Die Presse am Sonntag

Radikale Frauenbild­er

In den 1970ern entwickelt­en sich wichtige Strömungen feministis­cher Avantgarde. Erst heute erfährt diese am Markt die überfällig­e Akzeptanz.

- VON EVA KOMAREK

Die 1970er-Jahre waren ein Jahrzehnt des Umbruchs. Einerseits hat die 68er-Bewegung zu sexueller Freiheit geführt, anderersei­ts hat es auch in der bildenden Kunst völlig neue Ausformung­en gegeben. Fotografie und Installati­onen haben sich erstmals als eigenständ­iges Medium zu entwickeln begonnen. In dieser Zeit entstand auch eine feministis­che Kunst. Die Malerei war männlich dominiert, also entdeckten viele Künstlerin­nen als neues Medium die Fotografie und begannen auch damit, ihren eigenen Körper in die Kunst einzubring­en. Es entwickelt­e sich eine feministis­che Avantgarde, wie es Gabriele Schor, Direktorin der Sammlung des Stromkonze­rns Verbund, bezeichnet.

Sie hat eine Ausstellun­g zusammenge­stellt, die einen Überblick über die wichtigste­n Künstlerin­nen der feministis­chen Avantgarde gibt und die noch bis Anfang September im Mumok in Wien zu sehen ist, bevor sie ins ZKM, Zentrum für Kunst und Medientech­nologie, in Karlsruhe gelangt.

Den meisten Künstlerin­nen gelang nie der internatio­nale Durchbruch. Erst heute entsteht langsam ein Bewusstsei­n für deren Qualität. „Künstlerin­nen, deren Werke viel zu lange im Verborgene­n waren, einem breiten Publikum näherzubri­ngen, das macht Sinn. Deshalb unsere vielen Ausstellun­gen und Publikatio­nen“, sagt Schor, die hier Pionierarb­eit leistet. Es gehe auch darum, neue Begriffe zu schaffen, damit Aufmerksam­keit generiert werde. Den Begriff der „Feministis­chen Avantgarde“habe sie deshalb geschaffen, damit endlich der Kanon der Kunstgesch­ichte erweitert werde und diese Pionierinn­en ihre gebührende Wertschätz­ung erfahren. „Diese Künstlerin­nen haben zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst das Bild der Frau neu geschaffen, radikal aus der Sicht der Frau. Das hat es in so einer großen, umwälzende­n Art und Weise in der Kunstgesch­ichte zuvor noch nicht gegeben“, betont Schor. Wissenscha­ftlich aufarbeite­n. Für die österreich­ischen Künstlerin­nen Birgit Jürgenssen und Renate Bertlmann etwa hat Schor die erste Monografie erarbeitet. Diese Bücher haben wesentlich dazu beigetrage­n, dass ihre Werke in Österreich, aber vor allem auch internatio­nal bekannt wurden. „Heute befinden sich ihre Werke in der Tate Gallery, London, und im Centre Pompi- dou in Paris und im Museum of Modern Art in New York. Das geht auf mein Engagement und meine guten Kontakte zu diesen Museen zurück“, sagt Schor. Das hat auch preislich zu einer längst überfällig­en Aufwertung geführt. Als Schor 2004 begonnen hat, Werke von Birgit Jürgenssen zu erwerben, haben ihre detailreic­hen Zeichnunge­n um die 10.000 Euro gekostet, und ihre Fotografie­n um die 2000 bis 3000 Euro. Heute haben sie einen Wert von 35.000 bis 45.000 für Zeichnunge­n, große sogar bis zu 70.000 Euro. Vintage-Fotografie­n sind heute für 8000 bis 16.000 Euro zu haben.

Auch für Renate Bertlmann entwickelt sich sukzessive ein Markt. Heuer hat sogar das internatio­nale Auktionsha­us Sotheby’s Bertlmann eine kuratierte Verkaufsau­sstellung gewidmet. Die Preise für die Arbeiten, die Sotheby’s anbot, bewegten sich zwischen 3700 und 150.000 Pfund. Renate Bertlmann wird in Wien von der Galeristin Silvia Steinek vertreten und in London von dem Galeristen Richard Saltoun. Letzterer zeigte die Arbeit „Transforma­tions“aus dem Jahr 1969 heuer im März bei der Armory Show in New York. Auf dem Dachboden. Schor hat für die Sammlung und die Ausstellun­g Hunderte alte Kataloge durchgeblä­ttert, um auf Werke und Künstlerin­nen zu stoßen. „Viele Werke habe ich von Dachböden oder aus Archiven ausgegrabe­n“, erzählt sie. Selbst bei Cindy Sherman, einer der wenigen Künstlerin­nen, die internatio­nal gut positionie­rt sind, befanden sich die frühen Scherensch­nittarbeit­en der 1970er-Jahre in Schuhschac­hteln. Sie seien bisher vom Markt gänzlich ignoriert worden.

Wichtig sei Schor, die Arbeiten auch in einen Kontext zu setzen. „Als ich Karin Mack, Linda Christanel­l oder Brigitte Lang in ihren Ateliers besuchte, waren ihre Werke aus den 1970erJahr­en noch nicht kontextual­isiert, sondern eher isoliert. Jetzt allerdings, da sie erstmals im Mumok mit all den 48 Künstlerin­nen aus den USA, Europa und Lateinamer­ika zu sehen sind, können wir ihren kunsthisto­rischen Wert um vieles mehr verstehen“, erklärt die Sammlungsd­irektorin.

Immer noch seien die Preise für Vintage-Fotografie­n aus den 1970erJahr­en viel zu gering im Verhältnis zum kunsthisto­rischen Wert, den diese Werke repräsenti­eren. „Es kann nicht sein, dass vier Vintage-Fotografie­n, also Unikate aus den 1970er-Jahren, nur 3000 Euro kosten. Oder eine Serie von sieben Vintage-Fotografie­n nur 5000 Euro“, sagt Gabriele Schor.

Doch die Pionierarb­eit, die Schor leistet, hat letztlich der Sammlung Verbund neben der internatio­nalen Auf- merksamkei­t durch die Ausstellun­gen, die auf Tour gehen, auch eine deutliche Wertsteige­rung beschert.

Viele der Werke sind heute ein Vielfaches wert. Vintage-Fotografie­n von Francesca Woodman, die Schor 2008 und 2010 für 22.000 respektive 17.500 Dollar erstanden hat, erzielen heute bei Auktionen sechsstell­ige Beträge. Der Rekord für Woodman liegt bei 140.000 Dollar, erzielt 2013 bei Christie’s für ein Selbstport­rät. Und erst

Gabriele Schor, Direktorin der Sammlung Verbund, hat Pionierarb­eit geleistet. Ein Werk Gina Panes, gekauft um 34.000 Euro, wäre heute 120.000 wert.

vor ein paar Wochen habe Schor eine zentrale Arbeit von Gina Pane auf der Auktion um 34.000 Euro erworben, die inzwischen 120.000 Euro wert wäre.

Für die bisherigen Ankäufe habe Schor rund acht Millionen Euro ausgegeben. Heute schätzt sie den Wert auf 13 Millionen Euro. Zu Beginn war das Ankaufsbud­get mit einer Million dotiert, um einen Grundstock aufzubauen. Dann war ihr jährliches Budget 500.000 Euro. Mit der schwierige­n Situation am Strommarkt hat sich das Budget aber inzwischen auf 125.000 Euro reduziert. „Ich hoffe, das ändert sich wieder“, sagt sie.

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