»Ich habe gelernt, Geduld zu haben«
»Einen klaren Weg zu finden war für mich ganz wichtig«, sagt Danielle Spera. Die Direktorin des Jüdischen Museums ist vergangene Woche 60 Jahre alt geworden. Sich bei ihren wichtigen Lebensentscheidungen nicht von ihrem Vater dreinreden zu lassen war für
Sie sind vergangenen Dienstag 60 Jahre alt geworden. Ist dieser Geburtstag Anlass für Sie, zurückzublicken und zu resümieren? Danielle Spera: Nein, für mich ist das nur eine Jahreszahl. Nach dem Judentum habe ich gerade die Halbzeit erreicht, wir sagen, „bis 120“. Und Bilanz ziehe ich jeden Tag und reflektiere: Was habe ich heute geschafft, was ist nicht so gut gelungen. Im Judentum ist ein wichtiger Grundsatz, nicht stehen zu bleiben, sich immer weiterzuentwickeln und das Beste aus dem Leben zu machen. Mein Mann und ich haben uns bemüht, diese Einstellungen auch unseren drei Kindern zu vermitteln. Ihre beiden älteren Kinder studieren in den USA. Fehlen Sie Ihnen? Sie fehlen, aber ich kann gut damit umgehen und freue mich extrem, wenn sie da sind. Sie verbringen sehr gern Zeit mit uns. Aber die Kinder gehören uns nicht. Es war uns immer wichtig, dass sie die Welt mit offenen Augen annehmen. Was heißt, die Welt annehmen? Jede Chance zu nützen, die das Leben bietet. Sie besuchten eine internationale Schule, an der nur Englisch gesprochen wird, meine Jüngste ist noch immer dort. Mein Sohn und meine Tochter haben nach der Matura ein Gap Year in Israel verbracht und studieren jetzt in den USA. Trotz der Distanz ist unsere Familie eng miteinander verbunden. Das macht auch sicher die Tradition aus, die wir leben. Inwiefern? Am Freitag sprechen wir alle miteinander über Facetime, bevor wir die Schabbatkerzen anzünden. Da liegen dann zwei Handys nebeneinander, damit alle zusammengeschaltet sind. Rituale haben Sie in Ihrer Familie immer gepflegt? Ja. Die Kinder begehen die Feiertage auch, wenn wir nicht zusammen sind, und besuchen gemeinsam die Synagoge. Das ist toll. Sie sind ja nicht religiös erzogen worden? Nein, gar nicht. Mein Vater wurde gleich nach dem Zweiten Weltkrieg Mitglied der kommunistischen Partei, weil sie die einzige war, die nichts mit den Nazis zu tun hatte. Für ihn war die Partei Religionsersatz. Auch für meine Mutter war Religion kein Thema. Wann haben Sie sich mit dem Judentum zu beschäftigen begonnen? Sehr früh. Es war immer wichtig für mich, da ich wusste, dort liegen meine Wurzeln. Waren Sie auf der Suche nach sich selbst? Wahrscheinlich. Ich musste viel hinterfragen, weil in meinem Leben so viele verschiedene Identitäten präsent waren. Wie meinen Sie das? Mein Vater war Mitglied der kommunistischen Partei. Und ich, die Tochter eines Kommunisten, besuchte – eher aus Zufall – eine katholische Schule. Es gab also viele Stränge, die nicht zusammenpassten. Ich habe damals meine Freundinnen bewundert, bei denen alles so geradlinig war. Für mich war wichtig, einen klaren zu Weg finden. Was meinen Sie damit? Ihre Studienwahl, Ihre Religion? Zum Beispiel meine Studienwahl. Mein Vater hatte immer den Anspruch, dass alles sicher sein muss. Die Versicherung muss die beste sein und der Beruf sicher. Und der sicherste Beruf
10. August 1957
in Wien als Tochter eines jüdischen HolocaustÜberlebenden geboren. Sie ist mit dem Psychoanalytiker Martin Engelberg verheiratet und hat drei Kinder. Spera studierte zwei Semester Englisch und Französisch an der Universität Wien, bevor sie sich für Publizistik und Politikwissenschaften entschied.
1983
Promotion
1978
begann sie beim ORF zu arbeiten. Sie war u. a. USAKorrespondentin. Von 1988 bis Juni 2010 moderierte sie die „Zeit im Bild 1“. Bis 2009 war sie auch im ORF-Redakteursrat.
