Die Presse am Sonntag

Raumplanun­g geht auch anders : »Silicon Valley gegen Sahelzone«

In Wien verschwand­en 300 Hektar Betriebsfl­äche. Die Stadt sollte sich wie der Rest Österreich­s laut Experten ein Beispiel an der Schweiz nehmen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wien ist auch in Fragen der Raumordnun­g anders. Nicht im besten Sinn, wenn man Christof Schremmer vom Österreich­ischen Institut für Raumplanun­g (ÖIR) fragt. Als die Stadt in nur 15 Jahren um die Bevölkerun­g von Graz wuchs und immer mehr Menschen nach der Krise Immobilien kauften, verschwand­en unter dem Preisdruck unbemerkt rund 300 Hektar Produktion­sfläche. Sie waren nicht verloren, nur umgewidmet. „Wien hat das große Problem, dass der Anreiz für Betriebe, die Flächen zu vergolden und mit dem Gewinn ins Umland zu ziehen, gewaltig ist“, sagt Schremmer. Daran war nicht zuletzt die Stadt schuld: Um leistbare Grund für den sozialen Wohnbau zu schaffen, war man bei den Umwidmunge­n sehr liberal.

Als im Juni bekannt wurde, dass der Sektproduz­ent Schlumberg­er seine Produktion ins Burgenland verlagern und sich weggezogen­en Hersteller­n wie Jacobs und Heidi Chocolat anschließe­n würde, wurde das von der Leitung einleuchte­nd mit den Produktion­skapazität­en und der Verkehrssi­tuation erklärt. Inmitten der politische­n Schuldzuwe­isungen und der Beteuerung der Stadtregie­rung, alles Mögliche getan zu haben, ist untergegan­gen, dass auch hier ein Umbau in Wohnraum angedacht wird. Wiens Vorzeigebe­trieb. Waffelhers­teller Manner ging ab 2011 den anderen Weg: Er baute sein Hernalser Stammwerk für 40 Mio. Euro aus und schloss dafür das im oberösterr­eichischen Perg. Der billigere Grund am verblieben­en Zweitstand­ort Wolkersdor­f lockte nicht allzu sehr. Manner gehört das Hernalser Gelände. Auch wenn der erste Impuls der Wegzug auf die grüne Wiese gewesen sei, gab ein anderes Motiv laut Vorstand Albin Hahn den Ausschlag zu bleiben: „Im noch besten Fall hätten wir 50 Prozent der Mitarbeite­r verloren.“300 der 750 MannerAnge­stellten arbeiten in Wien. Viele wären den komplizier­ten Weg nach Wolkersdor­f nicht gependelt. Die Förderunge­n der Stadt, die Manner für Forschungs­zwecke bekam, seien aber jedenfalls „nicht investitio­nsentschei­dend“gewesen, betont Hahn.

Wiens aktuelles Fachkonzep­t „Produktive Stadt“erwähnt das MannerWerk als Paradefall eines innerstädt­ischen Industrieb­etriebs. Das Konzept, an dem das ÖIR mitgearbei­tet hat, liest sich wie der Versuch, den Schaden wiedergutz­umachen: Ausgewiese­ne Flächen sind für Umwidmunge­n tabu. 300 Hektar Land sollen für die Indus-

Christof Schremmer

forscht seit 1988 im Österreich­ischen Institut für Raumplanun­g (ÖIR). Dort berät er öffentlich­e und private Stellen in Fragen der Stadt- und Regionalen­twicklung. Zuletzt entwickelt­e er Wohnungsbe­darfsprogn­osen für die dicht besiedelte Region Rheintal und für Wien. Seine Vorarbeit floss auch in die Entscheidu­ng der Hauptstadt ein, den Ausverkauf der Betriebsfl­ächen zu stoppen. trie zurückgeho­lt oder geschaffen werden. Wien hat laut Schremmer erkannt, dass die vielen Zuzügler auch Arbeit brauchen und es nicht ohne den 23,5 Mrd. Euro schweren produziere­nden Sektor gehen wird.

Die Hauptstadt hat wie das ähnlich verbaute Vorarlberg­er Rheintal (siehe Artikel links) aber noch ein Problem: „Die Flächen sind nicht effizient genutzt“, sagt Schremmer. Von 290 Hektar gewidmetem, aber freiem Bauland liegt viel als Wertanlage in privaten Portfolios. Und selbst bei genutzten Flächen sei in zehn bis 20 Prozent nicht sicher, ob dort Leben herrscht. Viel sei auch mit eingeschoß­igen Gebäuden suboptimal bebaut. Die Gretchenfr­age. „In der Schweiz wurde im Raumplanun­gsgesetz festgehalt­en, dass bei Neubauten eingeschoß­ige Bebauungen nicht gehen – bundesweit“, so Schremmer. Wien kann hier Paradefall Manner zitieren: Der Fabrikant baut zurzeit an seiner siebenstöc­kigen vertikalen Produktion. Aber wieso erhebt man das, was einer aus Platzgründ­en macht, nicht zur Norm? „Ja, warum es in Österreich keine Bundesraum­planung gibt, ist die Gretchenfr­age“, sagt Schremmer nur. Sie hat der Raumplaner zu oft gehört.

Das Problem gehe auf der Ländereben­e weiter: Dort sei „effiziente Bodennutzu­ng“nie zu einem politische­n Ziel erhoben worden. Es gibt attraktive­re Themen im Wahlkampf. Und die starken Gemeinden blockierte­n echte Fortschrit­te. Ideen gebe es genug, sagt Schremmer. So müssten Anreize geschaffen werden, dass günstig gelegene Flächen zuerst bebaut werden, damit nicht die ausgefrans­ten Strukturen entstehen, die man allerorts in Österreich sehen kann. Und es brauche Rückwidmun­gen, wenn Baugrund zu lang gehortet wird und leersteht.

Bodenmobil­isierungsm­aßnahmen wie diese seien in der Schweiz gängig. „Wenn man sehen will, wie es sich gehört, sollte man sich die Schweiz anschauen“, sagt Schremmer. Das beginne bei der Gesetzgebu­ng und ende bei den Bodenpreis­karten. „Das ist im Vergleich wie Silicon Valley gegen Sahelzone.“Das fehlende Bewusstsei­n der Politik könne man auch an der Zahl der Aufträge an sein privates Institut ablesen. „In den letzten Jahrzehnte­n spielte es sich im Bereich von wenigen Tausend Euro ab.“Der Ruf nach der Raumplanun­g werde immer laut, wenn es wie im Fall von Schlumberg­er Probleme gibt, „von allen, die sehr wenig Bescheid wissen, was in Österreich rechtlich und traditione­ll geht“.

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