IN ZAHLEN
2018 schließt Prosper-HŻniel, ©ie letzte Steinkohlezeche im Ruhrgeãiet. »Ein ãisschen BŻmmel hŻãe ich schon«, sŻgt ein Kumpel. Er steht 1159 Meter unter TŻge – in (s)einer Welt, ©ie ©emn´chst untergeht. Ein Besuch.
Wer zu Deutschlands letzten Kumpeln will, muss sich ausziehen. Graue Unterwäsche liegt bereit, dazu ein zerknittertes blau-weiß gestreiftes Hemd. Alles ist aus Baumwolle. Die eigene Boxershort wäre hier ein Sicherheitsrisiko – wegen des synthetischen Stoffs und der Funken. Unter Tage herrscht immer Explosionsgefahr. Also schlüpft man in die Uniform der Bergmänner, die aussieht, als wäre sie aus den Sechzigern oder Siebzigern, setzt den Helm auf, legt die Knieschoner an, hängt den Atemschutzfilter um. Das Handy bleibt oben. Irgendwann steht man im Hilfskorb des Schacht 10, Steinkohlezeche Prosper-Haniel in Bottrop. Das gelbe Gitter wird zugezogen. Man denkt kurz daran, dass es unter dem eisernen Boden 1200 Meter in die Tiefe geht. Dann beginnt die Einfahrt in diese fremde Welt, die in diesen Tagen untergeht. Ein Lebensgefühl. Einst schürften in Deutschland eine halbe Million Kumpel den Treibstoff für das Wirtschaftswunder. Es war eine dreckige Arbeit. Männer mit kohleverstaubten Gesichtern und im schlimmsten Fall auch mit kohleverstaubten Lungen. Der Staub habe auch die Städte eingenebelt, die weiße Wäsche habe man draußen nur aufgehängt, wenn der Wind in die richtige Richtung geblasen habe, erzählt ein Bergmann. Aber es war eben auch ein Lebensgefühl, stark geprägt von Kameradschaft, den Bergmannsver- Ruhrpott Besch´ftigte z´hlt ©ie Steinkohlenzeche Prosper-HŻniel, ©ie letzte im Ruhrgebiet, ©Żrunter sin© 1644 Bergleute, ©ie unter TŻge Żrbeiten.
Millionen Tonnen Steinkohle
wur©en 2016 in Bottrop geför©ert.
Kilometer
lŻng ist ©Żs untert´gige Streckennetz im Bergwerk ProsperHŻniel. einen, ja auch den Trinkhallen und den immer gleichen Siedlungen – kleines Häuschen, kleiner Garten –, die um die Bergwerke gebaut wurden. Dann fing das Zechensterben an. Die Wege zur Arbeit wurden länger, die Vereine weniger. Heute gibt es noch das Steinkohlebergwerk in Ibbenbüren, Münsterland – und eben die Zeche Prosper-Haniel hier in Bottrop, die letzte im Ruhrgebiet. Ende 2018 ist auch in den beiden letzten Zechen Schicht im Schacht. Dann stellt der Staat seine Subventionen ein. Zum ersten Mal seit dem Mittelalter baut man dann keine Steinkohle mehr ab. Welt aus Tunneln. Es ruckelt im Korb, der mit drei bis vier Metern pro Sekunde in die schwarze Tiefe sinkt. Es tropft von der Decke: Kondenswasser. Man spürt den Druck in den Ohren. Der Berg zieht vorbei. Ankunft Sohle 7, 1159 Meter unter Tage. Eine Welt aus Tunneln eröffnet sich. Rohre drängen sich an der Wand. Schwere Ketten hängen von der Decke. Man stellt hier besser nichts auf den Boden. Der Berg ist in Bewegung. Ein Wind peitscht – die „Bewetterung“, also die Frischluft, die sie hier von oben in die Tunnel schleusen. Alle paar Hundert Meter sind Wassertröge zu sehen. Warum? „Wenn es kracht, gibt es eine Explosion, dann eine Druckwelle, dann eine Feuerwalze“, erklärt Uwe Hoelting. Die Tröge sollen durch den Druck bersten und das Feuer löschen.
Hoelting ist ein erfahrener Bergmann mit festem Händedruck, der jetzt auch Öffentlichkeitsarbeit macht. „Ich liebe das hier unten“, sagt er. Der 48-Jährige hat eine recht kräftige Statur, kurzes Haar und eine Liebe zu Schalke 04, dem Fußballklub, der sich die Knappen, also die Bergmänner, nennt. Noch heute stimmt er ein, wenn sie im Stadion das Steigerlied singen. „Ade, nun ade! Lieb’ Schätzelein! Und da drunten in dem tiefen finstren Schacht, bei der Nacht, da denk ich dein“, heißt es in einer Zeile.
Den Spielern unten auf dem Rasen ist der Bergbau aber längst fremd. Zwar kamen sie jüngst zu einer Grubenfahrt, die Vereinsführung kümmere sich um die Wurzeln, heißt es. Aber es ist nicht mehr dasselbe. So sieht das Hoelting.
Er verteilt jetzt Zuckerln an einen Arbeiter, den sogenannten Anschläger, ein Deutschtürke mit schwerstem Ruhrpott-Akzent, der wie alle hier von der beispiellosen Kameradschaft erzählt. Was er mache, wenn es vorbei sei? Er habe ja schon öfter den Arbeitsplatz wechseln müssen, von einer sterbenden Zeche zur nächsten, sagt er. Wobei: Diesmal sei es anders, es gehe über Tage, in eine Arbeitswelt, die ihm fremd sei. „Vielleicht mach ich mich selbstständig“, sagt er. Man verabschiedet sich – „Glück auf“–, geht vorbei an der Statue der heiligen Barbara. „Sie beschützt uns hier unten“, sagt Hoelting, „heute auch dich.“ „Knochenjob“. Man darf den Bergbau nicht verklären. Ein älterer Kumpel sitzt im Wartesaal unter Tage. Er hatte schon einen Bandscheibenvorfall, das Knie ist kaputt. „Schon ein Knochenjob“, sagt der Mann. Er freue sich, wenn es dann endlich einmal vorbei sei.
Von hier sind es noch ein paar Kilometer bis zum Streb, also dort, wo schwere Maschinen die glitzernde Kohle aus dem Berg schneiden, wo die Luft noch dünner und noch feuchter ist. Fünf bis sieben Liter Wasser verliert ein Bergmann im Streb. Pro Schicht. Den Weg dorthin legt man daher nicht zu Fuß zurück, sondern kräfteschonend mit der „Dieselkatze“, einer Einschienenhängebahn, die Material befördert und eben Kumpel.
2,5 Millionen Tonnen des schwarzen Ruhrpott-Goldes haben sie 2016 aus dem Berg geholt. Ziemlich viel. Aber ohne Hilfe zahlt es sich nicht aus. Auf dem Weltmarkt sind sie nicht konkurrenzfähig.
Das „Begräbnis“fing deshalb vor ziemlich genau zehn Jahren an, als ein Gesetz zum Ende der Förderung 2018 den Bundestag passierte. Eine zarte Hoffnung hatten die Kumpel damals noch: Die Politik schrieb fest, 2012 nochmals alles überprüfen zu wollen. Aber schon 2011 strichen sie diese Re-
Der Korã senkt sich in ©ie Tiefe. Es ruckelt un© tropft von ©er Decke. Einst gŻã es eine hŻlãe Million Bergleute in DeutschlŻn©. Heute sin© es ein pŻŻr TŻusen©. BŻn©scheiãenvorfŻll, Knie kŻputt: »DŻs ist schon ein Knochenjoã.«
visionsklausel. Ein Zugeständnis an die EU-Kommission, die im Gegenzug von ihrer Forderung abrückte, dass die Milliardensubventionen für die Steinkohle schon 2014, also vier Jahre früher als geplant, auslaufen sollen. Ewigkeitslasten. Der Bergbau wird so oder so Spuren hinterlassen. Bis in alle „Ewigkeit“. In der Zeche Zollverein in Essen etwa tut sich noch immer etwas – 32 Jahre nach der letzten Schicht. Auf dem Areal des Unesco-Weltkulturerbes pumpen sie wie in anderen stillgelegten Zechen noch immer Grubenwasser aus den verwaisten Schächten. Sonst würde ein Teil des Ruhrgebiets absaufen oder das Grubenwasser das Trinkwasser kontaminieren. „Ewigkeitslasten“nennen sie das.
Hoelting verbrachte mehr als sein halbes Leben als Kumpel. Im Alter von 17 Jahren fing er an. Im Bergbau ließ sich damals gutes Geld verdienen. Nun soll das alles vorbei sein? Der 48-Jährige verkneift sich lang jede Sentimentalität. Man wusste ja immer, dass das Ende kommen werde, sagte er immer wieder. Dann blickt er auf den Schacht: „Ein bisschen Bammel habe ich schon vor der letzten Seilfahrt nach oben.“