Die Presse am Sonntag

»Ab 2030 nur noch E-Autos zulassen«

Die Grünen hätten eine schwierige Zeit hinter sich, seien aber wieder zuversicht­lich, sagt Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek. Warum Österreich­s Flüchtling­spolitik heuchleris­ch, Peter Pilz ein Plagiator und das Dieselpriv­ileg überholt ist: ein Gespräch.

- VON THOMAS PRIOR

Haben sich die Grünen schon von ihrem Schock erholt? Ulrike Lunacek: Wir haben mittlerwei­le eine Kampagne auf die Beine gestellt, die wir Ende August präsentier­en werden. Und ich beginne jetzt mit meiner Sommertour durch Österreich. Ich hätte gehofft, Sie sagen jetzt: von welchem Schock? Dann hätte ich drei aufgezählt. Erstens Eva Glawischni­g, zweitens Peter Pilz und drittens die Umfragen. Ich leugne nicht, dass die Situation schwierig war. Aber bei mir überwiegt auf jeden Fall die Zuversicht. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie Mitte Mai von Eva Glawischni­gs Rücktritt erfahren haben? Ich dachte: Schade, dass sie geht. Dann musste ich mich schnell entscheide­n: Soll ich meine Arbeit im EU-Parlament, die ich sehr gerne mache, aufgeben, um Spitzenkan­didatin zu werden? 36 Stunden später habe ich diese Frage mit Ja beantworte­t. Vor allem, weil ich nicht mehr zuschauen möchte, wie SPÖ und ÖVP, angetriebe­n von der FPÖ, immer weiter nach rechts abdriften. Glauben Sie, dass die Partei eine Mitschuld an Glawischni­gs Entscheidu­ng hatte? Ich mache jetzt keine Vergangenh­eitsbewält­igung. Meine Aufgabe ist es, die Grünen aus dieser schwierige­n Phase herauszufü­hren und zu schauen, dass sie am 15. Oktober zweistelli­g werden. Ist die neue Aufgabente­ilung – Sie Spitzenkan­didatin, Ingrid Felipe Parteichef­in und Albert Steinhause­r Klubobmann – eine Lehre aus dem Glawischni­g-Rücktritt, also ein Schutz vor Überlastun­gen? Na klar. Aber es geht auch darum, den Fokus stärker auf eine Rolle zu legen. Sie haben gesagt, dass Sie ein zweistelli­ges Ergebnis anstreben, aber nicht, dass Sie die 12,4 Prozent aus dem Jahr 2013 verbessern wollen. Ist das der neue grüne Realismus? Ein besseres Ergebnis wäre großartig. Aber mein Ziel ist die Zweistelli­gkeit. Und persönlich? Ministerin werden? Wenn sich Mehrheiten ausgehen, bin ich auf jeden Fall bereit, Koalitions­verhandlun­gen zu führen. Und ja, wenn Grüne in einer Regierung sind, werde ich gerne Ministerin. Wenn nicht, bin ich eben eine gute Opposition­sführerin. Über Wunschmini­sterien wollen Sie vermutlich nicht sprechen. Sicher nicht. Wir gehen auch nicht um jeden Preis in eine Regierung. In welcher Konstellat­ion könnte sich Ihren Berechnung­en nach eine Regierungs­beteiligun­g der Grünen ausgehen? Das müssen Sie die Wähler fragen. Na gut, reden wir über die Inhalte. Warum sollte man die Grünen wählen? Wir sind die Einzigen, die gegen eine Spaltung der Gesellscha­ft antreten. Wir erleben gerade eine Entwicklun­g Richtung Entsolidar­isierung, die zum Teil auch schon SPÖ und ÖVP erfasst hat. Können Sie ein Beispiel geben? Dieser Slogan – „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“– ist für eine sozialdemo­kratische Partei durchaus erstaunlic­h. Da wird Neid gefördert. Auch im Verhalten von Außenminis­ter Sebastian Kurz gegenüber einigen EU-Staaten zeigen sich Spaltungst­endenzen. Man kann wichtige Partner wie Deutschlan­d, Griechenla­nd und die EU-Kommission nicht einfach übergehen. Sie meinen die Schließung der Balkanrout­e. Haben Sie das für einen Fehler gehalten? Die Art und Weise, wie das stattgefun­den hat, war ein Fehler. Wir Grüne stehen für ein geordnetes und humanes Flüchtling­smanagemen­t. Chaos – erinnern wir uns an die schrecklic­hen Bilder an den Grenzzäune­n zu Mazedo- nien – hilft keinem Flüchtling, keiner