Raumplanung geht auch anders : »Silicon Valley gegen Sahelzone«
In Wien verschwanden 300 Hektar Betriebsfläche. Die Stadt sollte sich wie der Rest Österreichs laut Experten ein Beispiel an der Schweiz nehmen.
Wien ist auch in Fragen der Raumordnung anders. Nicht im besten Sinn, wenn man Christof Schremmer vom Österreichischen Institut für Raumplanung (ÖIR) fragt. Als die Stadt in nur 15 Jahren um die Bevölkerung von Graz wuchs und immer mehr Menschen nach der Krise Immobilien kauften, verschwanden unter dem Preisdruck unbemerkt rund 300 Hektar Produktionsfläche. Sie waren nicht verloren, nur umgewidmet. „Wien hat das große Problem, dass der Anreiz für Betriebe, die Flächen zu vergolden und mit dem Gewinn ins Umland zu ziehen, gewaltig ist“, sagt Schremmer. Daran war nicht zuletzt die Stadt schuld: Um leistbare Grund für den sozialen Wohnbau zu schaffen, war man bei den Umwidmungen sehr liberal.
Als im Juni bekannt wurde, dass der Sektproduzent Schlumberger seine Produktion ins Burgenland verlagern und sich weggezogenen Herstellern wie Jacobs und Heidi Chocolat anschließen würde, wurde das von der Leitung einleuchtend mit den Produktionskapazitäten und der Verkehrssituation erklärt. Inmitten der politischen Schuldzuweisungen und der Beteuerung der Stadtregierung, alles Mögliche getan zu haben, ist untergegangen, dass auch hier ein Umbau in Wohnraum angedacht wird. Wiens Vorzeigebetrieb. Waffelhersteller Manner ging ab 2011 den anderen Weg: Er baute sein Hernalser Stammwerk für 40 Mio. Euro aus und schloss dafür das im oberösterreichischen Perg. Der billigere Grund am verbliebenen Zweitstandort Wolkersdorf lockte nicht allzu sehr. Manner gehört das Hernalser Gelände. Auch wenn der erste Impuls der Wegzug auf die grüne Wiese gewesen sei, gab ein anderes Motiv laut Vorstand Albin Hahn den Ausschlag zu bleiben: „Im noch besten Fall hätten wir 50 Prozent der Mitarbeiter verloren.“300 der 750 MannerAngestellten arbeiten in Wien. Viele wären den komplizierten Weg nach Wolkersdorf nicht gependelt. Die Förderungen der Stadt, die Manner für Forschungszwecke bekam, seien aber jedenfalls „nicht investitionsentscheidend“gewesen, betont Hahn.
Wiens aktuelles Fachkonzept „Produktive Stadt“erwähnt das MannerWerk als Paradefall eines innerstädtischen Industriebetriebs. Das Konzept, an dem das ÖIR mitgearbeitet hat, liest sich wie der Versuch, den Schaden wiedergutzumachen: Ausgewiesene Flächen sind für Umwidmungen tabu. 300 Hektar Land sollen für die Indus-
Christof Schremmer
forscht seit 1988 im Österreichischen Institut für Raumplanung (ÖIR). Dort berät er öffentliche und private Stellen in Fragen der Stadt- und Regionalentwicklung. Zuletzt entwickelte er Wohnungsbedarfsprognosen für die dicht besiedelte Region Rheintal und für Wien. Seine Vorarbeit floss auch in die Entscheidung der Hauptstadt ein, den Ausverkauf der Betriebsflächen zu stoppen. trie zurückgeholt oder geschaffen werden. Wien hat laut Schremmer erkannt, dass die vielen Zuzügler auch Arbeit brauchen und es nicht ohne den 23,5 Mrd. Euro schweren produzierenden Sektor gehen wird.
Die Hauptstadt hat wie das ähnlich verbaute Vorarlberger Rheintal (siehe Artikel links) aber noch ein Problem: „Die Flächen sind nicht effizient genutzt“, sagt Schremmer. Von 290 Hektar gewidmetem, aber freiem Bauland liegt viel als Wertanlage in privaten Portfolios. Und selbst bei genutzten Flächen sei in zehn bis 20 Prozent nicht sicher, ob dort Leben herrscht. Viel sei auch mit eingeschoßigen Gebäuden suboptimal bebaut. Die Gretchenfrage. „In der Schweiz wurde im Raumplanungsgesetz festgehalten, dass bei Neubauten eingeschoßige Bebauungen nicht gehen – bundesweit“, so Schremmer. Wien kann hier Paradefall Manner zitieren: Der Fabrikant baut zurzeit an seiner siebenstöckigen vertikalen Produktion. Aber wieso erhebt man das, was einer aus Platzgründen macht, nicht zur Norm? „Ja, warum es in Österreich keine Bundesraumplanung gibt, ist die Gretchenfrage“, sagt Schremmer nur. Sie hat der Raumplaner zu oft gehört.
Das Problem gehe auf der Länderebene weiter: Dort sei „effiziente Bodennutzung“nie zu einem politischen Ziel erhoben worden. Es gibt attraktivere Themen im Wahlkampf. Und die starken Gemeinden blockierten echte Fortschritte. Ideen gebe es genug, sagt Schremmer. So müssten Anreize geschaffen werden, dass günstig gelegene Flächen zuerst bebaut werden, damit nicht die ausgefransten Strukturen entstehen, die man allerorts in Österreich sehen kann. Und es brauche Rückwidmungen, wenn Baugrund zu lang gehortet wird und leersteht.
Bodenmobilisierungsmaßnahmen wie diese seien in der Schweiz gängig. „Wenn man sehen will, wie es sich gehört, sollte man sich die Schweiz anschauen“, sagt Schremmer. Das beginne bei der Gesetzgebung und ende bei den Bodenpreiskarten. „Das ist im Vergleich wie Silicon Valley gegen Sahelzone.“Das fehlende Bewusstsein der Politik könne man auch an der Zahl der Aufträge an sein privates Institut ablesen. „In den letzten Jahrzehnten spielte es sich im Bereich von wenigen Tausend Euro ab.“Der Ruf nach der Raumplanung werde immer laut, wenn es wie im Fall von Schlumberger Probleme gibt, „von allen, die sehr wenig Bescheid wissen, was in Österreich rechtlich und traditionell geht“.