Touristentour in Titos Bunkern
Einst versenkte das blockfreie Jugoslawien unter Tito Millionen in den Bau von Verteidigungsanlagen. Heute erkunden Besucher die militärisch nutzlos gewordenen Stätten.
Unten in der Bucht dümpeln zwei einsame Jachten im glasklaren Wasser. Oben am steinigen Hang gewährt eine mit Macchia überwucherte Stollenpforte den Einstieg ins düstere Bunkerreich der kroatischen Insel Vis. Mit Kopflampen leuchten Touristen neugierig die weiß getünchten Wände des einstigen Staatsgeheimnisses aus. Der erst in den 1970er-Jahren angelegte U-Boot-Hafen „Jastog“sei zu jugoslawischen Zeiten streng geheim gewesen, erzählt Bunkerführer Marko Dragojevic,´ während er seine Schützlinge auf einem schmalen Kai um das dunkle Becken im unterirdischen Tunnel-Stollen lotst. Tarnnetze hätten früher den nun offenen Meereszugang des U-Boot-Hafens verborgen, der selbst vor der lokalen Bevölkerung weitgehend abgeschirmt worden sei: „Tage der offenen Türe gab es hier nie.“
Systematisch hatte Jugoslawiens Armee (JNA) nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die für ausländische Besucher lange verbotene Insel mit einem kilometerlangen Stollen- und Bunkerlabyrinth ausgehöhlt. Weitläufige Atombunkeranlagen, in Felsen gehauene Luftwaffenstützpunkte oder auch geheime U-Boot-Häfen finden sich in fast allen der Nachfolgestaaten des zerfallenen Vielvölkerreichs.
Der einstige Partisanenführer und spätere Staatenlenker Josip Broz „Tito“ließ auch dank verdeckter Militärhilfe des Westens Milliardenbeträge für die unterirdischen Betonbunkerburgen im bergigen Karstgestein versenken: Sein scheinbar unbezähmbarer Drang in die Tiefe ist auch mit den Partisanenerfahrungen während des Zweiten Weltkriegs zu erklären.
In den Felsen geschlagene Stufen weisen auf der Insel Vis unterhalb des Gipfels Hum den steilen Weg in Titos einstige Kommandozentrale: Nachdem der Partisanenführer im Juni 1944 in Bosnien nur knapp einem deutschen Attentatsversuch entkommen war, hatte er sich auf die Insel Vis geflüchtet. Nicht nur sein damaliges Höhlenversteck, sondern auch die von der JNA später angelegten Bunkeranlagen sind mittlerweile zu Touristenattraktionen mutiert. Und die gibt es nicht nur in Kroatien zu sehen, sondern auch in anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens wie etwa Bosnien und Herzegowina. Stahltüre in der Felsenschlucht. Draußen vor dem unscheinbaren Häuschen unweit der bosnischen Kleinstadt Konjic rauschen die grünen Fluten der Neretva durch die enge Felsenschlucht. Drinnen öffnet eine unscheinbare Stahltüre in der Rückwand wie in einem Agentenfilm den Zugang zu einem der größten Atombunker Europas: Das rund 6500 Quadratmeter große Bunkerreich sollte bei einem Atomschlag als Hauptquartier für die Staatsund Armeeführung des damals blockfreien Jugoslawien dienen. Heute sind es meist aus Sarajevo herbeigekarrte Tagestouristen, die nach einer Raftingtour das sehr gut erhaltene und zur unterirdischen Kunsthalle umfunktionierte Stollenlabyrinth erkunden.
Der atomare Härtetest blieb den mächtigen Höhlenbunkern zu Zeiten des sozialistischen Jugoslawien zwar Geheimer Tito-Bunker in Konjic: Geblieben sind Porträts des Staatschefs. erspart. Doch ausgerechnet die konventionellen Kriege der 1990er-Jahre sollten ihr Ende und ihre militärische Nutzlosigkeit besiegeln. Denn mit den Jugoslawienkriegen zerfiel posthum nicht nur Titos Staat, sondern auch seine JNA. Den kostenträchtigen Unterhalt des funktionslosen Bunkererbes können sich deren finanzschwache Nachfolgearmeen kaum mehr leisten. Viele der Bunker sind ausgeplündert und verfallen oder werden für Pilzplantagen, Ausstellungen und Touristentouren genutzt. Schutz vor Atomschlägen. Der Kamm des Pljesivica-ˇGebirges ist von Wolken verhüllt. Doch zu seinem Fuße geben vier merkwürdig spitz zulaufende Stollenöffnungen im grünlich schimmernden Fels das einst sorgfältig gehütete Geheimnis im kroatisch-bosnischen Grenzland in der dünn besiedelten Lika preis. Vier Geschwader mit 58 Abfangjägern seien in Europas größter Flugzeugkaverne stationiert gewesen, berichtet im kroatischen Dorf Zˇeljava der weißhaarige JNA-Pensionär Dragan. Gegen welchen Feind der geheime Luftwaffenstützpunkt gerichtet gewesen sei? Der frühere Berufssoldat zuckt mit den Schultern: „Gegen alle und niemand: Wir Jugoslawen waren blockfrei – und neutral.“
Kilometerlange Stollen und Bunkeranlagen wurden ins Gestein der Insel Vis gebohrt. Heute jagen Motorradfahrer über die leeren Pisten des Höhlenflughafens.
Verdrehte Stahlträger ragen verloren aus Stollenmauern. Von den 30 Zentimeter dicken Stahlbetontüren, die den 1969 fertiggestellten Höhlenhangar zum Schutz gegen Atomschläge verschlossen, sind nur deren in den Boden betonierte Schienen geblieben. Die Anlage unweit der bosnischen Stadt Bihac´ sei erst nach Ende des Kroatien- und Bosnienkriegs von Schrotthändlern und Plünderern zerstört worden, erzählt Dragan: „Die nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war.“Waren in den von Bäumen überwucherten Kasernenbaracken einst 5000 Militärangehörige stationiert, zählt Zˇeljava heute nur noch rund 150 zumeist betagte Bewohner.
Doch laut Dragan steuern mittlerweile zumindest Motorrad-Biker aus ganz Europa wieder die Pisten und Stollen des verlassenen Höhlenflughafens an: „Die Rocker finden das cool. Hier können sie unbeschwert über die leeren Pisten jagen.“