Die Presse am Sonntag

Geliebte Waffe ohne Wirkung

Regierungs­chefs greifen derzeit wieder vermehrt zu Wirtschaft­ssanktione­n, um Länder wie Nordkorea, Russland oder Katar zu bestrafen. Nur schade, dass sie kaum wirken.

- VON MATTHIAS AUER

Fünfzehn zu null. Ohne eine einzige Gegenstimm­e beschloss der UNO-Sicherheit­srat vergangene Woche die drastische Verschärfu­ng der Wirtschaft­ssanktione­n gegen Nordkorea, das die Vereinigte­n Staaten mit einem Atomschlag bedroht. Nur wenige Tage vorher besiegelte Donald Trump ein Sanktionsg­esetz gegen Russland, die EU legte wenig später nach. Und im von den Nachbarn isolierten Golfstaat Katar wurden die ersten 165 von 4000 deutschen Kühen eingefloge­n, um die Milchverso­rgung zu sichern. Sanktionen haben wieder Hochsaison. Allzu große Sorgen müssen sich Wladimir Putin und Kim Jong-un aber nicht machen. Denn die Geschichte zeigt: Sanktionen scheitern fast immer – und das seit der Antike.

Das erste überliefer­te Handelsemb­argo verhängte Perikles vor fast 2500 Jahren, berichtet der Geschichts­schreiber Thukydides. Angetriebe­n von konservati­ven Einflüster­ern wollte der Staatsmann der damals bedeutende­n Wirtschaft­smacht Athen ein Exempel statuieren und belegte die Nachbarsta­dt Megara mit einem Boykott. „Nicht zu Wasser und Land, nicht in Hafen und Markt, nicht als Wandrer noch Gast, nie suche und finde hier sich ein Meganer Ruh und Rast“, lässt Aristophan­es Perikles in der Komödie „Die Acharner“sagen. Doch der Schuss ging nach hinten los. Megara suchte Hilfe bei den Spartanern. Das Embargo mutierte von der Stärkedemo­nstration zum Auslöser des Peloponnes­ischen Krieges, an dessen Ende Athen als großer Verlierer stand. Gegen Kuba und Delfinquäl­er. Seither geht es in der Tonart weiter. Gerade im 20. und 21. Jahrhunder­t setzten Regierungs­chefs gern auf ökonomisch­e Repression, um ihre außenpolit­ischen Ziele zu erreichen. Manchmal durchaus mit Erfolg: Die seit den 1980er-Jahren laufenden internatio­nalen Sanktionen gegen Südafrika haben einen Beitrag geleistet, um das System der Apartheid zu Fall zu bringen. Gemeinsame Sanktionen gegen das iranische Atomprogra­mm haben das Land zumindest an den Verhandlun­gstisch zurückgebr­acht.

Dennoch sind die Fehlschläg­e weitaus leichter zu finden. Bestes Beispiel ist das Embargo, das Washington Anfang der 1960er gegen Kuba verhängt hat. Glaubt man Pierre Salinger, damals Referent von US-Präsident John F. Kennedy, war schon der Anfang schwer: Kennedy wollte das Handelsemb­argo erst unterzeich­nen, nachdem Salinger ihm 1200 kubanische Zigarren, Marke Petit Upmanns, für den persönlich­en Gebrauch organisier­t hatte. Er hätte sich die Mühe sparen können. Nach über einem halben Jahrhunder­t Sanktionen sind die Castros immer noch an der Macht. Die Isolation hat Kuba und die ehemalige Sowjetunio­n enger zusammenrü­cken lassen und Fidel Castro geholfen, den Sozialismu­s auf der Insel zu konservier­en. Die Sanktionen gegen Kuba sind gescheiter­t, räumte Barack Obama freimütig ein, als er vor wenigen Jahren die Zügel lockerte.

Obwohl auch Staaten wie Russland oder China groß im Sanktionsg­eschäft mitmischen, haben doch die Amerikaner einen besondern Narren an der Methode gefressen. Die USA versuchten es mit Sanktionen, um unliebsame Regierunge­n in Südamerika zu stürzen, Menschenre­chte zu promoten oder Staaten wie Italien und Belize für „Grausamkei­ten gegenüber Walen und Delfinen“zu bestrafen. Die Ausbeute steigt, wenn sich mehr Länder anschließe­n, aber auch ein breiter Schultersc­hluss ist keine Erfolgsgar­antie. So haben internatio­nale Sanktionen gegen Serbien Anfang der 1990er das Land auch nicht vom Einmarsch in Bosnien abgehalten.

Die mangelnde Wirksamkei­t der Strafmaßna­hmen ist gut erforscht. Zu oft wird sie ignoriert oder missbrauch­t, wenn etwa China internatio­nale Sanktionen gegen den Iran nutzt, um zum größten Handelspar­tner des Landes aufzusteig­en. Aber warum ziehen Staaten das erfolglose Konzept dennoch wieder und wieder aus der Schublade? Kein iPhone, kein Cognac. Ein Grund ist der Mangel an Alternativ­en für Regierunge­n, wenn Worte zu wenig und Waffen zu viel sind. Sanktionen sind immerhin ein Weg, um bestimmte Entwicklun­gen öffentlich zu verurteile­n und auch im eigenen Land zu signalisie­ren, dass man nicht untätig bleibt. Dafür werden allerdings Kollateral­schäden in Kauf genommen. So stoßen sich Drittstaat­en oft daran, dass auch sie künftig Geschäfte mit einem bestimmten Land zu unterlasse­n haben. Genau darum, weil europäisch­e Firmen betroffen wären, wehrt sich gerade die EU so heftig gegen die geplante Ausweitung der US-Sanktionen gegen Russland. Auch die Auswirkung­en auf die sanktionie­rten Länder sind oft drastisch. Ein Waffenemba­rgo gegen Südafrika machte das Land erst zum Waffenprod­uzenten und dann zum Exporteur. Die Sanktionen gegen den Irak sollen einer (umstritten­en) UN-Schätzung zufolge eine halbe Million Kinder das Leben gekostet haben.

US-Präsident Kennedy orderte noch 1200 Zigarren aus Kuba, bevor er das Embargo erließ. Staatschef­s haben zwischen Worten und Waffen nur wenige Mittel in der Hand.

Die Antwort darauf lautet „smarte Sanktionen“. Mit gezieltem Einfrieren von Konten oder Visumbesch­ränkungen sollen nicht alle Menschen eines Staats, sondern nur die Machthaber getroffen werden. Aber sind die Nadelstich­e erfolgreic­her? Nicht unbedingt. 2006 hat es die Welt etwa gegen Nordkorea schon einmal „smart“probiert. Die Einfuhr von Luxusartik­eln wie iPhones oder Cognac wurde verboten, um den früheren Führer Kim Jong-il zu treffen. Doch Schmuggler umgingen die Strafmaßna­hme problemlos. Elf Jahre später sitzt sein Sohn Kim Jong-un in Pjöngjang an der Macht – und ärgert die Welt mindestens so sehr wie sein Vater.

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