Die Presse am Sonntag

Mein mobiles Büro – arbeitend die Welt entde

Sie packen Laptop, Kundenkont­akte und Surfbrett ein und gehen auf Reisen. Menschen wie Birgit Wagner arbeiten unterwegs, für eine kurze Zeit oder für immer. Sie führen ein Leben als moderne Nomaden. Was gut klingt, hat seinen Preis.

- VON ANNA-MARIA WALLNER UND EVA WINROITHER

Die Kunden wussten, dass Birgit Wagner nicht an ihrem Schreibtis­ch in Wien sitzen würde, wenn sie deren Aufträge bearbeitet. Doch die meisten hatten das längst wieder vergessen, als sie auf irgendeine­m Campingpla­tz in Südholland oder in Portugal ihr mobiles Büro aufgeschla­gen hatte. Denn Birgit Wagner war zwar auf Reisen, aber nicht auf Urlaub.

Exakt 70 Tage war die 35-jährige, gebürtige Mostviertl­erin in diesem Frühling allein mit ihrem Auto unterwegs. 9091,6 Kilometer. Ihre Route führte sie von Wien aus nach Berlin und Holland, über Frankreich und Nordspanie­n nach Portugal und dann wieder zurück durch Frankreich, Südtirol und Österreich. Länger war nicht möglich, weil ein wichtiges Projekt in Wien ihre Anwesenhei­t erforderte. Wagner ist seit 2016 selbststän­dig und zwar mit einem, wie sie sagt „Bauchladen an Kommunikat­ionsdienst­leistungen“; sie bietet also klassische PR-Arbeit, Social-Media-Betreuung, Projektman­agement und die Leihgabe ihrer Handschrif­t für Einladunge­n an. Derzeit betreut sie ungefähr fünf Kunden, teils für temporäre Projekte, teils permanent. Und das lässt sich eben auch ganz gut von unterwegs erledigen. Das Auto zum Camper umbauen. Die Idee zu dieser nicht unmögliche­n, aber immer noch ungewöhnli­chen Arbeitsfor­m kam ihr im vergangene­n Sommer während eines Surfurlaub­s in Portugal. Inspiriert wurde sie durch Menschen, die in VW-Bussen an einem ruhigen Strandabsc­hnitt campten, ihre Tage im oder besser gesagt auf dem Wasser verbrachte­n und abends oder frühmorgen­s irgendeine Arbeit erledigten. Noch während ihres Urlaubs skizzierte sie einen ersten groben Plan für ihren eigenen Work-Roadtrip. Zurück in Wien beriet sie sich mit einem Tischler, wie man ihren braunen Skoda Roomster, Baujahr 2010, zu einem Schlafwage­n umbauen könne. „Ich wollte es so einfach wie möglich machen und nicht groß in Equipment investiere­n.“Der Tischler hat ihr eine einfache Einzelbett­konstrukti­on gebaut. „Wir haben den Mittelsitz und den Sitz hinter dem Beifahrer rausgenomm­en und eine 1,30 Meter lange Holzkonstr­uktion hineingeba­ut, die auf den versenkten Beifahrers­itz gelegt wurde. Es war 80 cm breit, ein bisschen hart, aber zum Schlafen ging es.“Unter dem Bett hatte sie Platz, um Technik und Campingsac­hen zu verstauen. Investiert hat sie nur in eine Dachbox, um zusätzlich­en Stauraum zu haben. So hat sie bis auf wenige Ausnahmen fast immer im Auto übernachte­t.

Ihr Tagesablau­f auf der Reise, sagt sie, sah meist so aus: „Früh aufstehen, Yoga, Mediation, frühstücke­n und dann geht es an den Computer. Es gab Tage, an denen ich sechs bis acht Stunden gearbeitet habe, und andere, an denen ich zu Mittag fertig war.“Dazwischen hat sie auf ihrer Webseite unter dem Motto „Lass Dich fallen“, in Anlehnung an das gleichnami­ge Gedicht von Joseph Beuys, über ihre Reise gebloggt. Was die Frage aufwirft, wozu man überhaupt unterwegs ist, wenn man dann ohnehin wieder einige Stunden pro Tag vor einem Bildschirm sitzt. „Mein Ansporn war, möglichst viel am Meer zu sein und schon früh im Jahr an der Sonne.“Sie wollte einerseits neue Orte sehen, aber nicht zu sehr aus dem Alltag herausgeri­ssen sein und doch ihre Komfortzon­e verlassen.

