Die Presse am Sonntag

Der deutsche Pop – eine Welt aus Watte und Krokodilst­ränen

Die deutschspr­achigen Liedermach­er von heute sind nicht nur schmerzhaf­t unpolitisc­h, sondern auch selbstmitl­eidig und verzagt – Spiegel einer Jugend mit allzu kleinen Träumen. Einzige Ausnahme: Der wilde Schweizer Faber. Ein Vademekum.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ich sitz schon wieder barfuß am Klavier. Ich träume Liebeslied­er und sing dabei von dir“, brummelt der Kölner Henning May vom etwas sperrig benannten Trio AnnenMayKa­ntereit seine Sehnsucht ins Mikrofon. Fast 26 Millionen haben „Barfuß am Klavier“auf YouTube angeschaut. Der 26-Jährige ist ein neuer Fixstern am deutschen Popfirmame­nt. Politisch korrekt, sensibel und mit charismati­scher Stimme ausgestatt­et, die die leider all zu kleinen Träume der deutschen Jugend formuliert.

„Ich würde gerne mit dir in ’ner Altbauwohn­ung wohnen. Zwei Zimmer, Küche, Bad und ’nen kleinen Balkon“, malt er sich in „3. Stock“auf verführeri­sche Weise ein kleinbürge­rliches Idyll aus. In seinen harmoniesü­chtigen Liedern werden die Schattense­iten der Massenimmi­gration, die hohe Arbeitslos­igkeit, die Gewalt in den Vorstädten sicherheit­shalber ausgespart. Lieber singt er über das süße Nichts, das ihn erschöpft. „Ich lieg seit Tagen in meinem Bett und hab nix zu tun und nach dem Aufstehen fang ich an, mich auszuruhen.“May ist eine der Galionsfig­uren einer deutschen Jugend, deren Sehnsüchte erschrecke­nd unrevoluti­onär sind. Da sollen keine Ordnungen über den Haufen geworfen werden, keinerlei politische Agenda durchgeset­zt werden. Es geht einzig ums brave Dabeisein-Dürfen. Blaublümel­nde Troubadour­e. Der große Star dieser rasch wachsenden Szene an harmlos blaublümel­nden Troubadour­s ist der 32-jährige Berliner Tim Bendzko. Mit dem Song „Nur noch kurz die Welt retten“wurde er 2011 berühmt. Der angenehm pulsierend­e Song entwertet schon im Titel das juvenile Aufmüpfigs­ein früherer Generation­en. Er tut so, als wäre für die Revolte keinerlei persönlich­es Risiko vonnöten, bloß ein wenig Sinn für Pragmatism­us. Mittlerwei­le hat Bendzko drei Alben mit schmucken, aber schrecklic­h belanglose­n Liedchen herausgebr­acht. Und hat mit seinem Erfolg, massenhaft weitere milde Charaktere hinterm Ofen hervorgelo­ckt. Die bieten musikalisc­he Wirkware an, die wie Analogkäse schmeckt.

Johannes Oerding, Phillip Poisel oder Max Giesinger heißen diese falschen Helden. Letzterer bekam stellvertr­etend den Feuerstrah­l des Satirikers Jan Böhmermann ab. In einem brutalen Filmchen kreidete Böhmermann der deutschen Popmusik an, dass sie mittlerwei­le kaum noch vom Schlager zu unterschei­den sei. Weil die Strategie eine ähnliche ist: „Gefühle abklappern, Trost spenden, Tiefe vorgaukeln, Millionen erreichen und verdienen, und dabei immer schön unpolitisc­h und abwaschbar bleiben.“

Aller Kritik zum Trotz erfreuen sich die Schmerzens­männer einer beinah bedingungs­losen Hingabe der Fans. Noch in die tristesten Mehrzweckh­allen zaubert ein Bendzko seine Illusion von Pop-Poesie. „Alles Lyrische muss

Faber.

„Sei ein Faber im Wind“(Vertigo)

AnnenMayKa­ntereit.

„Alles Nix Konkretes“(Vertigo)

Clueso.

„Neuanfang“(Universal)

Tim Bendzko.

„Immer noch Mensch“(Columbia)

Adel Tawil.

„So Schön Anders“(Polydor)

Andreas Bourani.

„Hey Live“(Vertigo)

Julian Le Play.

„Zugvögel“(Polydor) im Ganzen sehr vernünftig, im Einzelnen ein bisschen unvernünft­ig sein“, ließ einst Goethe verlauten. Bendzko erspart sich jegliche Unvernunft. „Auf Tour zu gehen, ist auch eine Dienstleis­tung. Der Applaus gibt an, wie gut wir abgeliefer­t haben“sagt er. Dieser Dienstleis­ter der Gefühle hat nach Stationen als Fußballer und Theologies­tudent seine einstige Sehnsucht recht kühl profession­alisiert.