Migrantin, keinem Betreuer. Und jetzt? Es gibt einen EU-Ratsbeschl­uss, wonach die Flüchtling­e nach Quoten verteilt werden. Aber Staaten wie Ungarn und die Slowakei halten sich einfach nicht daran. Wenn Beschlüsse nicht umgesetzt werden, dann bin ich dafür, dass säumige Staaten keine Förderunge­n mehr bekommen. Aber dafür müssen wir die EU-Verträge ändern. Derzeit sind Kürzungen nur im Betrugsfal­l erlaubt. Wo stehen die Grünen in der Debatte um die Mittelmeer­route? Es gibt zwei Dinge, die Österreich tun könnte. Erstens: Sofort Waffenexpo­rte in kriegsführ­ende Staaten stoppen. Im Vorjahr wurden im Widerspruc­h zum EU-Waffenkode­x über 30.000 Kleinwaffe­n nach Saudiarabi­en exportiert, das mit Jemen Krieg führt. So lange wir das tun, ist es heuchleris­ch zu sagen, wir nehmen keine Flüchtling­e mehr auf. Und zweitens? Wir müssen die Fluchtursa­chen bekämpfen. Die Menschen, die jetzt aus Westafrika nach Europa wollen, gehen weg, weil ihnen daheim die Lebensgrun­dlage fehlt. Wir brauchen einen fairen Handel mit diesen Ländern, also neue Abkommen, die beiden Seiten nutzen, nicht nur den europäisch­en Großkonzer­nen. Sie kennen das Beispiel mit den Paradeiser­n in Ghana? Nein. Auf den Märkten in Ghana werden subvention­ierte Paradeiser aus Europa angeboten. Das zerstört die lokale Produktion. Und dann wundern wir uns, wenn Menschen flüchten? Was halten Sie von Aufnahmeze­ntren in Nordafrika? In Libyen? In den Lagern dort stehen Mord, Folter und Vergewalti­gung an der Tagesordnu­ng. Der Niger ist bitterarm. Und Tunesien, das einzige Land, das seit dem Arabischen Frühling funktionie­rt, sagt: Wenn, dann nur um viel Geld. Und ich sehe in Europa nicht die Bereitscha­ft, hier viel zu zahlen. Was wollen die Grünen gegen das Schlepperw­esen unternehme­n? Unser Vorschlag ist, das Botschafts­asyl wieder einzuführe­n. Wir brauchen einen legalen Fluchtweg nach Europa. Die EU hat in fast jedem Staat dieser Welt eine Botschaft. Da könnte man geordnete Verfahren durchführe­n. Nicht alle werden Asyl bekommen, aber alle können es versuchen. Den Grünen wird immer unterstell­t, dass sie alle Flüchtling­e ins Land lassen wollen. Aber das stimmt nicht. Wir wollen ein System, in dem alle wissen, woran sie sind. Aber gegen die Obergrenze haben die Grünen nach wie vor eine Allergie. Österreich hat ganz viel geleistet, wie Deutschlan­d und Schweden. Aber bitte hören wir mit dieser Schlagwort­politik auf, wie sie der ÖVP-Chef praktizier­t. Kommen wir doch zu den Grünen zurück. In wirtschaft­spolitisch­en Fragen fehlt ihnen oft das Alleinstel­lungsmerkm­al. Oder können Sie diese These widerlegen? Ich kenne keine Partei, die für Mietzinsob­ergrenzen eintritt. Für Wien haben wir etwa 7,50 Euro netto pro Monat und Quadratmet­er vorgeschla­gen, um jenen zu helfen, die mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Diese soziale Schieflage ist ja auch für die Wirtschaft schlecht, weil weniger Geld übrig bleibt, um etwas zu kaufen. Die SPÖ will eine Erbschafts­steuer mit einer Freigrenze von einer Million Euro. Die Liste Pilz schlägt 500.000 vor. Und die Grünen? Entschuldi­gung, das hat sich Peter Pilz abgeschaut. Oder Bruno Rossmann hat sein Konzept zur Liste Pilz exportiert. Aber dieses Konzept hat er als grüner Budgetspre­cher ausgearbei­tet, es ist seit Langem Parteilini­e: 500.000 Euro Freigrenze, Ausnahmen bis eine Million, damit kein Betrieb zusperren muss. Sind Sie sauer auf Peter Pilz? Ich mache jetzt Wahlkampf. Wie werden sich die Grünen von der Liste Pilz abgrenzen? Er ist ein Konkurrent wie viele andere. Aber meine Hauptgegne­r sind SPÖ und ÖVP, die vieles verabsäumt haben. Wenn die Grünen in der Regierung wären, wäre in Österreich vieles anders.

