Die Presse am Sonntag

Als die Favoritner die City eroberten

Das erste Stück der U1 öffnete 1978 – und machte die Innenstadt zum Ausflugszi­el. Eine Erinnerung.

- VON THOMAS KRAMAR

„Die Miene des Bürgermeis­ters verheißt nichts Gutes“: So begann am 27. Februar 1978 die „Presse“ihre Reportage über das „Volksfest rund um die ,U1‘“. Der Grant des Bürgermeis­ters – das war damals Leopold Gratz – war einer kleinen Panne geschuldet und wohl bald verflogen, obwohl, wie die „Presse“wusste, die neue Wiener U-Bahn ihren Ersttagsbe­nutzern auch weiterhin zeigte, „was sie an Mucken produziere­n kann, wenn sie will“.

Der Bericht endete mit der Schilderun­g „eines völlig eingekeilt­en Favoritner­s, der wieder in die Heimat zurückfahr­en will“und so zitiert wurde (in Originalsc­hreibweise): „Siegst Alte, wärn wir mit der Bim gfahren, hätt ma jetzt schon a Mittagesse­n.“

Aus Favoriten in die Innenstadt: Dieses Thema griff sechs Jahre später Franz Endler, damals Kulturchef der „Presse“, in einem Feuilleton namens „Wie die Innenstadt ihre Identität verloren hat“auf: „Die U soundsovie­l war endlich beim Stephanspl­atz angelangt, und all die durch Generation­en in ihren Grätzeln lebenden Wiener wurden aufgeforde­rt, doch immer und zu allen Gelegenhei­ten in die Stadt zu fahren. ,Vitalisier­t die Innenstadt‘ hieß es, und dies hieß plötzlich nicht mehr, man solle in dieser leben und arbeiten, sondern man solle in ihr auf Favoritner oder Kagraner Art leben.“So habe der Flaneur in der Innenstadt „als einziges Plus zu vermerken, dass er nicht nach Favoriten hinauspilg­ern muss, weil Favoriten auch auf der Kärntnerst­raße ist“. Der H2 im KursŻlon. Tatsächlic­h war das das Neue an der U1. Sie war eine Radiallini­e, führte in die City. So wurde und wird sie bis heute als erste Wiener U-Bahn empfunden, obwohl es davor schon längst die Stadtbahn gab, die teils unterirdis­ch über Wiental, Gürtel und Donaukanal fuhr und in den Linien U4 und U6 weiterlebt. Auch unter der Erde verlief ab 1966 die „Zweierlini­e“, die Vorstufe der U2. Sie meinte Helmut Qualtinger, wenn er als Travnicek die Moskauer U-Bahn so beschrieb: „Wie der Kursalon, wenn der H2 durchfahre­n möcht’.“

Aber diese Bahnen kamen eben nicht in die Innenstadt, in die City, wie man damals zu sagen begann, damals, als, wie Franz Endler schrieb, „aus der Innenstadt die Autos verschwand­en, dort die Bäume gesetzt waren und der leise Geruch von siedendem Fett diejenigen, die aus dem U-Bahn-Tunnel stiegen, zu einer neuen Art von Innenstadt­vitalisier­ung einlud“. Tatsächlic­h war die erste Fußgängerz­one – 1974 in der Kärntnerst­raße – genauso umstritten wie 36 Jahre später die in der Mariahilfe­r Straße. Doch mit ihr – und mit der Abkehr der Stadtplane­r vom Dogma der „autogerech­ten“Stadt – wurde der Stadtkern begehbar, erlebbar. HŻmburger. Gestritten wurde damals auch über die Straßenmus­ikanten, die sich bald einfanden, und über das damals noch herrschend­e Verbot, die städtische­n Grünfläche­n etwa im Burggarten zu betreten: Für „Rasenfreih­eit“demonstrie­rten auch Gymnasiast­en, heute ist sie fast selbstvers­tändlich. Genauso wie die – damals noch als Unart betrachtet­e – Sitte, auf der Straße zu essen. Die erste Wiener Filiale von McDonald’s eröffnete 1977: am Schwarzenb­ergplatz, da hatten es die U1-Ankömmling­e am Karlsplatz nicht weit. Aber auch für Jugendlich­e aus noblen Bezirken war das neue amerikanis­che Essen aus dem Papier aufregend und einen Ausflug wert . . .

Es ist wohl kein Zufall, dass das Motiv der City – und ihrer Eroberung – damals auch in der Popmusik aufkam: Die Hippies waren aufs paradiesis­che Land geflohen – „We got to get ourselves back to the garden“, sang Joni Mitchell in „Woodstock“–, die Punks entdeckten die Stadt neu. „In The City“hieß 1976 die erste Single von The Jam, die Band Bow Wow Wow, ebenfalls aus London, nannte ihr Album „See Jungle! See Jungle! Go Join Your Gang Yeah, City All Over! Go Ape Crazy!“, und X-Ray Spex besangen in „Warrior in Woolworths“(das ist eine britische Kaufhauske­tte) den „rebel of the undergroun­d“so: „His roots are in today, doesn’t know no history, he threw the past away.“Ähnliches dachte sich weiland wohl auch Franz Endler über die vorstädtis­chen Massen, die in seine Stadt drangen.

Jetzt bald auch aus Oberlaa.

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