Seit 1. Juli 2010
ist Danielle Spera Direktorin des Jüdischen Museums. für eine Frau war seiner Meinung nach Lehrerin. Daher habe ich zunächst Französisch und Englisch Lehramt studiert, aber rasch gemerkt: Das bin nicht ich . . . . . . und haben Ihrem Vater Paroli geboten? Ja, ich inskribierte Publizistik und Politikwissenschaften, weil ich Journalistin werden und die Welt erobern wollte. Doch für ihn war das ein brotloser Job. Später war er stolz auf mich und hat meine Autogrammkarten hergezeigt. Für mich war es jedenfalls sehr wichtig, diese Lebensentscheidung selbst zu treffen. Welche Rolle hat der Weg zum Judentum für Sie bedeutet? Das war eine weitere Abrundung für mich selbst und ist stimmig. Und wie hat Ihr Vater darauf reagiert? Für meinen Vater stand wieder die Unsicherheit im Vordergrund. Es könnten ja die Nazis wiederkommen, meinte er. Schön, dass Sie seine Ängste nicht übernommen haben. Nein, das habe ich nicht. Meine Mutter hat mir immer gepredigt, selbstständig zu sein. Das hat mich geprägt. Angst ist im Leben sicher der allerschlechteste Begleiter. Nur, Angst sucht man sich nicht aus, oder glauben Sie, dass man sich auch gegen sie entscheiden kann? Ich glaube, man muss auf die Dinge zugehen, sie anpacken, nicht die Augen verschließen und hoffen, dass alles vorbeigeht. Heute fällt es Ihnen nicht mehr schwer, sich Autoritäten zu widersetzen. Nein, im ORF gab es ja einige davon. (Lacht.) Diplomatie hilft, aber man muss auch bestimmt sein. Und als Direktorin des Jüdischen Museums müssen Sie auch unangenehme Entscheidungen fällen. Wenn man nichts tut, kann sich auch nichts weiterentwickeln. Alles, was ich mache, erledige ich mit großer Leidenschaft. Es ist mir gelungen, unser Team mit meiner Passion anzustecken. Das Jüdische Museum ins 21. Jahrhundert zu führen ist uns gelungen. Wir können nicht stehen bleiben. Das leben wir auch unseren Kindern vor: Wenn wir das Gefühl haben, die Dinge können sich zum Besseren wenden, tun wir etwas. Wir nehmen nicht alles hin. Unsere Kinder haben aber auch erlebt, dass man scheitern kann und dann damit umgehen muss. Was haben Sie von Ihren Kindern gelernt? Ich habe gelernt, Geduld zu haben. Gerade wenn man kleine Kinder hat, muss man seine Ansprüche zurückschrauben. Die Kinder holen einen in die Realität zurück. Es war für mich eine gute Lehre, dass nicht immer alles in der Minute passieren muss. Überhaupt hat sich mein Leben seit der Geburt meiner Kinder radikal geändert. Der Blick auf die Welt wird ein ganz anderer. Diese bedingungslose Liebe, die man von ihnen bekommt, ist überwältigend. Es ist auch so schön zu sehen, wie sie sich entwickeln und wie unterschiedlich sie doch sind. Dabei glaubt man, bei allen alles identisch gemacht zu haben. Das habe ich nie geglaubt. Wirklich? Ich glaube, dass jedes Kind anders ist und man deshalb jedes auch ein bisschen anders behandelt. Das stimmt. Ich meine aber vor allem die Rituale und all das, was man in dieser so wichtigen Kleinkinderzeit . . . was Ihnen beruflich in nächster Zeit ein besonderes Anliegen ist? Ich will unbedingt ein Schlaglicht auf das jüdische Mittelalter werfen. Das ist sehr interessant, aber diese Geschichte ist noch nahezu unerzählt geblieben. Das ist eine große Aufgabe, derzeit bemühen wir uns um ein entsprechendes Budget. . . . ob Sie wieder heiraten würden? Ja, meinen Mann sofort! . . . ob Sie sporteln? Ja, ich habe vor zwei Jahren mit dem Laufen begonnen, um am Wiener Frauenlauf teilzunehmen. Seitdem laufe ich zweimal in der Woche und möchte das nicht mehr missen. Ich dachte immer, Laufen ist langweilig, aber es ist es nicht. Ich laufe am Ring und durch die Stadt und habe dabei viel Neues entdeckt. Und ich höre beim Laufen Hörbücher, so komme ich quasi zum Lesen und spare dadurch auch noch Zeit. macht. Diese Phase wird ja weitgehend unterschätzt. Glauben Sie? Immer noch? Ich glaube schon. Viele Leute meinen, die Kinder merken nicht so viel, sie sind ja noch so klein. Sie nehmen sie nicht ernst. Dabei ist die Zuwendung in den ersten Jahren so wichtig. Es ist so wichtig, dass man mit den Kindern spricht, auch wenn sie selbst noch gar nicht reagieren können. Die (Aus-)Bildung der Kinder hat im Judentum einen besonders hohen Stellenwert. Ja, das ist aus der Geschichte erklärbar. Es wurde bei den Juden auch auf die Erziehung der Mädchen geschaut. Sie sind für das koschere Leben zuständig. Daher mussten sie die Gesetze kennen und lesen und schreiben können. Und Bildung – sagt man so landläufig – kann man überallhin mitnehmen. Vertreibung war in der jüdischen Geschichte immanent. Daher waren Juden unfreiwillige Netzwerker. Sie mussten in jeder Stadt neu anfangen, wo sie sich doch woanders ihr Netzwerk schon aufgebaut hatten. Wer waren Ihre Vorbilder beziehungsweise Mentoren? Als Journalistin war es Robert Hochner, der viel zu früh von uns gegangen ist. Er war sehr gebildet und hatte eine Gabe, die Dinge zu reflektieren. Gleichzeitig war er ein harter Interviewpartner, hat sich aber nie im Ton vergriffen. Er war großartig. Apropos „zu früh“: Wenn Sie erführen, nur mehr kurze Zeit zu haben . . . . . . dann würde ich alles so machen wie bisher. Aber wichtiger ist für mich, das Leben anzunehmen. Und sich mit dem Sterben zu beschäftigen, wenn es so weit ist.