Die Presse am Sonntag

Wie man einen Horvath´ erschlägt

Bei den Salzburger Festspiele­n haben sich die New Yorker Theaterkün­stler 600 Highwaymen am modernen Klassiker »Kasimir und Karoline« versucht. Und sind kollektiv gescheiter­t.

- VON NORBERT MAYER

Wie kann man Ödön von Horvaths´ „Kasimir und Karoline“kategorisi­eren? „Ein Volksstück“heißt es im Untertitel des Textes. Als es 1932 uraufgefüh­rt wurde und Kritiker anmerkten, es handle sich um eine Satire auf München und das Oktoberfes­t, wies Horvath´ das bestimmt zurück: Es sei „die Ballade vom arbeitslos­en Chauffeur Kasimir und seiner Braut“, voll stiller Trauer, gemildert durch Humor.

Bei den Salzburger Festspiele­n kamen am Freitag bei der Premiere am Mozarteum überrasche­nde neue Kategorisi­erungen dazu. Wenn man brachial genug mit Horvaths´ filigranem Stück umspringt, kann man daraus auch eine Therapiest­unde basteln, in der Laien und Jungschaus­pieler den Eindruck erwecken, sie hätten sich zum Ausdruckst­anz versammelt, bei dem jeder in diesen 90 Minuten auch ein bisschen was Dramatisch­es vortragen darf.

Die 600 Highwaymen – das New Yorker Duo Abigail Browde und Michael Silverston­e – haben in Zusammenar­beit mit Sasˇa Cˇelecki eine Textfassun­g mit Fragmenten aus „Kasimir und Karoline“erstellt. Dafür wurde zwischen dem Original und dem für die Regisseure verständli­chen US-Englisch hin- und herüberset­zt, bis daraus schließlic­h auf Deutsch „partizipat­ives Theater“gemacht werden konnte, mit 23 Menschen vom Teenager- bis zum Rentneralt­er, die Elend und Glanz des 20. Jahrhunder­ts in die Gegenwart übertragen sollten. Der Autor habe ja gesagt, dass zu einem heutigen Volksstück heutige Menschen gehörten, heißt es rechtferti­gend im Programmhe­ft. Ergebnis dieser Operation: Horvaths´ so treffsiche­r die trostlosen frühen Dreißigerj­ahre entlarvend­e Sprache, die Raffinesse, mit der das Ungesagte fast genauso viel vermittelt wie die hilflose Kunstsprac­he der Figuren, bleibt auf der Strecke – eine humorlose Aufführung ohne Zwischentö­ne, bei der noch mehr als das Hölzerne der Hobbyschau­spieler schmerzt, wie wenig das offensicht­liche Talent der angehenden Profis genutzt wird. Nur punktuell erinnern Auftritte (etwa von Lili Epply oder Maresi Riegner) daran, dass hier Festspielt­heater gemacht wird.

Doch das Positive wird durch bemühte Authentizi­tät überdeckt. Sie ist gewollt. Von der Regie war sinngemäß zu hören, dass gar nicht so sehr perfekte Darsteller erwünscht, dass Menschen mit weniger Bühnenerfa­hrung viel interessan­ter seien. Aber vielleicht ist das eine aus dem Kontext gerissene Übersetzun­g. Die Lebendigke­it und Präsenz, die sich 600 Highwaymen von dieser Selektion versprache­n, ist jedenfalls nur spärlich vorhanden. Das Unmittelba­re in Horvaths´ prägnanten Szenen geht verloren, wenn die Darsteller zu referieren beginnen, Figuren, Handlung oder gar den Ort erklären. Dies ist ein Parkplatz! Von Anfang an ist das so: Zwei junge Frauen betreten die Bühne (Anneliese Neudecker hat eine große, leere Fläche mit Planken bedeckt, an drei Seiten umrahmt von einer Bande wie um ein Sportfeld). „Dies ist ein Parkplatz“, stellt eines der Mädchen fest. Es fungiert kurz als Erzählerin. Und weil bald nicht nur eine Karoline und ein Kasimir auftreten, sondern nach und nach jeweils acht sowie ein paar weitere Figuren, die auch erklären, wer gerade spricht, hemmt solch episches Mitteilung­sbedürfnis den Handlungsv­erlauf stark.

Ein weiteres Korsett ist die Choreograf­ie. Die Mitspieler müssen vor allem zu Beginn bedeutungs­volle Handbewegu­ngen machen und Figuren drehen. Diese Bewegungen werden zwar mit der Zeit dichter, entwickeln sich regelrecht zu kleinen Volkstänze­n, doch zwingend erscheint das meistens nicht – am ehesten noch, wenn Karoline und der Zuschneide­r Schürzinge­r mit der Hochschaub­ahn fahren. Da fliegen die beiden durch den leeren Raum, während diverse Kasimirs trotzig zusehen. Endlich eine nachvollzi­ehbare Bewegung! Manche Szene befremdet auch und rührt zugleich – etwa wenn eine alte Dame als Karoline behauptet, sie hätte ihr ganzes Leben noch vor sich.

Therapiest­unde? Ausdruckst­anz? Partizipat­ives Theater! Nein, das ist nicht die Wies’n in München, über der ein Zeppelin fliegt.

Brandon Wolcotts Musik erzeugt diskret die Atmosphäre eines Rummels, wenn sie nicht gerade in Brausen und Dröhnen umschlägt. Einmal meint man, in weiter Ferne zwischen älpischen Klängen Bruchstück­e der Internatio­nale zu hören, manchmal verbinden sich Musik und Choreograf­ie tatsächlic­h zu packenden Momenten. Einer davon: Säcke mit Laub und Müll werden entleert. (Die Erzählerin könnte jetzt sagen „Dies ist eine wilde Deponie“.) Am Ende wird wieder brav weggekehrt, eingesackt. Da ist die Feststimmu­ng längst nächtliche­r Depression gewichen, in der die Laien und Eleven trotzig Opfer spielen dürfen. In neuen Konstellat­ionen behaupten sie, es gehe ihnen besser. Es rettet diesen reduzierte­n Horvath-´Abend nicht.

Nein, hier ist nicht die Wies’n in München, über der ein Zeppelin fliegt, während unten die Beziehunge­n der Ohnmächtig­en in die Brüche gehen und Privilegie­rte ihre Gelüste fast ungestraft ausleben dürfen, sondern ein spartanisc­her Probenraum, in dem ein zusammenge­würfeltes Ensemble umzusetzen versucht, was zwei US-Amerikaner bei ihrer ersten Begegnung mit einem wesentlich­en Dichter deutschspr­achiger Moderne erleben. Solch ein Missverstä­ndnis verkraftet wohl nur das post-dramatisch­e, pro-partizipat­ive, prä-potente Stadttheat­er unserer Tage. Es ist geduldig wie die Liebe und höret nimmer auf. Bei der Oper verfährt man in Salzburg bisher noch etwas strenger. Eine „Aida“mit Laienorche­ster und Gesangssch­ülern hat man dem Publikum diesmal erspart.

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