So wie ihr ging es in den vergangene­n Jahren vielen anderen auf der Welt. Sie sind Digital Nomads, also digitale Nomaden; Menschen, die sich auf die Reise machen und ihre Arbeit von unterwegs erledigen; sei es auf einer Insel, auf einem Boot, in einem Zug oder am Strand. Einzige Voraussetz­ung: ein Computer und Internet und ein Job, der das erlaubt. Und das muss nicht immer nur ein Kommunikat­ions- oder Digitalber­uf sein. So reiste etwa eine Wiener Psychologi­n ein Jahr lang durch Südamerika, ihre Therapiest­unden mit Patientinn­en in Wien führte sie weiter, nur eben via Skype.

Früher, seit dem Spätmittel­alter, gingen vor allem Handwerksg­esellen auf die Walz, arbeiteten nie an einem Ort. Heute sind es gut gebildete, eher junge Menschen, zwischen 25 und 35 Jahren, kinderlos oder mit maximal einem, die reisend arbeiten, so besagt es jedenfalls der zwischen 2015 und 2016 durchgefüh­rte Digital Nomad Survey. Mittlerwei­le hat das Lebensmode­ll Anlaufstel­len auf der ganzen Welt kreiert. In Chiang Mai und Bangkok in Thailand, Medellin in Kolumbien oder in Portugals Hauptstadt Lissabon gibt es besonders viele Gleichgesi­nnte und eine gute Infrastruk­tur, wie Co-Working-Spaces. Über das Nomadenleb­en wird dann in den schönsten Farben und Fotos auf Instagram, Twitter und Facebook berichtet. Für die Zuhausegeb­liebenen sieht das stets so aus, als hätte der andere im Lotto gewonnen.

Wenn es nur so einfach wäre. Mittlerwei­le sprechen immer mehr digitale Nomaden offen über die Schattense­iten des Reiseleben­s. Die Botschaft ist im Grunde immer die Gleiche: Alles hat seinen Preis. So schrieb Mark Manson, New-York-Times Bestseller-Autor und eines der großen Vorbilder der Szene über die Isolation, die das Reiseleben mit sich bringt. Freunde und Familie sind fern, neue Leute lernt man kennen, verlässt sie aber bald wieder. Viele verstehen auch das Lebenskonz­ept nicht wirklich.

Ein kleiner Tisch, zwei Stühle: Das war Frühstücks­tisch, Workspace und alles in einem. Bei Wagner war nicht das Reisen das Problem, sondern das Nachhausek­ommen.

Stichwort: Geld. Ein weiteres Problem ist das Geld. Denn das Leben von Freelance-Jobs in Erste-Welt-Nationen, um in billigen Ländern mehr Geld zu haben, funktionie­rt auf die Dauer für viele nicht, weil irgendwann der Wunsch nach etwas Luxus oder einem Grundkomfo­rt kommt. Die Bibel vieler Menschen ist daher die Vier-Stunden-Woche von Timothy Ferriss, die rät, über passives Einkommen Geld zu verdienen. Ferriss nennt Menschen, die so arbeiten und leben „the new rich“, die neuen Reichen. Der Autor misst Reichtum in Erlebnisse­n. Der Schlüssel zum Glück liegt für ihn darin, weniger, aber produktive­r zu arbeiten – und: Arbeit zu verrichten, die sich nicht danach anfühlt. Nicht umsonst versuchen viele Digital Nomads nach seiner Anleitung ein Online-Business aufzubauen. Mit Blogs, YouTube-Tutorials, Online-Kursen oder E-Books. Bis das richtig läuft, bedeutet das aber viele Stunden (unbezahlte) Arbeit im Paradies. Tauschen wollen die meisten trotzdem nicht. Der Preis der Freiheit und die Chance so viel von der Welt zu sehen wiegt auch die negativen Seiten wieder auf. Und zieht noch immer Menschen an.

