Die Presse am Sonntag

Ein Garten der Lüste

Der August ist die Hochzeit der Nacktschne­cken, weil sie jetzt ihre Eier ablegen und für den Nachwuchs im kommenden Jahr sorgen, wenn sie nicht daran gehindert werden.

- VON UTE WOLTRON UTE WOLTRON

Nicht die Kakerlake oder die Ratte wird den Menschen überleben, sondern die Nacktschne­cke. Die Rote Wegschneck­e, um präzise zu sein, die, derzeit fettgefres­sen von der langen Saison, des Gärtners Weg gemächlich kreuzt. Sie sind überall. Sie sind zahllos. Sie sind ein echtes Hassobjekt, und selbst Leute, die einen buddhistis­chen Lebenswand­el pflegen, geraten innerlich aus dem Lot angesichts der heurigen Nacktschne­ckenmassen.

Und sie sind, so kommt mir vor, riesiger und voluminöse­r denn je. Doch das ist angesichts des traumhafte­n Nahrungsan­gebots kein Wunder: Köstliche Dahlienspr­ossen nährte sie, und viele junge Lilien. Auch Hostas, Zucchini, Kohlrabi und Salate sorgten für gutes Wachstum. Zuletzt fiel den Schnecken, zum wiederholt­en Mal, der ohnehin so schwer aufzutreib­ende Schottisch­e Liebstöcke­l zum Opfer. Ihn gebe ich hiermit nach drei Jahren der Vernichtun­g auf. Der Duft des im Übrigen ausgezeich­neten Würzkrauts lockt sie offenbar aus der weiteren Umgebung direkt in meinen Kräutergar­ten.

Der ziemlich kalte Winter hat überhaupt nichts gebracht. All unsere Hoffnung lag in ihm und in seinen Frösten. Umsonst. So viele Mollusken wie heuer gab es überhaupt noch nie, jedenfalls nicht hier. Diese Tiere überleben Dürre und Kälte, sie holen sich alles, und sie dringen nächtens sogar unverfrore­n ins Haus ein, wenn geöffnete Balkontüre­n für Kühle sorgen sollen, und hinterlass­en ihre klebrig schimmernd­en Kriechspur­en an Böden und Wänden.

Womit haben wir das verdient? Jetzt im August wälzen sie sich noch dazu zu zweit selbst am helllichte­n Tag unverschäm­t in amikaler Verschränk­ung in den Beeten. Wo man auch hinschaut: Nacktschne­ckenpaarun­gen. Hieronymus Bosch hätte seine Freude an diesem Garten der Lüste.

Ohne Schere, so die Nachbarin, verlasse sie das Haus nicht mehr. Ohne Schere, sage ich, tue ich nicht einmal einen einzigen Schritt in den Garten. Die Schere ist die einzig taugliche Waffe gegen die Schnecke, auch wenn Zartbesait­ete das abartig finden mögen. Ein wohlplatzi­ertes Schnipp – und der Molluske tut kein Fühler mehr weh. Alle anderen Methoden, das Ersäufen in Bier, das Salzen, das Verfrachte­n in Kübel mit kochend heißem Wasser und ähnliche Hilflosigk­eiten funktionie­ren garantiert weniger zackig und nehmen sich vergleichs­weise doch eher brutal aus.

In diesem Garten wird kein Gift gespritzt, es wird kein synthetisc­her Dünger verwendet, alle Kreaturen kommen in gutem Gleichgewi­cht miteinande­r aus. Die Vögel fressen sich an den vermeintli­chen Schädlinge­n wie Raupen und Läusen satt und halten damit deren Knabberspu­ren tadellos in Zaum. Kurzum, es herrscht ein erfreulich­es, fruchtbare­s Miteinande­r, eben weil die Pflanzen und die Tiere in zwar menschgema­chter, doch halbwegs wilder, vor allem bunt zusammenge­würfelter Symbiose zusammenle­ben.

Die Roten Wegschneck­en sind die Ausnahmen in diesem an sich gut funktionie­renden System. Sie durchpflüg­en es in Zeitlupe wie ein Heer von Miniaturpa­nzern, hinter ihnen die Sintflut. Sie haben so gut wie keine Gegner, sieht man von den Egelschnec­ken ab – und vom Haushuhn.

Möglicherw­eise gibt es heuer deshalb hier so auffällig viele von ihnen, weil die Hühner – bekannterm­aßen ebenfalls nicht unbedingt gartentaug­liche Kreaturen – im vergangene­n Herbst in ihrem Areal eingesperr­t geblieben sind und nicht, wie in den Vorjahren, durch den ganzen Garten gackern durften. Denn die Witterung war feucht und warm, der Garten noch halbwegs schön, jedenfalls zu adrett, um vorzeitig zerscharrt zu werden. Dieses war ein Fehler.

Das Huhn liebt nämlich Schneckeng­elege. Auf unerklärli­che Weise findet es die eingegrabe­nen Schneckene­ier und pickt sie mit der hühnereige­nen Betulichke­it und Sorgfalt – möglicherw­eise auch Gefräßigke­it – gründlich auf. Die Hühnerscha­r ist ein ausgezeich­neter herbstlich­er Flurpflege­r, und die Damen werden heuer recht früh in die Gartenwild­nis entlassen werden.

Die paar Pflanzen, die sie ausgraben, die Sprossen, die sie picken werden, sind verschmerz­bar. Außerdem erledigt das Huhn auch die Puppen der Kirschfruc­htfliegen, die in der Erde unter den Kirschbäum­en überwinter­n, sowie die der erst vor einigen Jahren aufgetauch­ten Walnussfru­chtfliegen. Gib einem Huhn einen Laubhaufen, und es ist stundenlan­g ein glückliche­s Huhn.

Die einzige wirklich wirksame Schneckena­bhilfe funktionie­rt nur kleinräumi­g, entweder mit gutem Schneckenz­aun rund um das Beet oder mittels geschützte­r, von anderen Tieren nicht erreichbar­er Schneckenf­allen mit Lockmittel. Für den großen Rest muss jetzt das Huhn her. neten Korianders­amen aus eigener Ernte. Der Kümmel ist sowieso hinlänglic­h bekannt und gedeiht, was wenige wissen, auch hierzuland­e recht gut.

Weniger verbreitet ist die zarte und hübsche Süßdolde, die auch unter dem Namen Myrrhenker­bel bekannt ist. An ihr erfreuen erst die jungen Blätter mit ihrem dezenten Anisaroma, später die knackigen, unreifen und erstaunlic­h süßen Samenständ­e, und schließlic­h die reifen, fett-aromatisch­en Samen.

Zu guter Letzt sei noch der Fenchel angeführt, beispielsw­eise auch in Form der Samen, die der an sich zu zierenden Zwecken angebaute Bronzefenc­hel spendiert. Sie schmecken genauso gut wie normale Fenchelsam­en. Wer all diese Sämereien für den Winter lagern will, muss sie sorgfältig durchtrock­nen lassen und erst dann lichtgesch­ützt und luftdicht aufbewahre­n.

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Ute Woltron Gegen Nacktschne­cken hilft nur die Schere – oder ein Haushuhn.
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