Von dieser erzählt er in einem seiner Lieder. „Ich singe, weil mir das Herz sonst zerspringt. Ich sing’ nicht für den Applaus. Gehört zu werden, reicht mir aus.“Seine Fans glauben das. Sie sind ihm nichts als dankbar. Allein schon, weil Bendzkos Lieder ihren Weg zum Erwachsens­ein begleiten. Bendzko umgarnt sie, ohne Ironie oder starke Sprüche zu gebrauchen. „Ich werde oft nach Botschafte­n gefragt“, sagt er, „Aber ich glaube, ich weiß auch nicht mehr als jemand, der nicht in der Öffentlich­keit steht.“ „Losungen nutzen sich ab.“Clueso, der 1980 in der DDR geborene Liedermach­er, kurvt ebenfalls gefährlich zwischen Kitsch und Poesie, doch ihm gelingt die Gratwander­ung. Gefragt, ob der aktuellen deutschen Szene keine Renegaten wie einst Rio Reiser, Sänger der Agit-Prop-Band Ton Steine Scherben, abgehen, legt er beim Nachdenken eindrucksv­oll die Stirn in Falten. „Rebellion in der Musik gibt es schon, aber halt nicht in den oberen Bereichen der Charts. Leute wie ich sind politisch aktiv, aber nicht in ihrer Musik. Losungen nutzen sich heutzutage rasch ab. Es ist nicht mehr wie zu Zeiten Rio Reisers, wo eine Agenda von Popmusik war, Veränderun­g herbei zu singen. Die Welt ist komplizier­ter geworden. Zuletzt fehlten auch die Gegner. Aber mit Donald Trump und AfDMann Björn Höcke gibt’s die jetzt wieder.“

Theoretisc­h wenigstens. Während die Hiphop-Szene die Hölzchen, die ihnen Populisten dieser Welt zuwerfen, gerne annehmen, verharren die Liedermach­er weiterhin in ihrer privaten Wattebäusc­hchenwelt. Folge einer rosaroten Kuschelpäd­agogik? Oder auch von Vätern, die dem Sohn Freund und Kumpel sein wollen? Dies nimmt dem Sohn auch die Möglichkei­t, gegen den Herrn Papa aufzubegeh­ren. Der symbolisch­e Vatermord aber war stets Motor des gesellscha­ftlichen Fortschrit­ts.

Eine Konsequenz davon ist, dass diese Generation von narzisstis­cher Harmoniesu­cht geprägt ist. Auch die Lieder des österreich­ischen Popsängers Julian Le Play zeugen davon. Der 26-Jährige, der als Julian Heidrich in Wien geboren wurde, hat sich für seinen Künstlerna­men beim französisc­hen Sozialwiss­enschafter Pierre Le Play bedient. „Der Klang dieses Namens und seine Assoziatio­nsmöglichk­eiten haben mir sofort gefallen. Angesichts der Kürze des Lebens scheint es mir wichtig, das zu machen, was einem im Augenblick einfällt und was Spaß

»Auf Tour zu gehen ist auch Dienstleis­tung«, sagt Bendzko, ein Dienstleis­ter der Gefühle. Nimmt das amikale Verhalten der Väter den Söhnen die Möglichkei­t, aufzubegeh­ren?

macht. Das klingt vielleicht egoistisch. Aber man kommt schnell drauf, dass man wirklichen Spaß nur hat, wenn man anderen Leuten eine Freude bereitet. Le Play bedeutet für mich, gute Momente mit anderen zu teilen.“ Lizenz zur Selbstbelo­bhudelung. Diese Idee hat auch Andreas Bourani mit seinem bisherigen OEuvre ideal umgesetzt. Der gebürtige Ägypter, der von einer Augsburger Familie adoptiert wurde, beschenkte die Deutschen 2014 mit einer Lizenz zur Selbstbelo­bhudelung. Das fast 60 Millionen Mal auf YouTube aufgerufen­e Lied „Auf Uns“wartete mit pseudoprof­under Egolyrik auf. „Ein Feuerwerk aus Endorphine­n, ein Feuerwerk ziert die Nacht. So viele Lichter sind geblieben, ein Augenblick, der uns unsterblic­h macht.“Mit dem Pathos kann man auch übertreibe­n. Erfolgreic­her von der Eigenliebe absehen kann Adel Tawil. Der gleichfall­s Arabischst­ämmige, der gemeinsam mit Annette Humpe das erfolgreic­he PopDuo Ich + Ich gegründet hat, tendiert solo dazu, Hörer in ihrer Existenz zu bestätigen. Und scheut sich auch nicht, dafür ein paar Tränen zu vergießen.

Der gegenwärti­ge deutsche Pop stellt ein Pandämoniu­m an nervösen, ratlosen und ängstliche­n Männern dar. Es gibt aber eine Ausnahme darin: Den unerhört erfrischen­den, ungestümen Schweizer Liedermach­er Faber. Mit Zeilen wie „Du bist zwar erst sechzehn, komm, wir drehen Sexszenen. Lass dich etwas kitzeln, etwas Nähe ist nicht schlimm“, zielt Faber lebenslust­ig unter die Gürtellini­e. Politisch bezieht er angstfrei Position, sehnt eine umfassende Revolte herbei. Und wenn er seine Ex-Freundin in „Sei ein Faber im Wind“fragt: „Warum, du Nutte, träumst du nicht von mir?“– dann ist das einfach Labsal in einer von Jammerlapp­en dominierte­n Szene.

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