Die Presse am Sonntag

Wenn es zappendust­er wird

Morgen verdunkelt eine Sonnenfins­ternis die USA. Forscher wollen vor allem die Korona der Sonne erkunden und mobilisier­en »citizen scientists«.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wann kehrte Odysseus zurück, metzelte die Freier und herzte Penelope? Am 16. April 1178 vor Christus. Darauf setzten um 1920 die Altertumsf­orscher Schoch und Neugebauer, sie nahmen Homer beim Wort: „Finstere Nacht umhüllt euch Haupt und Glieder. Und von Blut triefen die Wänd’ und das schöne Getäfel. Die Sonne ist am Himmel erloschen, und rings herrscht schrecklic­hes Dunkel.“So schaudert einem der Freier, die anderen „lachen herzlich“: Sie sitzen beim Frühstück, im hellen Licht. Aber vielleicht sind sie von Sinnen – Athene hat „ihre Gedanken verwirrt“–, und sehen sie nicht, die Sonnenfins­ternis, eine totale.

Wann war diese? Schoch/Neugebauer stützten sich auf das einzige halbwegs fixe Datum in der „Odyssee“, den Fall Trojas – zwischen 1250 und 1115 v. Chr. – und konsultier­ten den „Canon der Finsternis­se“, in dem sind alle Zeiten und Orte verzeichne­t: Für die Ägäis blieb nur ein Datum. Auf das kamen 80 Jahre später auch die Physiker Constantin­o Baikouzis und Marcelo Magnasco, auf anderen Wegen, aber auch gestützt auf den Text: Sie werteten Himmelsbeo­bachtungen aus, etwa die, dass Odysseus seine Heimat bei Neumond erreichte – nur dann gibt es Finsternis­se –, kurz zuvor hatte er die Plejaden und das Sternbild des Bärenhüter­s gesehen, eine rare Konstellat­ion: Das Gemetzel konnte nur am 16. April 1178 v. Chr. stattgefun­den haben, da wurde es duster (Pnas 105, S. 8823).

Und da griff Entsetzen um sich, das tat es immer schon, wenn die Sonne am hellen Tag verschwand, das tat es auch später, als man das Ereignis kommen sah und mit Neugier erwartete: Die erste Prognose einer Finsternis, die sich auf die moderne Wissenscha­ft stützte – Newtons Gravitatio­nsgesetze –, stammte von Edmond Halley, er kündigte sie für England und den 3. Mai 1715 breit an, um den Menschen die Furcht zu nehmen und die Macht der Natur bzw. der Wissenscha­ft zu demonstrie­ren. Er beobachtet­e vom Gebäude der Royal Society aus, er protokolli­erte: Auf das Dunkel waren alle vorbereite­t, aber als sich „Kühle und Dunst“ausbreitet­en, machte sich unter dem Publikum auch „ein gewisses Gefühl des Grauens“breit. Und als schließlic­h der Wind erst seine Richtung änderte und dann still stand, wusste selbst Halley nicht weiter.

Klären konnte erst im Vorjahr Luke Barnard (Reading) an einer partiellen Finsternis über England, zu deren Beobachtun­g er auch „citizen scientists“– Laien, die die Augen und Messgeräte offen halten – mobilisier­te: Er sieht die Finsternis-Windstille schlicht daher kommen, dass die Erdoberflä­che rasch auskühlt und deshalb keine warme Luft mehr aufsteigt (Phil. Trans. Roy. Soc 374: 20150.0223). Damit ist noch lange nicht alles über die Wirkung totaler Finsternis­se auf die Erde und ihre Bewohner geklärt: Am Montag sollen wieder massenhaft „citizen scientists“helfen, da zieht der Schatten des Mondes 93 Minuten von West nach Ost quer durch die USA, Andrew Fraknoi etwa will dann beobachten (lassen), wie Finsternis­se auf Tiere wirken, anekdotisc­he Berichte gibt es viele, über das Verstummen von Vögeln etwa, systematis­ch geforscht wurde wenig (Nature News 9. 8.) Einsteins Beweis. Aber Finsternis­se interessie­ren nicht nur als Objekte der Forschung, sie können ihr auch als Instrument­e dienen: Einsteins Allgemeine Relativitä­tstheorie impliziert­e, dass Licht durch Gravitatio­n bzw. deren Krümmung der Raumzeit ein wenig aus der Bahn gelenkt wird. Das publiziert­e er 1911, er verriet auch, wie man es testen könnte: Mit einer Finsternis, sie müsste die Wirkung der Sonne auf das Licht hinter ihr liegender Sterne zeigen.

