Als die Favoritner die City eroberten
Das erste Stück der U1 öffnete 1978 – und machte die Innenstadt zum Ausflugsziel. Eine Erinnerung.
„Die Miene des Bürgermeisters verheißt nichts Gutes“: So begann am 27. Februar 1978 die „Presse“ihre Reportage über das „Volksfest rund um die ,U1‘“. Der Grant des Bürgermeisters – das war damals Leopold Gratz – war einer kleinen Panne geschuldet und wohl bald verflogen, obwohl, wie die „Presse“wusste, die neue Wiener U-Bahn ihren Ersttagsbenutzern auch weiterhin zeigte, „was sie an Mucken produzieren kann, wenn sie will“.
Der Bericht endete mit der Schilderung „eines völlig eingekeilten Favoritners, der wieder in die Heimat zurückfahren will“und so zitiert wurde (in Originalschreibweise): „Siegst Alte, wärn wir mit der Bim gfahren, hätt ma jetzt schon a Mittagessen.“
Aus Favoriten in die Innenstadt: Dieses Thema griff sechs Jahre später Franz Endler, damals Kulturchef der „Presse“, in einem Feuilleton namens „Wie die Innenstadt ihre Identität verloren hat“auf: „Die U soundsoviel war endlich beim Stephansplatz angelangt, und all die durch Generationen in ihren Grätzeln lebenden Wiener wurden aufgefordert, doch immer und zu allen Gelegenheiten in die Stadt zu fahren. ,Vitalisiert die Innenstadt‘ hieß es, und dies hieß plötzlich nicht mehr, man solle in dieser leben und arbeiten, sondern man solle in ihr auf Favoritner oder Kagraner Art leben.“So habe der Flaneur in der Innenstadt „als einziges Plus zu vermerken, dass er nicht nach Favoriten hinauspilgern muss, weil Favoriten auch auf der Kärntnerstraße ist“. Der H2 im KursŻlon. Tatsächlich war das das Neue an der U1. Sie war eine Radiallinie, führte in die City. So wurde und wird sie bis heute als erste Wiener U-Bahn empfunden, obwohl es davor schon längst die Stadtbahn gab, die teils unterirdisch über Wiental, Gürtel und Donaukanal fuhr und in den Linien U4 und U6 weiterlebt. Auch unter der Erde verlief ab 1966 die „Zweierlinie“, die Vorstufe der U2. Sie meinte Helmut Qualtinger, wenn er als Travnicek die Moskauer U-Bahn so beschrieb: „Wie der Kursalon, wenn der H2 durchfahren möcht’.“
Aber diese Bahnen kamen eben nicht in die Innenstadt, in die City, wie man damals zu sagen begann, damals, als, wie Franz Endler schrieb, „aus der Innenstadt die Autos verschwanden, dort die Bäume gesetzt waren und der leise Geruch von siedendem Fett diejenigen, die aus dem U-Bahn-Tunnel stiegen, zu einer neuen Art von Innenstadtvitalisierung einlud“. Tatsächlich war die erste Fußgängerzone – 1974 in der Kärntnerstraße – genauso umstritten wie 36 Jahre später die in der Mariahilfer Straße. Doch mit ihr – und mit der Abkehr der Stadtplaner vom Dogma der „autogerechten“Stadt – wurde der Stadtkern begehbar, erlebbar. HŻmburger. Gestritten wurde damals auch über die Straßenmusikanten, die sich bald einfanden, und über das damals noch herrschende Verbot, die städtischen Grünflächen etwa im Burggarten zu betreten: Für „Rasenfreiheit“demonstrierten auch Gymnasiasten, heute ist sie fast selbstverständlich. Genauso wie die – damals noch als Unart betrachtete – Sitte, auf der Straße zu essen. Die erste Wiener Filiale von McDonald’s eröffnete 1977: am Schwarzenbergplatz, da hatten es die U1-Ankömmlinge am Karlsplatz nicht weit. Aber auch für Jugendliche aus noblen Bezirken war das neue amerikanische Essen aus dem Papier aufregend und einen Ausflug wert . . .
Es ist wohl kein Zufall, dass das Motiv der City – und ihrer Eroberung – damals auch in der Popmusik aufkam: Die Hippies waren aufs paradiesische Land geflohen – „We got to get ourselves back to the garden“, sang Joni Mitchell in „Woodstock“–, die Punks entdeckten die Stadt neu. „In The City“hieß 1976 die erste Single von The Jam, die Band Bow Wow Wow, ebenfalls aus London, nannte ihr Album „See Jungle! See Jungle! Go Join Your Gang Yeah, City All Over! Go Ape Crazy!“, und X-Ray Spex besangen in „Warrior in Woolworths“(das ist eine britische Kaufhauskette) den „rebel of the underground“so: „His roots are in today, doesn’t know no history, he threw the past away.“Ähnliches dachte sich weiland wohl auch Franz Endler über die vorstädtischen Massen, die in seine Stadt drangen.
Jetzt bald auch aus Oberlaa.