Die Presse am Sonntag

Die Erben der Einhörner

Das Einhorn ist so gut wie pass´e, jetzt ist die Hochsaison der Flamingos. Warum die Mode-, Dekound sogar die Luftmatrat­zenbranche ständig auf neue Trendtiere setzen.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Vermutlich sind die Katzen schuld. Oder eine ganz bestimmte, Hello Kitty nämlich. Geboren 1974 in Japan, mit vollem Namen Kitty White, vielfach repliziert auf T-Shirts, Halstücher­n, Polstern und Küchenuten­silien, und zwar mit dem immer gleichen Konterfei: weißer Körper, Knopfaugen, drei Schnurrbar­thaare an jeder Backe, dafür kein Mund (wieso eigentlich kein Mund?) und eine bunte Schleife oder Blume an das (meist) rechte Ohr gesteckt. War die weiße Kitty gut zwei Jahrzehnte nur als Mädchenspi­elzeug und vorwiegend in Japan beliebt, eroberte sie ab Mitte der Neunzigerj­ahre alle Erdwinkel und die Herzen von Teenagern und Erwachsene­n. Der japanische­n Firma Sanrio gelang es also die in ihrer Heimat gebräuchli­che Kawaii-Kultur, die Ästhetik und Hinwendung zur Niedlichke­it, in die Welt zu tragen.

Die Folgen spüren wir bis heute. Denn ständig tauchen neue auf, niedliche Tiere, die die Bekleidung­s-, Spielwaren-, Einrichtun­gs- und Spaßartike­lindustrie überschwem­men, und natürlich das Internet. Gerade war es noch das Einhorn, das man in den ausgefalle­nsten Designs (von sehr kitschig bis sehr reduziert, stets mit Regenbogen­schweif ) auf Hauspatsch­en, Federpenna­len, Schlafanzü­gen und Schokolade­sorten entdeckte. Das Fabelwesen wird vermutlich nie wieder verschwind­en, dafür ist seine Symbolik zu stark: Ein Wesen, das nicht existiert, wer daran glaubt, glaubt an das Unmögliche. Aber es bekommt zwischendu­rch immer wieder Konkurrenz von echten Tieren. Von Eule, Igel, Fuchs oder Reh – und seit einiger Zeit vom Flamingo.

Will man die Luftmatrat­zenbranche als Trendbarom­eter sehen, dann sind Flamingos in diesem Sommer endgültig im Mainstream angekommen. Auf dem Strand, in Swimmingpo­ols und auf Urlaubssch­nappschüss­en auf Instagram sieht man auffallend viele Flamingosc­hwimminsel­n (mit Einhörnern gab und gibt es die freilich auch). Das Tier wird auf Schuhe appliziert, taucht in Düften („Pink Flamingo“von Prada) und in der Kosmetik auf (Lipgloss von Marc Jacobs). Rückkehr eines Paradiesvo­gels. „Der Flamingo ist aber schon länger da“, sagt Gabriele Schiepek, Inhaberin eines Schmuckges­chäfts in der Wiener Teinfaltst­raße. „Es gab schon in den 1950ern Steckflami­ngos, die sich Amerikaner in ihre Vorgärten gestellt haben.“Also das Pendant zum mitteleuro­päischen Gartenzwer­g. Auch sie habe diese Deko lange im Geschäft angeboten, derzeit zieren verschiede­ne Flamingo-Ohrringe ihre Auslage. Dass der Vogel wieder en vogue ist, gefällt ihr; für den Einhorntre­nd konnte sie sich nämlich kaum begeistern: „Das ist doch eine reine Mädelgesch­ichte.“Das stimmt so zwar nicht, aber es wird klar, was sie meint: Das Einhorn ist verspielte­r, kindlicher, eben fabelhaft. Der Flamingo hingegen steht mit seinen (oft, aber nicht ausschließ­lich) rosafarben­en Federn, dem langen Hals und seinen Stelzenbei­nen für eine gewisse Eleganz und Makellosig­keit. Und für etwas Paradiesis­ches. Dort, wo der Flamingo heimisch ist, wollen wir alle hin. Nicht umsonst taucht der Paradiesvo­gel häufig im Gespann mit Ananas oder Palme auf. Das Tier heißt übrigens auf Deutsch und Englisch gleich, im Italienisc­hen trägt es den schönen Namen „il fenicotter­o“, und im Spanischen heißt es wie der Tanz, „el flamenco“.

Gabriele Schiepek klingt beinahe abgeklärt, wenn sie über die Seltsamkei­ten der Schmuck- und Modebran-

Flamingos

sucht, stößt allerdings auch auf Spaßschild­er wie dieses, das anzeigt, dass man das Einhornlan­d verlässt und sich einer Flamingofa­rm nähert. che spricht, es gebe doch „eigentlich immer ein Tier“, das plötzlich alles dominiere, resümiert sie. Als sie 1986 ihr Geschäft aufgesperr­t hat, waren es Bären. Braunbären. „Auf Ketten, Ringen oder Ohrringen – und das alles gab es dann auch noch mit Gummibären.“Sie habe diesen Trend damals verweigert. Auch die Diddl-Maus kam nicht in ihr Geschäft. Jene (auch wieder weiße) Comicfigur mit den großen Füßen und Ohren des deutschen Illustrato­rs Thomas Golletz, die ab Mitte der Neunzigerj­ahre, ähnlich wie Kitty, aus den Comichefte­n auf Taschen, T-Shirts und Taschentüc­her wanderte. Gabriele Schiepek erzählt, sie habe sogar einmal eine frisch eingestell­te Mitarbeite­rin gebeten, ihre Diddl-Maus-Sammlung vom Rucksack zu nehmen, wenn sie bei ihr arbeiten wolle. „Eine Zeit lang war das Gegenständ­liche, Lustige ganz weg“, sagt Schiepek. Seit einigen Jahren ist es wieder da und wird durch digitale Kanäle wie Instagram und Pinterest verstärkt. Es sind Symbole, mit denen sich viele Menschen identifizi­eren können. Das Erstaunlic­he ist: Wer Einhorn, Flamingo und Co. trägt, will sich damit vom Einheitsbr­ei abheben, individuel­l sein und merkt gar nicht, dass er dabei ist, eine neue Uniform zu etablieren.

Der Flamingo steht für Eleganz und Makellosig­keit – und etwas Paradiesis­ches.

Älter als Kitty. Der Flamingo existiert als Deko-Element also sogar länger als Kätzchen Kitty. Und das hat viele Gründe. In den Siebzigerj­ahren wurde das gefiederte Tier, vor allem durch John Waters’ Dragqueen-Film „Pink Flamingos“, zu einem Symbol der exentrisch­en Schwulenbe­wegung. Das „ZeitMagazi­n“schrieb schon 2016: „Der bunte, wilde Vogel, einst Wahrzeiche­n suburbaner Zufriedenh­eit, später des schwulen Stilprotes­ts, dient heute dem Mainstream als Symbol der Lebensfreu­de.“Na dann. Neugierig, welches Tier als Nächstes trendet? Die Anfang des Jahres vorhergesa­gte Qualle hat sich bislang nicht so recht durchgeset­zt. Aber das Lama, das wird das Trendtier 2018.

Der Flamingo hat eigentlich eine lange Tradition, zumindest länger als Kätzchen Kitty.

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