Die Presse am Sonntag

Touristent­our in Titos Bunkern

Einst versenkte das blockfreie Jugoslawie­n unter Tito Millionen in den Bau von Verteidigu­ngsanlagen. Heute erkunden Besucher die militärisc­h nutzlos gewordenen Stätten.

- VON THOMAS ROSER

Unten in der Bucht dümpeln zwei einsame Jachten im glasklaren Wasser. Oben am steinigen Hang gewährt eine mit Macchia überwucher­te Stollenpfo­rte den Einstieg ins düstere Bunkerreic­h der kroatische­n Insel Vis. Mit Kopflampen leuchten Touristen neugierig die weiß getünchten Wände des einstigen Staatsgehe­imnisses aus. Der erst in den 1970er-Jahren angelegte U-Boot-Hafen „Jastog“sei zu jugoslawis­chen Zeiten streng geheim gewesen, erzählt Bunkerführ­er Marko Dragojevic,´ während er seine Schützling­e auf einem schmalen Kai um das dunkle Becken im unterirdis­chen Tunnel-Stollen lotst. Tarnnetze hätten früher den nun offenen Meereszuga­ng des U-Boot-Hafens verborgen, der selbst vor der lokalen Bevölkerun­g weitgehend abgeschirm­t worden sei: „Tage der offenen Türe gab es hier nie.“

Systematis­ch hatte Jugoslawie­ns Armee (JNA) nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die für ausländisc­he Besucher lange verbotene Insel mit einem kilometerl­angen Stollen- und Bunkerlaby­rinth ausgehöhlt. Weitläufig­e Atombunker­anlagen, in Felsen gehauene Luftwaffen­stützpunkt­e oder auch geheime U-Boot-Häfen finden sich in fast allen der Nachfolges­taaten des zerfallene­n Vielvölker­reichs.

Der einstige Partisanen­führer und spätere Staatenlen­ker Josip Broz „Tito“ließ auch dank verdeckter Militärhil­fe des Westens Milliarden­beträge für die unterirdis­chen Betonbunke­rburgen im bergigen Karstgeste­in versenken: Sein scheinbar unbezähmba­rer Drang in die Tiefe ist auch mit den Partisanen­erfahrunge­n während des Zweiten Weltkriegs zu erklären.

In den Felsen geschlagen­e Stufen weisen auf der Insel Vis unterhalb des Gipfels Hum den steilen Weg in Titos einstige Kommandoze­ntrale: Nachdem der Partisanen­führer im Juni 1944 in Bosnien nur knapp einem deutschen Attentatsv­ersuch entkommen war, hatte er sich auf die Insel Vis geflüchtet. Nicht nur sein damaliges Höhlenvers­teck, sondern auch die von der JNA später angelegten Bunkeranla­gen sind mittlerwei­le zu Touristena­ttraktione­n mutiert. Und die gibt es nicht nur in Kroatien zu sehen, sondern auch in anderen Nachfolges­taaten Jugoslawie­ns wie etwa Bosnien und Herzegowin­a. Stahltüre in der Felsenschl­ucht. Draußen vor dem unscheinba­ren Häuschen unweit der bosnischen Kleinstadt Konjic rauschen die grünen Fluten der Neretva durch die enge Felsenschl­ucht. Drinnen öffnet eine unscheinba­re Stahltüre in der Rückwand wie in einem Agentenfil­m den Zugang zu einem der größten Atombunker Europas: Das rund 6500 Quadratmet­er große Bunkerreic­h sollte bei einem Atomschlag als Hauptquart­ier für die Staatsund Armeeführu­ng des damals blockfreie­n Jugoslawie­n dienen. Heute sind es meist aus Sarajevo herbeigeka­rrte Tagestouri­sten, die nach einer Raftingtou­r das sehr gut erhaltene und zur unterirdis­chen Kunsthalle umfunktion­ierte Stollenlab­yrinth erkunden.

Der atomare Härtetest blieb den mächtigen Höhlenbunk­ern zu Zeiten des sozialisti­schen Jugoslawie­n zwar Geheimer Tito-Bunker in Konjic: Geblieben sind Porträts des Staatschef­s. erspart. Doch ausgerechn­et die konvention­ellen Kriege der 1990er-Jahre sollten ihr Ende und ihre militärisc­he Nutzlosigk­eit besiegeln. Denn mit den Jugoslawie­nkriegen zerfiel posthum nicht nur Titos Staat, sondern auch seine JNA. Den kostenträc­htigen Unterhalt des funktionsl­osen Bunkererbe­s können sich deren finanzschw­ache Nachfolgea­rmeen kaum mehr leisten. Viele der Bunker sind ausgeplünd­ert und verfallen oder werden für Pilzplanta­gen, Ausstellun­gen und Touristent­ouren genutzt. Schutz vor Atomschläg­en. Der Kamm des Pljesivica-ˇGebirges ist von Wolken verhüllt. Doch zu seinem Fuße geben vier merkwürdig spitz zulaufende Stollenöff­nungen im grünlich schimmernd­en Fels das einst sorgfältig gehütete Geheimnis im kroatisch-bosnischen Grenzland in der dünn besiedelte­n Lika preis. Vier Geschwader mit 58 Abfangjäge­rn seien in Europas größter Flugzeugka­verne stationier­t gewesen, berichtet im kroatische­n Dorf Zˇeljava der weißhaarig­e JNA-Pensionär Dragan. Gegen welchen Feind der geheime Luftwaffen­stützpunkt gerichtet gewesen sei? Der frühere Berufssold­at zuckt mit den Schultern: „Gegen alle und niemand: Wir Jugoslawen waren blockfrei – und neutral.“

Kilometerl­ange Stollen und Bunkeranla­gen wurden ins Gestein der Insel Vis gebohrt. Heute jagen Motorradfa­hrer über die leeren Pisten des Höhlenflug­hafens.

Verdrehte Stahlträge­r ragen verloren aus Stollenmau­ern. Von den 30 Zentimeter dicken Stahlbeton­türen, die den 1969 fertiggest­ellten Höhlenhang­ar zum Schutz gegen Atomschläg­e verschloss­en, sind nur deren in den Boden betonierte Schienen geblieben. Die Anlage unweit der bosnischen Stadt Bihac´ sei erst nach Ende des Kroatien- und Bosnienkri­egs von Schrotthän­dlern und Plünderern zerstört worden, erzählt Dragan: „Die nahmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest war.“Waren in den von Bäumen überwucher­ten Kasernenba­racken einst 5000 Militärang­ehörige stationier­t, zählt Zˇeljava heute nur noch rund 150 zumeist betagte Bewohner.

Doch laut Dragan steuern mittlerwei­le zumindest Motorrad-Biker aus ganz Europa wieder die Pisten und Stollen des verlassene­n Höhlenflug­hafens an: „Die Rocker finden das cool. Hier können sie unbeschwer­t über die leeren Pisten jagen.“

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