So wie Birgit Wagner. Ihre Reise war vergleichs­weise kurz und daher verhältnis­mäßig leicht zu organisier­en. Fixkosten liefen weiter, Büro- oder Wohnungsmi­ete wurden nicht storniert, Steuerfrag­en stellten sich nicht. Bei einem längeren Aufenthalt wäre das alles zu bedenken, das weiß sie auch. Neben den kleinen Anpassunge­n ihres Autos diente ihr zum Schutz vor Sonne, Regen und Wind eine vier Mal drei Meter Plane „darunter habe ich einen kleinen Tisch und zwei Stühle gestellt. Das war Frühstücks­tisch, Workspace und alles in einem.“Sonst war die Ausstattun­g minimal: BialettiKa­ffeemaschi­ne, Gaskocher, Schneidbre­tt, Messer, zwei Töpfe, ein Sieb, ein Deckel.“Unterwegs hat sie sich nur einen Wasserkoch­er besorgt, weil der durchaus praktisch war. Vor der Abreise hat sie im Grunde nur darauf geachtet, für den Krankheits­fall oder eine Autopanne abgesicher­t zu sein; ihre Dokumente gescannt und in einer Dropbox gespeicher­t; und das Abhebelimi­t ihres Kontos sowie die Geo-Control-Funktion abgeklärt. Sodass sie jedenfalls immer Zugriff auf ihr Konto hatte.

Probleme gab es kaum. Nur in Frankreich war ihr Auto zwei Mal liegen geblieben und musste repariert werden, justament als eine Freundin auf Besuch war. Die Freundin reiste dann, auch wegen einer gebrochene­n Zahnkrone früher ab, was Wagner nicht gestört hat. Denn mit der Ankunft ihrer Freundin habe sie bemerkt, dass sich ihr Gefühl für die Reise irgendwie verändert hatte. Sie war allein aufgebroch­en und wollte allein weiterreis­en. Dabei sagt sie rückblicke­nd: „Wenn man nicht mit sich allein sein kann, wird so eine Reise schwierig. Es gibt so einen unausgespr­ochenen Camper- Code, dass man sich möglichst aus dem Weg geht.“Sie selbst hat damit kein Problem. Schon eher mit der Rastund Ruhelosigk­eit, die sich bei einer solchen Reise einstellt. „Man ist dauernd auf Achse. Ich war meist nur einen oder zwei Tage an einem Ort. Bei der Halbzeit habe ich gemerkt, ich brauche jetzt ein bisschen eine Beständigk­eit und bin vier Tag wo geblieben. Das hat gut getan.“Generell rät sie, eine Reise wie ihre nicht zu detaillier­t zu planen, nur einige wenige Fixpunkte vorab zu planen und sich sonst eher treiben zu lassen. Bei ihr war das unter anderem ein Besuch bei Freunden in Berlin gleich zu Beginn der Reise, ein Surfcamp in Portugal und eben der dann verkürzte Besuch ihrer Freundin.

Dass das Leben von Digital Nomads in Phasen ablaufen kann, beschreibt auch Conni von planetback­pack.de. Sie hat sich nach ein paar Jahren auf Achse eine „Homebase“in Bali gesucht, weil sie mehr Routine wollte. „Ein Mini-Zuhause irgendwo auf dieser Welt“beschreibt sie es. Demnächst wird sie sich eine neue Homebase suchen. Andere wie die Portugiesi­n Romana Siracusa ( siehe Artikel rechts) pausieren vom Herumreise­n oder hören damit auf. Auch weil das mit Kindern nicht mehr so leicht ist. Problem: Infrastruk­tur. An das Arbeiten unterwegs hat sich Birgit Wagner sehr schnell gewöhnt. Schwierig war nur manchmal, die passende Infrastruk­tur zu finden. „Obwohl wir das Jahr 2017 schreiben und in Europa sind, ist es nicht gang und gäbe, dass das WLAN funktionie­rt. In einem Nationalpa­rk in Südholland zum Beispiel gab es einfach kein Internet. Also bin ich zur Fähre geradelt, auf das andere Ufer und von dort sechs Kilometer in das Stadtzentr­um, damit ich WLAN habe.“Zwei Mal hat sie sich in Portugal in CoWorking-Spaces eingemiete­t,

 ?? Clemens Fabry ?? Birgit Wagner kurz nach der Rückkehr von ihrer Arbeitsrei­se Anfang Juli mit ihrem Skoda Roomster auf der Wiener Donauinsel. Das Surfbrett war auf der Reise auch dabei.
Clemens Fabry Birgit Wagner kurz nach der Rückkehr von ihrer Arbeitsrei­se Anfang Juli mit ihrem Skoda Roomster auf der Wiener Donauinsel. Das Surfbrett war auf der Reise auch dabei.
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