Die Presse am Sonntag

Der Reiz der Extreme

Das Race Across America hat Ultrasport­lerin Alexandra Meixner heuer als erste Österreich­erin geschafft, nun jagt sie den Weltrekord im Deca-Triathlon. Eine Geschichte über Sport als herausford­ernde Faszinatio­n und genussvoll­e Sucht.

- VON SENTA WINTNER

Für die meisten Menschen liest sich das Programm von Alexandra Meixner wie eine Tortur: 38 km schwimmen, 1800 km Rad fahren und 422 km laufen hat sie sich beim Deca-Triathlon im Schweizer Buchs vorgenomme­n. Seit Mittwochab­end ist die 46-jährige Waldviertl­erin unterwegs, die 760 Bahnen im 50-Meter-Becken hat sie in unter 16 Stunden hinter sich gebracht. Ihr Ziel: ein neuer Weltrekord. Aktuell liegt die Marke bei 249:14,52 Stunden. „Die will ich knacken, und wenn es nur um eine Viertelstu­nde ist“, sagt die Fachärztin für Gynäkologi­e mit eigener Praxis in Schrems.

Vor gut sieben Wochen hat Meixner als erste Österreich­erin das Ultra-Radrennen Race Across America beendet. Zwölf Tage, vier Stunden und 35 Minuten war sie quer durch die USA unterwegs, Nachwirkun­gen hat sie jedoch kaum verspürt. „Ein bisschen taube Finger und Füße habe ich vom Abdrücken der Nerven. Neu war für mich der Schlafwand­el, der den Körper mehr als die Bewegung kaputt gemacht hat. Ich musste erst lernen, wie das Körper, Geist und Seele verändert“, meint sie über die nur wenige Stunden langen Ruhezeiten. Dennoch schwang sie sich zwei Tage nach der Rückkehr nach Österreich wieder in den Sattel, wenig später erwachte auch die Sehnsucht nach einer neuen Herausford­erung.

Erfahrung im Ultra-Triathlon hat Meixner, seit 2014 hält sie den Weltrekord im Deca-Triathlon, 2016 absolviert­e sie den ersten Double-Deca. Bei diesen Bewerben stand jeweils ein Triathlon pro Tag auf dem Programm, der jetzige Versuch erfolgt als kontinuier­licher, es gilt also die zehnfache Distanz der Diszipline­n am Stück zu absolviere­n und sich die Pausen selbst einzuteile­n. „Ich möchte die Schwierigk­eiten des Schlafwand­els mit jenen des UltraTriat­hlons kombiniere­n. Das ist die Neugierde, die mich antreibt.“ Routine für den Körper. Die Belastunge­n eines solchen Deca-Triathlons sind für Hobbysport­ler schier unvorstell­bar, für Meixners Körper aber beinahe Routine. „Wenn alles nach Plan läuft, ist der Geist in einer anderen Sphäre“, berichtet sie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Während des Sports habe sie ihre besten Ideen, wenngleich diese selten bis nach der Ziellinie überdauern. „Ich bin ganz im Hier und Jetzt, habe keine Verpflicht­ungen außer den nächsten Schritt.“Ein Drittel Kopf, ein Drittel Körper, ein Drittel Betreuerte­am lautet das Erfolgsrez­ept. „Und im Endeffekt macht das Team zwei Drittel aus, denn wenn der Kopf schwach wird, stärken sie ihn auch.“Sie selbst übertaucht die unweigerli­chen mentalen Löcher, indem sie sich ganz auf die Technik, wie Atmung oder Schrittfre­quenz konzentrie­rt. Die letzten Kilometer erlebt sie stets als „Potpourri der Gefühle“, zu Dankbarkei­t und Demut mischt sich immer auch ein bisschen Traurigkei­t. „Ich weiß, danach kommt bald wieder die Leere des Alltags, obwohl dieser ausgefüllt ist und mir Spaß macht.“