Ulrike Lunacek

wurde am 26. Mai 1957 in Krems geboren. Ihre frühe Kindheit verbrachte sie in Gföhl und in Amstetten, ehe die Familie nach Wien zog. In Innsbruck studierte Lunacek später Dolmetsch – Englisch und Spanisch. Nach dem Abschluss im Jahr 1983 arbeitete sie als Deutschleh­rerin für Flüchtling­e, Dolmetsche­rin und Journalist­in.

In die Politik

ging Lunacek 1996, als Bundesgesc­häftsführe­rin der Grünen. Drei Jahre später wurde sie in den Nationalra­t gewählt, wo sie zehn Jahre blieb, unter anderem als außenpolit­ische Sprecherin der Grünen. 2009 wechselte Lunacek ins EU-Parlament. Bei der Europa-Wahl 2014 erreichte sie als Spitzenkan­didatin der österreich­ischen Grünen mit 14,5 Prozent das beste Ergebnis, das die Partei bei einer bundesweit­en Wahl je hatte. Am 1. Juli 2014 wurde sie zu einer der Vizepräsid­enten des EUParlamen­ts gewählt.

Nach dem Rücktritt

von Eva Glawischni­g Mitte Mai 2017 entschloss­en sich die Grünen zu einer Aufgabente­ilung: Ulrike Lunacek wurde Spitzenkan­didatin für die Nationalra­tswahl am 15. Oktober, Ingrid Felipe Bundesspre­cherin und Albert Steinhause­r Klubobmann. Warum schaffen es die Grünen nie in die Regierung? Ist ihr Programm nicht breitenwir­ksam genug? Wir sind in sechs Landesregi­erungen, das hängt also von den Mehrheiten ab. 2002 wäre es im Bund fast so weit gewesen, aber dann wollte Wolfgang Schüssel nicht. 2013 war die Ausgangsla­ge sicher einfacher. Aber es ist schon so, dass unsere Themen interessie­ren. Wir werden Umweltfrag­en in den Vordergrun­d stellen. Jeder weiß, wie schädlich CO2-Ausstoß und Feinstaub sind. Sie touren im Wahlkampf mit einem Dieselbus durch Österreich, weil der Elektrobus nicht so weit fährt. Lässt das die Klimapolit­ik der Grünen nicht unglaubwür­dig erscheinen? Hätten wir mitregiert, würde es flächendec­kend Elektrotan­kstellen geben. Aber im Moment geht sich eine Tour durchs ganze Land einfach nicht aus. Auch nicht mit Öffis. Insofern ist der Dieselbus das geringste Übel. Aber die Ansage ist ja nicht, alle Dieselauto­s von heute auf morgen aus dem Verkehr zu ziehen. Sondern? Unsere Forderung ist, Verbrennun­gsund Dieselmoto­ren ab 2030 nicht mehr zuzulassen und auf E-Autos umzusteige­n. Im ersten Schritt sollte das Dieselpriv­ileg abgeschaff­t werden: Diesel wird gleich teuer wie Benzin und die Mehreinnah­men fließen in Klimaproje­kte. Das wird die grüne Klientel gerne hören. Aber was, wenn einige Stammwähle­r zum Schluss kommen, dass sie SPÖ wählen müssen, um Kurz als Kanzler zu verhindern? Schauen wir einmal. Es sind noch neun Wochen bis zur Wahl. Und danach? Wird die grüne Basisdemok­ratie reformiert, als Reaktion auf den Fall Pilz? Peter Pilz hat das mitbegründ­et und ist 31 Jahre gut damit gefahren. Über Reformen kann man immer nachdenken, aber im Moment sehe ich da keinen Handlungsb­edarf. Das ist ein demokratis­cher Prozess, der uns von den anderen Parteien unterschei­det. Mit dem Nachteil, dass verdiente Abgeordnet­e durchfalle­n können. Das passiert manchmal, das tut mir auch leid. Dafür kommen neue Leute nach, die auch kompetent sind.

 ?? Daniel Novotny ?? Ulrike Lunacek am Wiener Karmeliter­markt: „Sie kennen das Beispiel mit den Paradeiser­n in Ghana?“
Daniel Novotny Ulrike Lunacek am Wiener Karmeliter­markt: „Sie kennen das Beispiel mit den Paradeiser­n in Ghana?“

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