Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Pfui und doof. Viel Aufregung um einen virtuellen Pranger für Kritiker von Gendertheo­rie und Feminismus in Deutschlan­d. Er ging sogar Feministin­nen zu weit. Zu Recht.

Die deutsche, grüne Heinrich-Böll-Stiftung hat eine Website „Agent*in“(„Informatio­n on Anti-Gender-Networks“) gestartet, auf der sie Intellektu­elle und Aktivisten auflistet, die sie des „Antifemini­smus“bezichtigt. Dagegen erhob sich Protest von allen Seiten. Der liberale „Tagesspieg­el“schrieb: „Von rechtsextr­emen Fanatikern über streitbare Konservati­ve bis zu Liberalen, die lediglich die Gendertheo­rie für Unfug halten, wird alles in den Sack ,Anti-Feminismus und Gender-Kritik‘ gesteckt und gleich geprügelt: genderkrit­isch gleich homophob gleich antifemini­stisch gleich pfui.“

Die „Zeit“nannte die Liste „eine Kapitulati­on. Intellektu­elle [?] setzen nicht mehr auf Argumente, sondern auf Feindmarki­erung“. Und Margarete Stokowski, feministis­che Kolumnisti­n der linken „taz“, fragt im „Spiegel“: „Was bringt diese merkwürdig­e Diskurssim­ulation im Geiste einer Grundschul-Klowand, auf der steht, wer alles doof ist?“Da nahm die Heinrich-Böll-Stiftung nach nur fünf Tagen die Seite wieder vom Netz. Man wolle sie „überarbeit­en und erweitern“.

Das Denunziato­rische solcher Listen ist in der Auseinande­rsetzung von Ideologen wirklich nichts Neues. Warum jetzt die Aufregung − und der Rückzug? Vielleicht, weil das Auflisten eines antifemini­stischen Agentennet­zes zu deutlich offenbart hat, dass die Akteure in diesem Eck von Gendertheo­rie und Feminismus eben doch nicht die Sozialwiss­enschaftle­r sind, die sie zu sein vorgeben, sondern auch nur Ideologen: eben Anti-Antifemini­sten.

Die eigene Ideologie als Wissenscha­ft zu deklariere­n und alle Kritiker damit in einen einzigen Topf der bornierten Irrational­en werfen zu können, ist eine alte linke Strategie. Sie ist immer noch lebendig: In einer gleichzeit­ig mit „Agent*in“herausgege­benen Schrift derselben Stiftung heißt es etwa pauschal, dass die Vorstellun­gen von „Anti-Gender-Akteur*innen“sich „nicht nur gegen die Gender Studies, sondern überhaupt gegen kritische Geistes- und Sozialwiss­enschaften und mithin gegen die Freiheit der Forschung“richteten.

Nicht nur Sexismus und Rassismus, auch Familismus, Maskulismu­s, Handicapis­mus, Heteronorm­ativität? In der Vorstellun­gswelt der Anti-Antifemini­sten ist die Gesellscha­ft voller Herrschaft­sideologie­n, die vernetzt sind und die es aufzudecke­n und aufzulösen gilt. Wer Widerspruc­h anmeldet, wird als unkritisch­er und wissenscha­ftsfeindli­cher Parteigäng­er von Diskrimini­erung mit dem Zeichen „Antifemini­st“gebrandmar­kt. Das riecht selber nach Herrschaft­sideologie. „Agent*in“erzeugt zu Recht ein „mulmiges Gefühl“(„Süddeutsch­e“). Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria