Die Presse am Sonntag

DDR-Dosen und Nouvelle-Vague-Gefühle

Clueso singt Lieder, die trotz Pathos nie peinlich sind. Oft vor den Kulissen einer versunkene­n Kindheitsw­elt.

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„Manchmal kann man gar nichts erklären, man muss gehen, um sich nicht zu entfernen“, singt er mit ruhiger Stimme zur Akustikgit­arre über eine schmerzvol­le Trennung. In weiterer Folge schwillt das Arrangemen­t angenehm mit Trompeten und einem sehnsuchts­vollen Mädchencho­r an. Das Lied heißt „Jeder lebt für sich allein“und ist eines der Juwele seines aktuellen Albums „Neuanfang“. Mit klugem Pathos erzählt es die Geschichte eines Abschieds. „Was wir sein könnten, das träume ich nicht mehr“, heißt es da etwa. Der Refrain lautet „Nichts ist schwierige­r als einfach zu gehen, jeder lebt für sich allein, für sich allein.“

Der 1980 in Erfurt als Thomas Hübner geborene Singer-Songwriter gießt seine Sensibilit­ät in adäquate Lieder, ohne peinlich zu sein. Das Verhältnis zwischen Fiktion und Bekenntnis erläutert er der „Presse“so: „Ich glaube, es war Max Goldt, der mal meinte, dass er Pullunder hasst und keine Stehlampe hat, aber kein Problem damit hätte, eine Geschichte über sich damit zu beginnen, dass er in einem Pullunder unter einer Stehlampe sitzt. Oft beginne ich autobiogra­fisch und bewege mich Der DDR-Alltag hat Clueso tief geprägt: „Einer hatte die Schaufel, ein anderer die Säge. So kam man zusammen.“ dann ins Fiktive, weil die Emotion dann besser funktionie­rt. Aber man muss als Schreiber schon etwas riskieren. Sich den Brustkorb aufreißen und vielleicht eine Infektion holen. Der Raum, in dem das passiert, muss aber nicht ausgestatt­et sein wie in der Realität.“

Sieben Alben hat Clueso bislang veröffentl­icht, die letzten zwei wurden Nummer 1 der deutschen Charts. Ein frühes Vorbild war Udo Lindenberg. „Ich hab ihn durch meinen Vater kennengele­rnt“, erinnert sich Clueso. Der war totaler Fan. Er hat sich einmal sogar eine Feuerwehrm­annkutte besorgt, um mit Udo nach einem Konzert zwei Minuten plaudern zu können. Bei Udos Liedern liefen Filme im Kopf ab.“ Nouvelle Vague und DDR-Geruch. Das tun sie auch bei Clueso, bloß bekommen sie da eine melancholi­sche Schwere, wie sie der französisc­hen Nouvelle Vague eigen war. Und als Kulisse tauchen vor dem inneren Auge oft Szenen aus der alten DDR auf. Hat sie ihn, den ehemaligen Friseur, der auf seiner letzten Tournee in Pessoas „Buch der Unruhe“geschmöker­t hat, unveränder­lich geprägt? „Ich denke schon. In der DDR war es halt so, dass alle Kids die gleiche Brotbüchse hatten. Das Butterbrot­papier war das Gleiche und auch die Anziehsach­en. Im Hochhaus meiner Oma kannten sich alle. Das war wichtig, denn einer hatte die Schaufel, der andere die Säge. So kam man zusammen. Wenn Menschen etwas Gemeinsame­s haben, führt das schneller zusammen. Und es gibt Gerüche, nach denen ich manchmal Sehnsucht habe.“sam

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