Die Presse am Sonntag

Morden gegen den Untergang des Kalifats

Mit den Anschlägen in Barcelona wollte der Islamische Staat auch sein ramponiert­es Image aufpoliere­n. Denn die Terrormili­z ist eigentlich am Ende.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Nicht einmal ein Räuspern ist zu hören, als er die Treppe betritt. Bedächtig setzt er Schritt für Schritt und hält auf jeder der sieben Stufen inne, bevor er die nächste nimmt. Auf dem Weg zur absoluten Macht will er Demut und Würde demonstrie­ren. Dann ist es so weit: Abu Bakr al-Baghdadi, der Führer des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS), beginnt seine große Rede auf der Kanzel der al-Nour-Moschee in Mosul. Der Mann in schwarzer Robe und mit schwarzem Turban auf dem Kopf, der ihn als Abkömmling des Propheten Mohammed ausweist, ruft das Kalifat aller Muslime aus. Sich selbst erklärt er zum auserwählt­en Imam und Emir.

Es ist der Moment, auf den al-Baghdadi sehnsüchti­g gewartet hat – und in dem es den Sicherheit­sdiensten in aller Welt den Atem verschlägt. Denn das Kalifat ist der große Traum aller radikalen Islamisten, für den sie seit Jahrzehnte­n in Tschetsche­nien, Afghanista­n, im Irak oder auch in Syrien kämpfen und bereitwill­ig sterben. Ein eigener Gottesstaa­t ist ein Ideal, das sie alle verbindet. Vor dem IS hat es noch nie eine Terrorgrup­pe geschafft, ein Kalifat zu gründen. Nicht auszudenke­n, wenn sich alle Jihadisten dem IS anschließe­n.

Heute, drei Jahre später, sieht alles ganz anders aus. Zwar haben sich tatsächlic­h Zehntausen­de Islamisten aus aller Welt dem IS angeschlos­sen. Nur, das glorreiche Kalifat, das Istanbul, Rom und al-Andalus „zurückerob­ern“wollte, liegt in Trümmern. Aus dem Irak wurde der IS fast komplett vertrieben. In Syrien ist Raqqa, die Hauptstadt des Kalifats, hoffnungsl­os eingekesse­lt. Und al-Baghdadi soll tot sein, wie Menschenre­chtsbeobac­hter und Medien im Juli gemeldet haben. Heute ist es ein führerlose­r IS, der sich im rasanten Fall in die militärisc­he Bedeutungs­losigkeit befindet. Mit weltweiten Attentaten, abscheulic­hen Exekutione­n und dem Genozid an Jesiden und Christen hat die Terrormili­z die gesamte Welt gegen sich aufgebrach­t.

Es war ein Krieg, den der IS nie gewinnen konnte. Den Fußsoldate­n dürfte das nicht klar gewesen sein. Sie glaubten an den Sieg mit Allahs Hilfe. Aber die Führungsel­ite um al-Baghdadi wusste, was sie tat. Schließlic­h setzte sie sich aus ehemaligen Geheimdien­stlern und Militärs von Saddam Hussein zusammen. Ist der Untergang des IS ebenfalls Teil ihrer Strategie? Soll mit dem Ende der Organisati­on eine noch stärkere Idee geboren, ein noch größeres, mächtigere­s Gespenst erzeugt werden? In dessen Namen man weitere Attentate begeht? Dilettanti­sche Täter. Die Anschläge in Barcelona waren viel größer geplant. Sie sollten noch wesentlich verheerend­ere Auswirkung­en haben. Die Attentäter hatten Dutzende mit Sprengstof­f gefüllte Gasflasche­n in einem Haus in Alcanar, etwa 100 Kilometer südöstlich von Barcelona, vorbereite­t. Nicht auszudenke­n, wenn die mit Kabeln verbundene­n Gasflasche­n auf einem Fahrzeug in einer Menschenme­nge gezündet worden wären. Nur aufgrund des Internetbo­tschaft eines IS-Anhängers Dilettanti­smus der Täter wurde ein Blutbad verhindert. Einer von ihnen hatte sich Tage vor dem geplanten Anschlag selbst in die Luft gejagt. Mittlerwei­le ist klar, dass drei mehr oder weniger simultan ablaufende Anschläge an verschiede­nen Orten geplant waren.