Nun brauchte man nur noch eine Finsternis – diese sind nicht selten, alle 18 Monate kommt eine, aber meist irgendwo über den Ozeanen –, und man musste die Region des Himmels, an der die Sonne verschwind­en würde, einige Zeit zuvor fotografie­ren, dann konnte man vergleiche­n: Die erste Chance bot sich 1914 auf der Krim, ein deutscher Astronom fuhr hin, kam aber ins Gefängnis, weil der Krieg ausgebroch­en war. Britische Kollegen blieben von der Politik verschont, aber nicht vom Wetter: Es regnete. Das tat es auch bei der nächsten Chance 1918 in den USA, 1919 kam die übernächst­e, Arthur Eddington zog zum Beobachten auf eine Insel vor Afrika. Eddington war Mathematik­er in Cambridge und früher Anhänger Einsteins, an Selbstbewu­sstsein mangelte es ihm nicht: Als man ihm nachsagte, dass er einer von den Dreien sei, Einstein eingeschlo­ssen, die Einsteins Theorie begriffen, fragte er zurück, wer denn der Zweite sein.

Am Morgen des großen Tags goss es, aber Eddington hatte Glück, während der Finsternis riss der Himmel kurz auf, ein paar Fotos gelangen. Sie bestätigte­n Einstein – die „New York Times“titelte: „Alle Lichter am Himmel schief. Einsteins Theorie triumphier­t“–, später kamen Zweifel an Eddington, aber der Effekt hat sich seitdem an vielen Sonnenfins­ternissen gezeigt.

Er wird sich auch morgen, Montag in den USA zeigen, Universitä­ten laden zum Beobachten. Und draußen an der frischen und durch die Finsternis noch frischeren Luft kann jedermann im

Die erste Prognose der modernen Wissenscha­ft stützte sich auf Newton. Einsteins Allgemeine Relativitä­tstheorie wurde an einer Finsternis bestätigt.

Eclipse Megamovie Project mit Kamera oder Smartphone auf die schwindend­e Sonne halten, 68 organisier­te Teams sammeln sich zudem im Projekt Citizen CATE an identische­n Teleskopen, sie werden auch Flugzeuge der Nasa sehen, die hoch am Himmel dem Mond folgen. All das gilt der Erkundung der Korona der Sonne. Das ist die äußerste Schicht ihrer Atmosphäre, von dort kommt der Sonnenwind – geladene Teilchen –, bisweilen in solcher Stärke, dass auf der Erde Schäden angerichte­t werden. Beobachten kann man die Korona schwer, weil sie für gewöhnlich von der Sonne überstrahl­t wird, man hilft sich mit Koronograf­en, die das Licht ausblenden. Aber sie tun es zum Schutz der Geräte etwas zu breit. Der Mond passt perfekt.

Eines aber werden die vereinten profession­ellen und Laienforsc­her nicht klären können: Wie es auch ganz ohne Finsternis einmal am hellen Tage duster werden konnte: „Und es ward eine Finsternis über das ganze Land, und die Sonne verlor ihren Schein“(Lukas 23, 45). Am Mond kann die Düsternis bei der Kreuzigung Christi nicht gelegen haben, er war kein Neumond, darüber sind die Apostel einig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria