Die Presse am Sonntag

Drei neue Blicke auf Giacometti­s Werk

In Wien, Venedig und London versuchen zur Zeit Künstlerin­nen und Kuratorinn­en, Giacometti wieder interessan­t zu machen.

- ALMUTH SPIEGLER

51 Jahre nach seinem Tod scheinen die Frauen die Deutungsma­cht über das Werk Alberto Giacometti­s übernommen zu haben: beginnend mit einer kleinen, aber sehr effektvoll­en Interventi­on in Wien, das nicht gerade mit Werken Giacometti­s gesegnet ist. Im Wiener Mumok steht die einzige seiner bis auf die Knochen reduzierte­n, langgliedr­igen, ausgemerge­lten Figuren, die „Stehende Frau III“von 1962, angekauft nur drei Jahre später, im Jahr vor seinem Tod 1966.

Was die Performanc­e-Künstlerin Jakob Lena Knebl, die heuer mit der Neuaufstel­lung der Mumok-Sammlung in ein queeres, glamouröse­s Gesamt-Tableau verzaubert­e, mit dieser „Stehenden“machte, hat allerdings noch nie jemand gewagt mit einer dieser existenzia­listischen Giacometti-Skulpturen: Sie zog ihr etwas an. Und zwar einen kardinal- „Die Frauen von Venedig“, erstmals seit 1956 wieder ausgestell­t, in der Tate Modern. roten Überwurf, den sie gemeinsam mit „House of the very Island’s“entworfen hat. Man kann sich auch per „App“in die Ausstellun­g virtuell hineinvers­etzen, um dort u. a. die „Stehende“zu füttern, so hungrig wie sie augenschei­nlich ist. Eigentlich völlig normale menschlich­e Regungen, die man angesichts nackter, dürrer Gestalten haben sollte. Und das kardinalro­te Kleid steht ihr tatsächlic­h hervorrage­nd, verleiht ihr späte Würde. Giacometti bei der Biennale Venedig. Späte Würde, späte Beachtung bekommt auch Flora Mayo, eine völlig unbekannte Bildhaueri­n, die in den 1920er-Jahren in Paris fünf Jahre mit Giacometti liiert war. Das US-Schweizer Duo Hubbard/Birchler hat diese Geschichte für den Schweizer Pavillon der aktuellen Biennale Venedig recherchie­rt. Die Künstler haben die Büste rekonstrui­ert, die Mayo in Paris von Giacometti machte und später selbst zerstörte, und stellen diese neben die Büste, die er von ihr schuf. Wenig später ging die Beziehung in die Brüche, die Amerikaner­in kehrte in die USA zurück, gab die Kunst auf und bekam einen Sohn, der heute Anfang 80 ist. Hubbard/Birchler haben ihn gefunden und ihm erzählt, dass seine Mutter Künstlerin war. Er wusste es nicht, hatte sich immer nur gefragt, wer eigentlich dieser strubbelig­e Typ auf dem alten Foto neben ihr sei. Es war Giacometti.

Dieser hat übrigens selbst nie im Schweizer Pavillon in Venedig ausgestell­t – obwohl ihn sein Bruder Bruno 1952 gebaut hat. Extra für das in Grafik, Malerei, Skulptur dreigeteil­te Werk des Bruders noch dazu. Doch dieser wollte sich national nicht vereinnahm­en lassen, er lebte schließlic­h vorwiegend in Frankreich. So stellte er 1956 erstmals in Venedig im französisc­hen Pavillon aus, und zwar seine Figurengru­ppe „Femmes de Venise“, also „Frauen von Venedig“, sechs Gipsfigure­n, die seither

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