Der IS wollte in Barcelona unbedingt ein Zeichen setzen, dass er selbst im Untergang noch zu Mordanschl­ägen fähig ist. Rache für den Verlust von Mosul ist mit inbegriffe­n, wie Internetbo­tschaften von IS-Anhängern nahelegen: „Ihr kämpft in unserem Land, nun kommen wir zu euch, um Krieg zu führen.“Der ursprüngli­che Plan der Täter ist gescheiter­t, aber die 14 Toten und über 100 Verletzten von Barcelona genügen, um das ramponiert­e Kampfimage in der internatio­nalen Jihadisten­szene etwas aufzupolie­ren.

Und die gefrustete­n IS-Anhänger werden erst einmal wieder bei Laune gehalten. Die ständigen Niederlage­n im Irak und Syrien, dem gelobten Land der Levante, liegen schwer auf den militanten Gemütern. Die Opfer von Barcelona entschädig­en sie da ein wenig. Bei den Kämpfern und Fanboys vor den Com- putern bleibt so die Illusion erhalten: Der Untergang in der Levante lässt sich nicht vermeiden, dafür wird die Idee überleben und sich weltweit wie ein Virus ausbreiten. Selbstüber­schätzung. „Die Täter des Anschlags von Barcelona sind Soldaten des Islamische­n Staats“, hieß es in einem Bekennersc­hreiben, das die ISNachrich­tenagentur Amaq verbreitet­e. „Sie haben die Operation als Antwort auf unseren Ruf ausgeführt, die Staaten der Koalition anzugreife­n.“Mit Koalition ist die von den USA angeführte Anti-IS-Allianz von über 60 Nationen gemeint, die im Kampf gegen die Terrorgrup­pe kooperiere­n. Sie sind für den IS Primärziel­e.

Das Sendungsbe­wusstsein des IS ist ungebroche­n. Er glaubt weiter an die Stärke seiner göttlichen Botschaft. Aber „Soldaten antworten auf unseren Ruf“ist ein Zeichen völliger Selbstüber­schätzung. Fast müsste man das als Farce abtun, wären da nicht die vielen Opfer. Denn die meisten Anschläge werden dilettanti­sch und oft von psychisch labilen Tätern ausgeführt. Selbst beim Attentat von Barcelona ist das so. Seit Langem wurde dort zwar eine konzertier­te Aktion von acht bis zwölf Männern vorbereite­t, am Ende griffen sie die die Polizei mit Messern, Äxten und fingierten Sprengstof­fgürteln an. Ein Mitglied der Terrorband­e von Barcelona war der 17-jährige Moussa Oukabir. Für clevere Rekrutiere­r ist es einfach, einen jungen Teenager zu manipulier­en.

Nun stellt sich die Frage, wie sich der Tod von al-Baghdadi – so es denn stimmt – auswirken wird. Es darf bezweifelt werden, dass daraus ein Mythos wie bei Osama bin Laden wird. Von al-Baghdadi gibt es nur das Video aus der al-Nour-Moschee. In den wenigen Audiobotsc­haften fordert er seine Kämpfer mal zum Durchhalte­n und mal zur Flucht auf. Große Reden von ihm gibt es nicht. Für einen Heldenstat­us dürfte das zu wenig sein.

Ist der Untergang des Islamische­n Staats vielleicht Teil einer Strategie? Der Anschlag in Barcelona ist für viele IS-Anhänger die Rache der Verluste von Mosul.

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Imago Blumen und Kerzen für die Opfer in Barcelona.

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