Die ausgebilde­te Ärztin bestreitet nicht, dass Sport für sie zu einer Sucht geworden ist. „Es ist ein positives Suchtverha­lten, das mich nicht belastet“, sagt sie und begegnet Bedenken bezüglich ihrer Gesundheit gelassen. „Heuer fordere ich meinen Körper fünf Wochen extrem, die restliche Zeit ist es Wohlfühlsp­ort, denn im Training gehe ich nie über die Grenzen“, so ihre Erklärung und der Vergleich: „Andere rauchen oder trinken täglich Alkohol oder haben 70 kg Übergewich­t und fordern ihren Körper 52 Wochen im Jahr, hören diese Fragen aber nie.“Aus Mitgefühl mit Tieren ernährt sich Meixner seit elf Jahren vegetarisc­h und seit zwei Jahren vegan. Um bei Extrembela­stungen die Zufuhr von 10.000 Kalorien pro Tag zu schaffen, muss auch die erklärte Genussesse­rin bei Wettbewerb­en auf Flüssignah­rung zurückgrei­fen. „Da denke ich schon mit Bauchweh daran, aber das gehört dazu.“Als Abwechslun­g zu den süßen Shakes gönnt sie sch aber schon einmal ein Sandwich. Ohne Plan, nach Gefühl. Als eine von sechs Schwestern im Waldvierte­l aufgewachs­en, kam Meixner erst mit Ende zwanzig zum Sport. Waren damals noch Abnehmgeda­nken die Motivation, ist es inzwischen die pure Lust an der Bewegung. „Ganz ohne Sport halte ich es maximal zwei Tage aus“, erzählt die 46-Jährige. So weit lässt es Ehemann Walter aber meist gar nicht kommen, meint sie lachend: „Bevor ich grantig werde, schickt er mich laufen.“

Von detaillier­ten Trainingsp­länen hält Meixner nichts, die Vorbereitu­ng auf die Extrembewe­rbe integriert sie vielmehr in den Alltag. So radelt sie täglich bis zu 50 km in die Praxis, geht in der Mittagspau­se laufen oder am Abend schwimmen – dazwischen behandelt sie Patientinn­en, macht nebenbei noch eine Ausbildung zur Sexualther­apeutin, schreibt Bücher und hat sogar ein eigenes Kabarettpr­ogramm entworfen. „Leider hat der Tag nur 24 Stunden. Ich habe schon öfter um Verlängeru­ng angesucht.“

Im Gegensatz zu männlichen Ultra-Kollegen wie Christoph Strasser ist Meixners Name der breiten Öffentlich­keit noch kein Begriff, das spürt die Niederöste­rreicherin auch bei der Sponsorens­uche. Die Ultra-Triathlons finanziert sie sich selbst, für das USRadrenne­n, das aufgrund der Distanzen ein deutlich größeres Betreuungs­team benötigte, konnte sie nach der Absage großer Firmen auf lokale Unterstütz­er zurückgrei­fen. „Entweder ich bin zu alt, zu weiblich oder entspreche nicht dem Schönheits­ideal. Aber ich habe das Glück einen Beruf zu haben, in dem ich relativ gut verdiene“, nimmt es die Frauenärzt­in mit Humor. Für die Zukunft kann sie sich vorstellen, sich eines Tages ganz dem Sport(coaching) zu widmen. Die Herausford­erungen werden ihr jedenfalls nie ausgehen, ist Meixner überzeugt. „Wenn ich höre: ,Das sind Verrückte‘, denke ich mir bald danach: ,Schaff ich das auch?‘“

»Während eines Bewerbs habe ich keine Verpflicht­ung außer den nächsten Schritt.« Gesundheit­sbedenken hat Meixner nicht. »Die meiste Zeit ist es Wohlfühlsp­ort.«

 ?? Katrin Meier ?? Nach 38 km schwimmen ist Alexandra Meixner am Donnerstag auf das Rad gewechselt.
Katrin Meier Nach 38 km schwimmen ist Alexandra Meixner am Donnerstag auf das Rad gewechselt.

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