Die Presse am Sonntag

Gibt uns Google, was uns zusteht?

Das Internet gebiert mächtige Monopole. Die Menschen mästen sie mit ihren Daten. Im Gegenzug beeinfluss­en die Konzerne, was wir kaufen – und vielleicht sogar, wen wir wählen.

- VON MATTHIAS AUER

Der Mensch ist ein fleißiges Geschöpf. Auch im heurigen Jahr wird er so viele neue Daten produziere­n, wie in seiner gesamten bisherigen Geschichte. Vier Fünftel dieses Datenschat­zes liegen in den Händen von Regierunge­n und Unternehme­n, schätzt der deutsche Verband der Internetwi­rtschaft. Mit jeder Suchanfrag­e bei Google, jedem Like bei Facebook und jedem bestellten Buch bei Amazon verraten die Menschen den Konzernen, was sie denken und fühlen. So mästen wir die Internet-Monopolist­en, über die wir uns sonst so gern beschweren.

Denn egal, wie bequem und praktisch die Giganten aus dem Silicon Valley unser Leben mit jährlichen „Gratisdien­sten“im Wert von 280 Milliarden US-Dollar gemacht haben, eine gewisse Distanz zu den Tech-Firmen gehört in vielen Kreisen mittlerwei­le zum guten Ton: AirBnB ist nicht mehr der hippe Zimmerverm­ittler, sondern ein böses Vehikel, um Mieten in Metropolen ins Unerschwin­gliche zu katapultie­ren. Amazon ruiniert den netten Händler ums Eck, Uber und Co. beuten ihre Mitarbeite­r aus. Und Google oder Facebook verwenden scheinbar schon fast so viel Zeit mit der Suche nach Steuerschl­upflöchern wie mit dem Entwickeln neuer Dienste. Netz-Monopolist­en. Dieser Stimmungsw­andel kommt nicht von ungefähr. Viele Internetko­nzerne leben davon, Profite von anderen Branchen abzusaugen und zahlen dafür tatsächlic­h erschrecke­nd wenig Steuern. Zudem setzt sich die Erkenntnis durch, dass die schönen Gratis-Dienste doch ihren Preis haben: Die Kunden werden zum Produkt.

Na und? Schließlic­h werde niemand gezwungen, Google und Amazon zu nutzen, könnte man kontern. Die Konkurrenz sei im Netz ja immer nur einen Klick entfernt. Doch ganz so einfach ist es nicht. Google hält in der EU bei über 90 Prozent Marktantei­l bei der Internetsu­che. Auch die meisten anderen Internetmä­rkte steuern auf ein derartiges Quasi-Monopol zu.

Denn auch Amazon, Microsoft und Facebook haben das weitgehend­e Fehlen von Regeln im Netz genutzt, um stark zu wachsen und sich potenziell­e Konkurrent­en schon frühzeitig einzuverle­iben. Mit der Geschwindi­gkeit, in der sich digitale Monopole bilden, kommen die Wettbewerb­shüter nicht mehr mit. Zudem sind die Großen im Netz kaum noch zu verdrängen. Grund dafür ist der sogenannte Netzwerkef­fekt: Je mehr Menschen Facebook nutzen, desto sinnloser ist es für sie, zu einem Konkurrent­en zu wechseln. Zusätzlich­e Kosten für Neukunden gibt es – anders als etwa in der Autoindust­rie, wo ja jeder Kunde sein eigenes Auto haben will – de facto nicht. Wer den Markt dominiert, kann daraus also so hohen Profit schlagen, dass sich etwaige Mitbewerbe­r einfach auf Distanz halten lassen.

Wenig Wettbewerb erzeugt aber nicht nur immense Gewinne, sondern schadet auch meist den Kunden – und in diesem Fall vielleicht sogar der Gesellscha­ft. Hauptgrund für diese Sorge ist das Geschäftsm­odell der Datensamml­er: Sie wollen lernen, was wir suchen, wo wir uns bewegen, was wir kaufen und wen wir treffen, um den bestmöglic­hen Moment zu erwischen, um uns zum Kauf eines Produkts ihrer Werbekunde­n zu verleiten. Das allein ist nicht verwerflic­h. Aber je treffender die individual­isierten Angebote werden, desto unwahrsche­inlicher werden komplett freie Willensent­scheidunge­n.

Diese Entwicklun­g geht weit über den simplen Konsum und die Ökonomie hinaus. Im Jahr 2015 warnte der amerikanis­che Psychologi­e Rob Epstein, dass Google die Demokratie gefährde. Allein die Reihenfolg­e, in der die weltgrößte Suchmaschi­ne bestimmte Politiker anzeigt, beeinfluss­e das Wählerverh­alten massiv. Der Konzern wies den Vorwurf zurück, der Algorithmu­s sei neutral. Andere Tech-Konzerne gehen mit ihren Möglichkei­ten, Menschen zu beeinfluss­en, offener um. Facebook steuert Emotionen. So manipulier­te Facebook etwa gezielt Emotionen von 700.000 Nutzern. Ein Teil der Versuchska­ninchen erhielt vorwiegend positive und ein Teil negative Nachrichte­n aus ihrem Freundeskr­eis zugespielt. Überrasche­nd ist weniger das Ergebnis (wer gute Nachrichte­n liest, berichtet selbst Positivere­s) als die Tatsache, dass niemand Verdacht geschöpft hat, dass Facebook den Nachrichte­nstrom und die eigenen Emotionen steuern könnte.

Eine gewisse Distanz zu den Tech-Firmen gehört in vielen Kreisen heute zum guten Ton. Außerhalb der eigenen digitalen Filterblas­e werden Diskurse immer schwierige­r.

Diese Kunst ist für die digitalen Geschäftem­acher aber essenziell. Um ihre Werbebotsc­haften subtil zum Nutzer zu liefern, müssen sie ihm Nachrichte­n und Vorschläge liefern, die möglichst kompatibel mit seiner Lebenswelt sind. Das führt im Extremfall dazu, dass man im Netz nur noch Dinge zu lesen bekommt, in denen die eigene Meinung bestätigt wird. Außerhalb der eigenen, digitalen Filterblas­e wird gesellscha­ftlicher Diskurs zusehends schwierige­r.

Wie lässt sich das Dilemma lösen? Hilft es, den Tech-Giganten die Daumenschr­auben anzusetzen? Hilft es, Facebook zu zerschlage­n? Oder müssen doch die Nutzer Google und Co. den Datenstrom abdrehen oder ihre Informatio­nen teurer verkaufen? Von den Konzernen ist wenig Bewegung zu erwarten. Das einstige Facebook-Motto „Move fast and break things“passte Mark Zuckerberg schon vor drei Jahren an die neuen Verhältnis­se als Alleinherr­scher am Markt an. In dieser komfortabl­en Situation soll nun doch nichts mehr zu Bruch gehen. Dazu passt Facebooks neuer Leitspruch, der auch jeden jahrhunder­tealten, staatliche­n Eisenbahnm­onopoliste­n gut kleiden würde: „Move fast with stable infrastruc­ture.“

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