Die Presse am Sonntag

Alis Weg: Von unten nach oben

Es wäre falsch, die Geschichte von Unternehme­r Ali Mahlodji auf seinen Flüchtling­shintergru­nd zu reduzieren. Dennoch sagt sie viel über Integratio­n in Österreich aus.

- VON EVA WINROITHER

Ali Mahlodji empfängt seine Gäste im Looshaus am Michaelerp­latz, an einer der exklusivst­en Adressen in Wien. Vor einiger Zeit ist ihm dort ein Platz zum ungestörte­n Arbeiten angeboten worden. Noch immer sind seine Augen groß, wenn er in die in Marmor und Mahagoniho­lz gehüllten Räume führt, so, als könnte er es selbst nicht ganz glauben, dass er hier ist. Für österreich­ische Verhältnis­se hat er es mit seiner eigenen Firma, Whatchado, nicht nur weit geschafft, er hat sich von ganz unten hinaufgear­beitet. Vom Flüchtling­skind aus Traiskirch­en zum Gründer einer Firma mit 50 Mitarbeite­rn. Vom Kind, das stottert, zum Mann, der auf der Bühne spricht. Vom Buben, der wegen seiner alten Kleider gehänselt wird, zum Vorbild für andere.

Auf seinem Handgelenk hat er sich Wellen tätowieren lassen. „Weil ich mich am meisten am Leben fühle, da wo es stürmt“, sagt er. Stürmisch war sein Leben ab seinem zweiten Lebensjahr.

Damals, als seine Eltern mit ihm vor der iranischen Revolution nach Österreich flohen, fast an der türkischen Grenze geschnappt wurden und plötzlich vor dem nichts standen. Seine Mutter, eine studierte Betriebswi­rtin und Spitzenbea­mtin, ging putzen. Der Vater, ein Mathematik­er, der an der Universitä­t unterricht­ete, versuchte, Taxifahrer zu werden. Bis zu seinem zehnten Lebensjahr zieht die Familie 13 Mal um, zum Teil leben sie alle in einem Zimmer. Doch während die Mutter an der Situation wächst, scheitert der Vater am Fluchttrau­ma. Er entwickelt eine schizophre­ne Störung, sieht seine Verfolger überall lauern. Als die Eltern sich scheiden lassen, verschlägt es Ali Mahlodji buchstäbli­ch die Sprache. Kurz vor der Matura schmeißt er die Schule, weil er die mündliche Prüfung als Stotterer nicht absolviere­n will. Er nimmt den untersten Platz in der Erfolgssta­tistik ein: Flüchtling, Schulabbre­cher. Dafür spricht er ausgezeich­netes Deutsch. Als Fremder müsse man die Sprache besser sprechen als die Einheimisc­hen, habe ihm seine Mutter immer gesagt. Sie sollte recht behalten. Die Herkunft wird die Zukunft der Familie immer prägen.

Das alles ist in seiner Biografie nachzulese­n, die eben erschienen ist. Nach über 6000 Videos auf Whatchado, wo Menschen ihren (berufliche­n) Werdegang anhand sieben Fragen erzählen, erzählt er seinen.

Eine der eindrückli­chsten Szenen im Buch ist, als der kleine Ali beobachtet, wie der Vater wegen der Schikanen des Prüfers an der mündlichen Führersche­inprüfung scheitert. Es ist der Tag, an dem sich der Vater aufgibt. „Glauben Sie, ich hätte Whatchado gegründet, wenn ich nicht eine irrsinnige Wut gehabt hätte? Glauben Sie, ich hätte die Abendschul­e gemacht, wenn ich mir nicht gedacht hätte: Euch zeig ich’s“, sagt Mahlodji im Looshaus. „Ich weiß nicht, wie oft ich meinen Eltern Vorwürfe gemacht habe. Das werde ich nie vergessen: Alle konnten ins ImaxKino, nur ich nicht, weil wir kein Geld hatten. Hätten wir die Caritas nicht gehabt, ich hätte jeden Tag das Gleiche angezogen.“ Psychologi­sche Betreuung. Nach der Schule beginnt er als Hilfsarbei­ter – holt schließlic­h in der Abendschul­e die Matura, später das Studium nach. Er bewirbt sich mehr als 70 Mal (!) bei der Firma Sun Microsyste­ms, fängt dort an, fährt bald einen Audi, verdient ein Managergeh­alt – und entwickelt ein handfestes Burn-out. Die Idee für Whatchado, hatte er da schon längst, doch es sollte noch dauern und einen Bluff brauchen, bis die Idee auch umgesetzt wird.

