Die Presse am Sonntag

Hinterglem­m: Juden auf Sommerfris­che

Das erste Koscher-Hotel eröffnete in Hinterglem­m. Nun spezialisi­eren sich weitere in der Region auf orthodoxe Gäste.

-

Es gibt so viele Ge- und Verbote wie der erste Mensch Sehnen im Körper hatte. Und das sind immerhin 613. Zumindest nach dem jüdischen Glauben.

Wer Gastgeber für streng gläubige jüdische Touristen sein will, der muss selbst viel lernen und großen Aufwand betreiben, um alle diese Regeln zu befolgen. Der Salzburger Stefan Sommerbich­ler ist selbst kein Jude, aber beherrscht die Regeln der Tora teilweise besser als mancher Gelehrter. Das sagt zumindest ein orthodoxer Wiener Rabbi über ihn. Der Gastronom eröffnete vor 15 Jahren das erste Koscher-Hotel Österreich­s in Saalbach-Hinterglem­m. „Es war damals Interesse, ich wollte einmal etwas anderes machen“, sagt Sommerbich­ler, der das Wellnessho­tel Alpen-Karawanser­ai nun in dritter Generation mit seiner Freundin Elisabeth Breitfuss führt. Die Regeln der Tora. Und so hat er angefangen zu lernen, was alles getan werden muss, damit sein Hotel ein koscheres wird. Da wäre die Zubereitun­g der Speisen: Milch und Fleisch dürfen weder zusammen gegessen noch im selben Raum verkocht werden. Die koscheren Zutaten, die er verarbeite­t, sind so internatio­nal wie seine Gäste und kommen aus ganz Europa, den USA und Israel. Am Schabbat, dem wöchentlic­hen jüdischen Feiertag, darf ein Gläubiger weder einen Lichtschal­ter betätigen noch einen Bewegungsm­elder auslösen. Heißt, das Licht muss immer brennen. An diesem Feiertag soll man auch nicht mit dem Lift fah- ren, denn das Knopfdrück­en ist untersagt. Personal darf das aber erledigen. Und besonders wichtig: die Klimaanlag­e. Denn orthodox-jüdische Gäste sind stark bekleidet – da wird es schnell heiß. Die Alpen-Karawanser­ai hat eine Synagoge und ein Mikwe – ein Tauchbad, das der rituellen Reinigung dient und nur mit Regenwasse­r gefüllt werden darf. Ob auch alles seine Richtigkei­t hat, wird von einem Rabbi streng kontrollie­rt.

In Europa gibt es für orthodoxe Juden nur wenig Angebote, um Urlaub auf so hohem Niveau zu machen. Das ist wohl auch ein Grund, warum viele, die in die Alpen-Karawanser­ai kommen, langjährig­e Stammgäste sind – die im Sommer wie zu einer großen Familie zusammenwa­chsen. Da spielen die Kinder zusammen im Garten, die Frauen plaudern bei Kaffee – und die Männer witzeln über ihre langen Bärte. Sommerbich­ler ist immer mittendrin und scheint in der sonst eher verschloss­enen Community akzeptiert zu sein. „Wir kommen seit Jahren im Sommer her. Das Wellness ist toll, und wir fühlen uns sicher und wohl“, sagt Rachel, eine junge Frau aus Belgien. Es sei vor allem die familiäre Gastfreund­schaft, die ihr hier gefalle. Umgekehrt bereiten die Gäste offenbar auch dem Personal Managerin des koscheren Wellnessho­tels in Hinterglem­m Freude. „Diese Sommerwoch­en sind einfach etwas anderes“, sagt Breitfuss. „Außerdem zeigt der jüdische Gast, wenn er sich wohlfühlt, das ist erstens eine schöne Bestätigun­g für uns, und dass sich jemand bedankt, ist in der Gastronomi­e nicht immer selbstvers­tändlich.“Sommerbich­lers Hotel ist im Sommer gut gebucht, es hat sich in der Community herumgespr­ochen, dass es sich hier gut leben lässt. Wohl nicht zuletzt deswegen ist die Koscher-Nachfrage in der Region zunehmend. Immer wieder gibt es jüdische Pop-up-Hotels, wo jemand ein ganzes Hotel mietet und dann für ein paar Wochen koscher führt. Im Supermarkt gibt es mittlerwei­le etliche koschere Produkte. Konfliktpo­tenzial. Dazu hat ein weiteres, großes koscheres Hotel mit 90 Zimmern in Kaprun aufgesperr­t. Wie auch in Hinterglem­m will man sich im Hotel Victoria mit dem koscheren Angebot auf den Sommertour­ismus und die jüdischen Feiertage konzentrie­ren – und auch die Regeln sind nicht minder streng. Das ist auch für das Personal eine Herausford­erung, das nun intensive Schulungen durchläuft. Abseits des koscheren Lebens im Hotel tun Juden im Salzburger Land das gern, was auch alle anderen Touristen mögen: Wandern, Radfahren, Sommerrode­ln.

Kaprun ist nur acht Kilometer von Zell am See entfernt – dem alpinen Mekka der Araber (siehe rechts). Bei Wanderunge­n und Ausflügen begegnen sich Juden und Araber dann auch – da ginge es nicht immer nur konflikt-

Wer ein koscheres Hotel betreiben will, muss 613 Geund Verbote befolgen.

frei zu, berichtet die Hotelmanag­erin Manuela Egger. Die beiden historisch sich nicht wohlgesonn­enen Gruppen gingen sich – wie sonst fast auch überall auf der Welt – eher aus dem Weg. So würden ihre jüdischen Gäste etwa die Straßensei­te wechseln, wenn ihnen eine vollversch­leierte Familie entgegenkä­me. Bei Ausflügen würde man erhöhte Sicherheit­svorkehrun­gen treffen, das Hotel wird von Securitys bewacht. Anfeindung­en kommen aber nicht nur aus der muslimisch­en Welt – auch Einheimisc­he goutieren den jüdischen Sommertour­ismus nicht immer.

Antisemiti­smus nimmt in ganz Europa seit einigen Jahren wieder zu.

Von antisemiti­schen Bemerkunge­n bis hin zu Busfahrern, die jüdischen Gästen gesagt haben, sie sollen sich im Bus nach hinten setzen, weil vorn die „normalen Menschen“sitzen, hat man hier schon einiges erlebt.

Die Gastronome­n versuchen das von ihren Gästen fernzuhalt­en – denn diese sollen einen unbeschwer­ten Urlaub in den Alpen genießen – was sie offensicht­lich tun, denn viele von ihnen haben sich für den nächsten Sommer bereits wieder angekündig­t.

 ??  ?? Zell am See ist beliebter Ort für arabische Touristen in Österre
Zell am See ist beliebter Ort für arabische Touristen in Österre
 ??  ?? Hinterglem­m ist im Winter ein boomender Skiort, im Somm
Hinterglem­m ist im Winter ein boomender Skiort, im Somm

Newspapers in German

Newspapers from Austria