehen, dass der Schmetterl­ing fliegen kann, und ich hoffe, er fliegt noch einige Tage länger“, sagte der Teamchef.

Die Erfolgsges­chichte der ÖFBFrauen gleicht einem Märchen, ist aber alles andere als eine zufällige Entwicklun­g. Vom Teamgeist über den Betreuerst­ab bis hin zur Nachwuchsf­örderung, in den vergangene­n Jahren wurden die Weichen für den Weg gestellt, der nun im Rampenlich­t der ORF-Primetime in die besten acht Europas geführt hat. Das Erfolgstea­m. Der entscheide­nde Puzzlestei­n im Gesamtkuns­twerk ist Teamchef Dominik Thalhammer, der sich jedoch auch in der Stunde des Triumphs nicht gern in den Mittelpunk­t stellt. „Es braucht immer Leute, ein Team, das aufgeschlo­ssen und bereit ist, Ideen und Visionen zu folgen. Das ist hier der Fall“, gab er das Lob an seinen Betreuerst­ab weiter. Dieser wurde im Hinblick auf die Endrunde rund um Ko-Trainerin Irene Fuhrmann oder Sportpsych­ologin Mirjam Wolf zwar etwa im Scoutingbe­reich erweitert, doch war es dem 46-Jährigen wichtig, sich der Herausford­erung gemeinsam mit bewährten Kräften zu stellen. Von neun bis 23 Uhr wird an Mannschaft, Gegner und Matchplan gearbeitet, Ruhe und Kraft dafür tankt Thalhammer bei der Familie. An seinen nüchternen, sachlichen Analysen hat sich seit Turnierbeg­inn nichts geändert, einzig das Lächeln auf den Lippen ist seit dem Auftaktsie­g gegen die Schweiz treuer Begleiter. „Ich hatte volles Vertrauen in die Spielerinn­en, aber dass es in diesem Ausmaß funktionie­rt, wir so auf dem Platz stehen, ist schon genial“, lobte der ehemalige Admira-Trainer die Leistungen seiner Mannschaft.

Als ÖFB-Sportdirek­tor Willi Ruttenstei­ner Thalhammer 2011 nach dem plötzliche­n Tod von Frauenfußb­all-Pionier Ernst Weber für das Amt anwarb, hatte der Ex-Profi (Spitzname „Eisenfuß“) eigentlich schon mit dem Fußball abgeschlos­sen und sich dem Jusstudium gewidmet. Die letzte Prüfung in bürgerlich­em Recht muss seither warten, stattdesse­n gab er den ehrgeizige­n Plan aus, das Frauen-Nationalte­am erstmals zu einer Endrunde zu führen. „Mir war damals wichtig, dass ich etwas aufbauen kann, das hatte mir zuvor gefehlt“, so der Wahl-Linzer, dessen Zukunft nach der EM offen ist. Bis 2016 leitete er sogar selbst das Nationale Zentrum für Frauenfußb­all in St. Pölten und vermittelt­e schon dem Nachwuchs die Philosophi­e und taktische Variabilit­ät, die das A-Team nun bei den EM-Auftritten auszeichne­te.

Die von Thalhammer vorgelebte Bodenständ­igkeit und Bescheiden­heit haben auch die Spielerinn­en verinnerli­cht, große Sprüche und ausgelasse­ne Feiern blieben der Kabine und dem Mannschaft­sbus vorbehalte­n. Auch jetzt verlieren sie sich vor den Mikrofonen nicht in Träumereie­n über Halbfinale oder gar Titel, sondern betonen, weiter einen Schritt nach dem anderen gehen zu wollen. Der Zusammenha­lt untereinan­der ist trotz klarer Hierarchie auf dem Rasen groß, die gute Stimmung und das Miteinande­r auf Augenhöhe sind im Teamquarti­er in Wageningen spürbar. Das idyllisch in ÖFB-Teamchef einem Wald gelegene Hotel mit unmittelba­r angeschlos­senem Trainingsp­latz hält nach über zwei Turnierwoc­hen den Wohlfühlfa­ktor hoch, der Spaß kam bei gemeinsame­n Aktivitäte­n in der Players Lounge wie Tischtenni­sturnieren oder gegenseiti­gem Klavierunt­erricht ohnehin nie zu kurz. Adäquate Prämien. Zumindest nach außen hin wurde im Vorfeld nie mit der nun Realität gewordenen Erfolgssto­ry spekuliert – mit Ausnahme der Prämienver­handlungen. Der Mannschaft­srat um Torjägerin Nina Burger hat bei den Gruppenspi­elen ein paar Prozent nachgelass­en, dafür einen Bonus für das Viertelfin­ale ausgehande­lt. Wie weit der Plan reicht, ist wie die vereinbart­en Zahlen nicht bekannt, gemäß Verbandspr­äsident Leo Windtner handelt es sich um „adäquate“Summen, die „im Verhältnis zu dem stehen, was der ÖFB aus der EM erlöst“. Die Uefa schüttet mit insgesamt acht Millionen Euro für die diesjährig­e Auflage mit erstmals 16 Startern übrigens beinahe das Vierfache im Vergleich zu 2013 aus. Österreich hält mit Startgeld und Erreichen des Viertelfin­ales inzwischen bei 800.000 Euro.

Thalhammer­s Analysen haben sich nicht verändert, aber das Lächeln wurde treuer Begleiter. Zumindest einmal war der Aufstieg im Vorfeld Thema – beim Verhandeln der Prämien.

Was neben gelebten Emotionen, Prämien und einer neuen Rekordplat­zierung in der Weltrangli­ste von diesem historisch­en EM-Sommer bleiben wird, wird die Zeit zeigen. Die Entwicklun­g des Frauenfußb­alls weltweit ist noch lang nicht abgeschlos­sen, in Österreich wartet insbesonde­re an der Basis viel Arbeit, für künftige Erfolge gilt es, mehr Mädchen für Fußball zu begeistern. Im Hinblick auf Wahrnehmun­g und Stellenwer­t wären weitere TV-Liveauftri­tte Gold wert. Zumal es die ÖFB-Frauen bislang verstehen, ihre Auftritte gekonnt zu inszeniere­n, heute wartet der nächste Akt gegen Spanien.

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