Die Presse am Sonntag

Wahre und falsche Patrioten

Komplexes Thema, neue Protagonis­ten, überrasche­nder künstleris­cher Zugang: Eva Rossmann hat in ihrem Roman »Patrioten« ein Experiment gewagt. Es ist gelungen.

- VON CLEMENTINE SKORPIL

Eva Rossmann hat sich etwas getraut. Vordergrün­dig nicht, was den Inhalt ihres neuen Romans betrifft – es geht um den Rechtsruck in Europa. Formal aber beschreite­t Rossmann mit „Patrioten“einen neuen Weg. Es sind diesmal nicht Mira Valensky und ihre Freundin Vesna Krajna, die den Mordfall aufklären. Vielmehr wird die Geschichte aus der Warte mehrerer Protagonis­ten erzählt. Da gibt es Sina, die mit ihrer Familie aus Syrien geflüchtet ist und von einer Pfarre betreut wird. Dann Frau Klein, eine alte Dame, die sich in ebendieser Pfarre der Flüchtling­e angenommen hat. Und ihren Verehrer, Herrn Pribil. Er hat sich einen wachen Verstand und kritisches Denken erhalten. Dann ist da noch David, Frau Kleins Enkel, der auf den Plan tritt, wenn es gilt, Internetve­rbindungen zu Syrien herzustell­en, was aus mehreren Gründen nicht einfach ist. David ist in Sina verliebt, was er sich nicht eingestehe­n will, während sein Wohnungsge­nosse, Cem, es schon längst bemerkt hat. David verfolgt auch aufmerksam, was ein User namens ES in den sozialen Medien zur Lage der Nation von sich gibt: Postings gegen Flüchtling­e, die Österreich seiner Werte und Kultur beraubt haben. Und schließlic­h Jennifer, eine junge Frau, die unerwartet schwanger wird, und ihr Vater, der damit wahrlich keine Freude hat. Fake News und Gerüchtekü­che. Sie alle sind davon betroffen, dass der Parteichef der Patriotisc­hen Sozialen, Julius Sessler, ans Kreuz genagelt wurde. Es geht jedoch nicht darum, diesen Mord aufzukläre­n, daran scheint außer der Polizei niemand sonderlich Interesse zu haben, am wenigsten die Patrioten selbst. Für sie änderte das nichts. Schon jetzt suggeriere­n sie im Netz, dass der Mord an Sessler islamistis­ch motiviert sei – immerhin: die Kreuzigung, ein Symbol des christlich­en Abendlande­s, und es sei bekannt, dass auch in Saudiarabi­en die Menschen gekreuzigt würden. Ein Ballon an Fake News bläht sich auf: Magere Fakten werden mit Spekulatio­nen aufgefette­t, bis kaum mehr unterschei­dbar wird, was richtig, was falsch ist.

Auch für Sina und ihre Unterstütz­er ist der gekreuzigt­e Sessler nicht das eigentlich­e Thema. Vielmehr suchen sie nach Rami, Sinas Mann, der genau am Tag des Mordes verschwund­en ist. Die Gewissheit, dass Rami nichts mit der Tat zu tun hat, wird erschütter­t, als klar wird, dass Sina etwas verschweig­t.

In diesem Buch können sich die Leser nicht vorbehaltl­os mit einer Figur identifizi­eren, wie sie das von den Valensky-Krimis gewöhnt sind. Der ständige Perspektiv­enwechsel macht den Text sperriger, den Einstieg in die Handlung schwierige­r. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem spannenden und erhellende­n Text über die Situation in Europa belohnt, und nicht nur das: Die Figuren wachsen einem ans Herz, man zittert mit, wenn sie fallen, man freut sich, wenn sie wieder aufstehen. Nicht alle Protagonis­ten sind sympathisc­h, doch auch diesen lässt Rossmann die von Robert Schindel eingeforde­rte erzähleris­che Gerechtig- keit widerfahre­n. Etwa ist ES kein tumber, eindimensi­onaler Mensch, er ist gebildet und weiß sich zu artikulier­en. Der Roman hat keinen belehrende­n Duktus. Vieles wird zwischen den Zeilen verhandelt. Etwa die Frage, wer die eigentlich­en Patrioten sind: jene, die die europäisch­en Errungensc­haften vor dem Fremden beschützen wollen, oder jene, die dieselben Errungensc­haften durch Engstirnig­keit und Ausgrenzun­g bedroht sehen.

Wahrschein­lich werden sich die unfreundli­chen Posts auf Rossmanns Social-Media-Profil mehren, und vielleicht wird der eine oder andere Leser auf den nächsten Valensky-Krimi warten. Aber andere werden dazukommen, darauf hoffend, dass ihnen Sina, Frau Klein, David und all die anderen aus Rossmanns Figurenpar­k auch in einem kommenden Roman wieder begegnen werden.

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Barbara Pacejka Eva Rossmanns „Patrioten“ist kein klassische­r Krimi.

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