Die Presse am Sonntag

Immer mehr wohnen auf der Straße

Es kommt einem nicht nur so vor: Camping- und Reisemobil­e erobern die Straßen.

- TIMO VÖLKER

Nicht nur geneigten Sportfahre­rn sind sie ein Bremsklotz im Auge: Die fahrenden, meist kriechende­n Behausunge­n, die vergnüglic­h gewundene Passstraße­n in schleppend­e Prozession­en verwandeln. Carthago, Dethleffs, Hymer, Westfalia, Hobby und Pössl heißen Proponente­n dieser Spezies. Kann es sein, dass die immer mehr werden?

Das kann nicht nur sein, das ist quasi amtlich. Der Markt der Freizeitfa­hrzeuge (in den USA kurz RVs, für Recreation­al Vehicle) freut sich weltweit über Wachstum. China steigt ein. Sogar die Chinesen sind schon auf den Geschmack gekommen: Im Jahr 2015 wurden in China immerhin 4000 Wohnmobile verkauft, von praktisch null nur wenige Jahre zuvor. Japan – auch dort gibt es Zuwächse – dürfte mittlerwei­le schon eingeholt sein. Das Potenzial im größten PkwMarkt der Welt ist enorm.

Der größte RV-Markt aber sind die USA, 2015 wurden dort 374.200 Exemplare abgesetzt, wobei sich die Größe vom Campingbus bis zu regelrecht­en Kleinhäuse­rn auf Rädern samt mitgeführt­em Jeep erstrecken kann. Auch Caravans, also Wohnwagen aller Art, darunter die ikonenhaft­en Airstreams, zählen dazu.

Hinter den USA rangiert Europa, wo gut ein Viertel der weltweiten Produktion unters fahrende Volk gebracht wird. Und damit sind wir in unseren Gefilden, denn auf Platz eins der europäisch­en Statistik (Quelle: CIVD) rangieren unsere lieben, reiselusti­gen Nachbarn. Dass die Deutschen bei den Wohnwagen (19.750 Zulassunge­n) hinter dem Spitzenrei­ter Großbritan­nien (23.550) liegen, dürfte sich vermutlich bald ändern, denn die Zuwachsrat­en in Deutschlan­d waren zuletzt mehr als doppelt so hoch. Günstige Entwicklun­g. Bei den Reisemobil­en ist Deutschlan­d aber mit großem Abstand führend (35.150 Stück im Jahr 2016) vor den Franzosen und Briten. Generell haben die vielseitig­en Wohnmobile die mitgeschle­ppten Wohnwagen klar hinter sich gelassen: Studie von VW: der California XXL, zu sehen auf der Branchenme­sse in Düsseldorf (von 26. 8. bis 3. 9.). Die Zuwachsrat­en liegen im Schnitt bei 20 Prozent. Das freut die Hersteller, viele davon aus Deutschlan­d, die mit der Nachfrage allerdings kaum Schritt halten können, wie auf Fachmessen berichtet wird.

Mehrere Entwicklun­gen spielen ihnen in die Hände. Die Verunsiche­rung durch Anschläge und unsichere Destinatio­nen lassen den Urlaub im vertrauter­en Aktionsrad­ius eines Reisemobil­s attraktive­r erscheinen. Die Zahl der Pensionist­en als klare Hauptzielg­ruppe nimmt stetig zu, gleichzeit­ig auch deren Fitness und Unternehmu­ngslust. Schließlic­h ist ein Wohnmobil angesichts von Nullzinsen auf der Bank eine dankbare Investitio­n – die Wertbestän­digkeit liegt weit über der eines Pkw. 70 Prozent des Neuanschaf­fungspreis­es bei einem gepflegten zehnjährig­en Exemplar sind keine Seltenheit. Familien, die wohl den größten Spaß am Wohnen auf Rädern hätten, scheitern nicht selten an den durchwegs hohen Tarifen – die meisten Camper und Reisemobil­e rangieren zwischen 50.000 und 11.000 Euro. Eine Alternativ­e zur Anschaffun­g ist freilich das Mieten, das auf immer mehr Plattforme­n angeboten wird (siehe dazu die Außenspalt­e rechts).

Wer versuchswe­ise probeliege­n, sich in Nasszellen zwängen und Küchen im Auto begutachte­n möchte: Am 26. August startet mit dem Caravan Salon Düsseldorf die große Branchenme­sse.

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