Wo die Kamera läuft, laufen ihr Touris nach
Set-Jetting revolutioniert das Reiseverhalten: Immer mehr Fans wählen als Urlaubsziel die Schauplätze von Erfolgsserien und Kultfilmen. Für den Drehort ist das ein wirtschaftlicher Segen – was einen Wettstreit um den Zuschlag für die nächste Staffel entfa
Siebzehn Minuten Sendezeit können die Geschicke einer Stadt verändern. Osuna im Süden Spaniens war ein von der Krise heimgesuchtes, von der Jugend verlassenes Landstädtchen mit großer Vergangenheit und trüber Zukunft. Bis sich im Oktober 2014 in der malerischen Stierkampfarena seltsame Dinge ereigneten: Während Männer im Staub um ihr Leben kämpfen, stürmen Rebellen mit Messern und goldenen Masken herein und schlachten auf dem Weg zur Königsloge Hunderte Besucher ab. Aber die Silberkönigin entkommt dem Attentat, weil ihr im letzten Moment ihr verschollen geglaubter Drache Drogon zu Hilfe eilt. Alles klar?
Staffel fünf, Folge neun. Eine einzige Szene aus dem labyrinthischen Handlungsgeflecht von „Game of Thrones“. Bis dahin hatten auch die meisten der 18.000 Bewohner von Osuna keine Ahnung von der Fernsehserie, die in ihrer amerikanischen Heimat alle Rekorde bricht. Wer kann sich schon in einem verarmten Kaff mit 22 Prozent Arbeitslosigkeit Bezahlfernsehen leisten? Wie ein Elementarereignis brach der Dreh über die andalusische Kommune herein: 5000 Statisten,
Mio. Pfund
haben die laufenden Dreharbeiten für „Game of Thrones“der nordirischen Wirtschaft bisher eingebracht.
Arbeitsplätze
sind dadurch entstanden, davon 900 Vollzeit und 5700 Teilzeit. Schauspieler und Crewmitglieder, chronisch überfüllte Lokale und Nachtquartiere, von euphorisierten Fans gesäumte Straßen. Die „Thronies“genannten Anhänger der episch ausufernden Pseudo-Mittelalter-FantasySaga blieben Osuna auch erhalten, als der Spuk nach drei Wochen vorbei war: Um 105 Prozent stiegen die Besucherzahlen seitdem. Es gibt geführte Touren zur Plaza de Toros und zur Tapasbar der Stars, das Museum wurde um Säle zur Serie erweitert. Vor allem junge Gäste aus aller Welt sorgen für neuen Schwung – und neue Hoffnung. Nein, für einen Boom haben die 17 Minuten nicht gereicht. Aber die Menschen in Osuna sind wieder stolz auf ihre schöne Stadt und packen an, um mehr aus ihrem Kapital zu machen. Das Phänomen dahinter heißt Set-Jetting – und ist im Grunde nicht neu: Wer einen tollen Roman liest oder einen schönen Film sieht, den mag seit jeher die Sehnsucht packen, seinen Helden an den Schauplatz der Handlung nachzureisen. Aber erst seit Kurzem entwickelt sich daraus ein Massenphänomen, das die Fantasien der Tourismusmanager beflügelt. Angefangen hat es zu Beginn der Nullerjahre mit der Verfilmung des „Herrn der Ringe“. Die drei Teile wurden in einsamen Landstrichen Neusseelands gedreht. Eine bessere Werbung hätte sich die Insel nicht erträumen können: Sie mauserte sich zu einer der Durchstarterdestinationen des vergangenen Jahrzehnts, die Besucherzahlen haben sich verdoppelt. Konkreter sind die Kulissen bei „The Beach“mit Leonardo DiCaprio. Da mochten die Kritiker den Film mit noch so viel Hohn überschütten: Er bescherte dem Thailand-Tourismus ein Plus von 19 Prozent. Das Pa-
»Game of Thrones« hat den Serien-Reisewahn in eine neue Dimension katapultiert.