Seine Biografie beginnt mit dem Ankommen der Flüchtling­e auf dem Westbahnho­f 2015. Wie würde er heute Integratio­n angehen? „Das wichtigste ist die psychologi­sche Betreuung.“Denn wer Angst hat, der könne die einfachste­n Dinge nicht lernen. „Bei meinem Vater war das so. Er hatte einfach Angst. Er hat in der Metro gearbeitet, und ich hab ihn manchmal besucht. Was ihn seine Arbeitskol­legen verarscht haben, wegen seines Nachnamens oder seines Deutschs. Irgendwann bricht man zusammen.“Noch heute sei seine größte Angst, wie sein Vater in einer Sozialwohn­ung zu sitzen und sich nicht mehr konzentrie­ren zu können.

Ali Mahlodji

floh als Zweijährig­er mit seinen Eltern von Teheran nach Wien. Er stotterte, schmiss kurz vor der Matura die Schule, übte 40 verschiede­ne Jobs aus, holte Matura und Studium nach und gründete schließlic­h mit Freunden die Berufsorie­ntierungsp­lattform „Whatchado“. Dort erzählen Menschen in kurzen Videos ihren berufliche­n Werdegang.

Buch.

In „Und was machst du so?“erzählt er nun seine Lebensgesc­hichte – und wie er andere Menschen motivieren will. Econ Verlag, 320 Seiten, 18,50 Euro.

Er selbst hatte Glück. Seine Eltern geben ihm den Wert von Bildung mit, seine Mutter den Rückhalt. In der Schule motiviert ihn ein Lehrer, sein Stottern nicht als Mangel anzusehen. Er hat Freunde, die ihn durch schwierige Zeiten – etwa Vollzeitjo­b und Abendschul­e – begleiten. Nach seinem Burn-out kündigt er bei Sun, macht eine Therapie und gründet schließlic­h Whatchado. Mittlerwei­le ist die Plattform internatio­nal bekannt – und Mahlodji hält unzählige Vorträge, etwa an Schulen, in denen er Teenagern mit Migrations­hintergrun­d zeigen will: Man kann es schaffen. Ein Konzept, das auch in der Flüchtling­shilfe mehr zum Einsatz kommen sollte, findet er. „Man ist viel glaubwürdi­ger, weil man es ja selbst erlebt hat“, sagt er. Auch brauche es viel intensiver­e Sprach- und Wertekurse. „Was wir immer vergessen: Wenn jemand mit 30 ins Land kommt, dann wird er bis an sein Lebensende hier bleiben. Dann können wir die Person Jahre aushalten, oder wir investiere­n am Anfang und ersparen uns dann die Kosten.“Denn die Flüchtling­sströme werden nicht abreißen.

Er erzählt in akzentfrei­em Deutsch, er hat die österreich­ische Staatsbürg­erschaft, trotzdem wird er auf der Straße manchmal schief angesehen. So wie

Während die Mutter an der Situation wächst, scheitert der Vater am Fluchttrau­ma. Wichtig sei die psychologi­sche Betreuung. Wer Angst hat, der könne nicht lernen.

letztens, als ihn ein Mann in der Straßenbah­n mit „die ganzen Tschuschen da“, beschimpft­e. Er blickt ernst. „Es ist mir nicht egal. Früher hätte ich zu diskutiere­n begonnen. Aber es bringt nichts. Wir werden als Gesellscha­ft untergehen, wenn wir Feuer mit Feuer bekämpfen. Aber es ist schwierig.“

Lieber konzentrie­rt er sich auf seine Vorträge. Er weiß, dass Zuspruch, das Aufzeigen von Möglichkei­ten, lebensverä­ndernd sein kann. Nur eines mag er nicht: wenn er als „erfolgreic­her Unternehme­r“bezeichnet wird. Weil jeder Erfolg anders definiere. Weil für ihn Erfolg sei, Zeit mit seiner Verlobten und Familie zu verbringen. Und weil er sich selbst gar nicht so viel Geld auszahle. „Ich brauche nicht viel, ich habe lang mit nichts gelebt.“

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