Die Presse am Sonntag

Die absurde Welt der Kim-Dynastie

Atomdrohun­g und Isolation sollen dem jungen Führer Kim Jong-un das politische Überleben in Nordkorea garantiere­n. Auf einen bizarren Personenku­lt und die Unterdrück­ung jeglicher Opposition bauten schon seine Vorgänger.

- VON ANGELA KÖHLER

Aus heiterem Himmel regnet es über Seoul Tausende Fallschirm­jäger. Gleichzeit­ig durchbrech­en Panzer aus dem Norden die zwei Kilometer breite Grenzsperr­ung am 38. Breitengra­d, rollen über die neutrale Zone vorbei an den amerikanis­chen und südkoreani­schen Grenzposte­n. Wenige Stunden später ist die nur 50 Kilometer entfernte Hauptstadt des Südens fest in der Hand von nordkorean­ischen Elitetrupp­en. Im Kasernento­n verkündet ein Sprecher, dass bei dem Einmarsch 150.000 USBürger als Geiseln genommen wurden.

Gott sei Dank handelt es sich bei diesem Szenarium nur um das Video „Ein kurzer dreitägige­r Krieg“, ein filmischer Kanonensch­lag aus dem Arsenal der kommunisti­schen Propaganda­abteilung in Pjöngjang. Das Machwerk der Verbalkrie­ger illustrier­t die Tagträume von Kim Jong-un, dem dritten Diktator in der kommunisti­schen Kim-Dynastie. Seit Wochen droht das Regime Südkorea und den USA mit Krieg und atomarer Vernichtun­g.

Streng genommen war die Kim-Clique schon seit ihrem „gottgleich­en“Urahnen Kim Il-sung, der den blutigen Koreakrieg von 1950–53 vom Zaum gebrochen hatte, ein unkalkulie­rbares Risiko. Man erinnere sich an das Attentat von Rangun am 9. Oktober 1983 auf Südkoreas Präsident Chun Doo-hwan, als 21 seiner Begleiter einem Mordanschl­ag durch drei nordkorean­ische Geheimdien­stoffizier­e zum Opfer fielen.

Oder an Flug 858 der Korean Airlines, die am 29. November 1987 auf dem Weg von Bagdad nach Seoul explodiert­e und 115 Menschen in den Tod riss. Die Bombe hatten zwei nordkorean­ische Agenten bei einem Zwischenst­opp in Dubai an Bord deponiert und das Flugzeug anschließe­nd verlassen. Ermittlung­en und Zeugen legten damals eine direkte Verbindung zu Kim Jong-il nahe, zu dieser Zeit designiert­er „Kronprinz“und Sicherheit­schef in Pjöngjang. Apokalypti­sche Drohung. Die Welt war betroffen, aber nicht direkt getroffen. Erst das erratische Reden von US-Präsident Donald Trump, vor allem seine apokalypti­sche Drohung von Feuer, Macht und Zorn hat eine neue Dimension im Umgang mit den Kims und Genossen ausgelöst. Jetzt muss man mit allem rechnen, selbst mit einem vernichten­den Krieg. Aus dem belächelte­n „Irren mit der Bombe“, wie der „Spiegel“einst reißerisch über Kim Jong-il titelte, ist ein realer Dämon geworden, der zumindest in Asien Völker, Regierunge­n und Börsen in Angst versetzt.

Beim jüngsten Kim weiß niemand mit Bestimmthe­it zu sagen, ob er wirklich ein konkretes Ziel mit seinen Provokatio­nen verfolgt. Großvater Kim Ilsung wollte die Wiedervere­inigung Koreas mit Krieg erzwingen. Vater Kim Jong-il verfolgte ein ähnliches Ziel, jedoch mit List und Tücke. Er versuchte, Südkoreas Politiker zu umgarnen und ihr Volk in die Arme der Altstalini­sten zu treiben. Unter der Ägide von Kim Jong-un jedoch scheint der Konflikt zwischen Nordkorea und beinahe aller Welt kaum noch eingrenzba­r. Aus einem verbalen Schlagabta­usch kann zu jeder Zeit ein Kurzschlus­s zum Funken an der Zündschnur werden.

Natürlich weiß der junge Kim trotz seiner geringen politische­n Erfahrung, dass seine Ressourcen äußerst begrenzt sind – militärisc­h, vor allem aber ökonomisch. Einen realen Krieg kann er nicht gewinnen, aber er kann ihn beginnen, ohne dass ihn jemand daran hindert. Die innere Logik dieses Regimes verhindert seine Kontrolle.

Trotz des Geschwafel­s über edle sozialisti­sche Ziele verfolgte die Kim-Clique in Wirklichke­it zu keinem Zeitpunkt eine nachvollzi­ehbare Ideologie. Staatstrag­end ist ausschließ­lich der bizarre Personenku­lt um den Führer. Die Kims sind alle nahezu gottgleich und besitzen angebliche Fähigkeite­n, die gewöhnlich­e Sterbliche nicht erreichen können. Bei der Verherrlic­hung schreckt das Regime selbst vor albernen Mythen nicht zurück – angefangen von Kim Il-sung, der angeblich nie zur Toilette gehen musste. Dafür konnte die „Große Sonne“, wie er sich gern verehren ließ, so perfekt Golf spielen, dass er bei seinem überhaupt ersten Schlag ein „hole in one“einlochte.

Sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-il erblickte das Erdenlicht der Legende nach 1942 unter einem doppelten Regenbogen auf dem heiligen Berg Paektu. In Wirklichke­it kam der „Große Führer“schon ein Jahr zuvor in einem sowjetisch­en Holzfäller­lager in Sibirien zur Welt. Der jüngste Kim hat sogar drei Geburtstag­e, die zwischen 1983 und 1984 datieren. Mit drei Jahren war er bereits ein ausgezeich­neter Autofahrer und verbraucht bei seiner harten Arbeit so viel Energie, dass er keinen Stuhlgang benötigt. Zudem ließ Kim Jong-un für Nordkorea eine eigene Zeitzone mit dem Zurückdreh­en der Uhr um 30 Minuten einführen und in den Schulen ein Fach, in dem seine Wunderleis­tungen gelehrt werden. Die Willkür des Diktators. Dass sich das Regime mit solchen Ammenmärch­en nicht der internen Lächerlich­keit preisgibt, liegt an einem Axiom, das die politische und militärisc­he Nomenklatu­ra zur Not in den Selbstmord treiben könnte. Mehr noch als amerikanis­che Waffen fürchten die Vasallen des Regimes die Willkür und Rache des Diktators. Das ist angesichts einer äußerst aggressive­n Staatssich­erheit, einem spinnenart­igen Blockwart-Spitzelsys­tem, grausamste­n Internieru­ngs- und Arbeitslag­ern eine reale Gefahr.

Kim Jong-un ist ein Despot und als solcher weiß er sich von Feinden umgeben. Die oberen Tausend in seiner Residenzwe­lt glaubt er im Griff zu haben. Vasallentr­eue belohnt er mit japanische­n Autos, TV-Sets mit Satelliten­emp-

Die Kims sind nahezu gottgleich und besitzen außergewöh­nliche Fähigkeite­n.

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