Eine Krone für die ganz Kleinen
In den USA sind Schönheitswettbewerbe für sehr junge Mädchen und neuerdings auch Buben noch immer ein großes Geschäft. Die Spätfolgen werden dabei gern übersehen.
Sie tragen kurze Röcke, Strumpfbänder und viel zu viel Lippenstift. Sie lächeln kokett ins Publikum, versuchen, mit einem ausgestopften BH Dolly Parton möglichst ähnlich zu sehen – doch sie sind gerade einmal vier, fünf oder sieben Jahre alt. Was in Österreich wohl umgehend Kinderschützer auf den Plan rufen würde, ist in den USA noch Normalität: Schönheitswettbewerbe für kleine Mädchen – und inzwischen auch Buben – bei denen die Kinder ehrgeiziger Mütter mit Lockenstäben und Lidschatten um den Sieg ringen. Über 250.000 Kinder zwischen zwei und 18 kämpfen Statistiken zu Folge in rund 5000 Schönheitswettbewerben – den sogenannten Beauty Pageants – jährlich um Krönchen und Schärpen. Die Kategorien ähneln dabei jenen der Erwachsenen: Im lässigen Freizeitoutfit, Ballkleid oder Badeanzug wird mit und ohne Windel auf der Bühne posiert.
Und das nicht nur in den Sälen sonst mäßig besuchter Landgasthäuser, sondern auch im nationalen Fernsehen: „Toddlers & Tiaras“(„Kleinkinder & Krönchen“), eine Serie, die die Teilnehmer solcher Shows – unkritisch – begleitete, wurde zwar 2013 nach fünf erfolgreichen Jahren und heftigen Kontroversen eingestellt; im vorigen Sommer fand sich aber schon wieder ein Sequel im Programm des Reality-Senders TLC. Die Show „Dance Moms“- bei der minderjährige Mädchen in Glitzerkostümen zeigen, wie schön sie tanzen, und deren Mütter, wie hässlich sich Erwachsene aufführen können -, läuft beim Sender Lifetime dagegen mit ungebrochenem Erfolg im siebten Jahr. Hier wurde lediglich heuer im Sommer eine neue Trainerin und Moderation nötig, weil die Vorgängerin, die für ihre Schreiduelle berüchtigte Abby Lee Miller, überraschend eine mehrjährige Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung antreten musste.
Was manche Kritiker als gerechte Strafe für das Ausbeuten der Mädchen empfanden – auch wenn die Verurteilung aufgrund betrügerischer Krida ursächlich nichts damit zu tun hatte. Denn die Folgen, die dieses Leben für die Kinder haben kann, reichen von Ess-Störungen und Drogenproblemen bis zu Minderwertigkeitsgefühlen. „Es ist für Kinder in der Pageant-Szene nicht unüblich, in ihren Teen-Jahren ’pensioniert‘ zu werden“, schreibt die Ernährungswissenschaftlerin Martina C. Cartwright in „Psychology Today“. „Viele haben es danach in ihrem Erwachsenenleben schwer, denn die permanente Disziplin, die Diäten und die damit verbundene Körperwahrnehmung haben ihren Preis.“
Wenn nach Jahren der Applaus plötzlich ausbleibt und die Pubertät samt Hautproblemen und Zahnspangen zuschlägt, ist das für Kinder, die gelernt haben, dass Attraktivität ihre wichtigste Eigenschaft ist, oft ein Schlag – von dem sich manche nur mehr schwer erholen. Teure Kostüme. Schließlich würden die Kinder das Schminken und die schönen Kostüme lieben – wie Eltern und Anhänger solcher Veranstaltungen immer wieder betonen. Das alles hat freilich seinen Preis: „Die Kleider kosten zwischen 300 und 4000 Dollar, die Nenngelder bei den großen Pageants liegen bei rund 400 Dollar und das Coaching bei 50 Dollar pro Sitzung“, berichtete Juana Myers, deren Tochter MaKenzie mit 18 Monaten ihren ersten Wettbewerb bestritt und später bei „Toddlers & Tiaras“zu sehen war, in der Today-Show.
Kosten, die irgendwie wieder hereingeholt werden müssen, was den Druck auf die Kleinen weiter erhöht. Zumal diese auch im Erfolgsfall von den Einnahmen so gut wie nichts zu sehen bekommen, wie Paul Petersen, der sich mit seiner Stiftung „A Minor Consideration“für die Rechte von Kindern im US-amerikanischen Show- business einsetzt, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“scharf kritisiert: „Ganz abgesehen von den Gefahren, die damit einhergehen, kleine Mädchen mit aufreizenden Kostümen wie 30-jährige Prostituierte auszustaffieren, geht es hier auch um eine Industrie, die weltweit rund fünf Milliarden Dollar (rund 4,25 Mrd. Euro; Anm.) umsetzt und 100.000 Erwachsenen Arbeit verschafft“, verdeutlicht er das Ausmaß der Ausbeutung. Vor allem bei den TV-Produktionen sei diese enorm: „Die großen Shows haben jedes Mal zwei bis drei Millionen Zuschauer und die Entertainment-Industrie ist in den USA die einzige, für die die Bundesgesetze zum Schutz vor Kinderarbeit nicht zur Anwendung kommen.“
»Die Preisgelder decken vielfach nicht einmal die Kosten für das Kleid.« »Die meisten erhoffen sich für ihre Kinder einen Weg in die glitzernde Welt der Stars.«
Kinderarbeit, die sich für die Kinder selbst fast nie auszahle, so Petersen, der selbst einst ein Kinderstar war. Die Preisgelder für den Sieg bei den kleineren Pageants „reichen meist nicht einmal für das Kostüm“, die Höchstsummen bei den ganz großen Bewerben liegen zwischen 5000 und 10.000 Dollar. Warum aber investieren Eltern Zeit, Geld und Tränen in eine mehr als zweifelhafte „Karriere“für ihre Kinder? „Die meisten Familien dieser Szene gehören der unteren Mittelklasse an und erhoffen sich dadurch für ihre Kinder, es in die Welt der TVStars zu schaffen“, ist Petersen überzeugt. „So wie andere Unsummen in die Football-Laufbahn ihrer Söhne stecken, wird hier für Kleider, Tanztrainings und Make-up gezahlt.“
Eine Rechnung, die für Petersen nicht nur moralisch nicht aufgeht: „Wenn diese Eltern die gleichen Mittel und den gleichen Ehrgeiz in ihr eigenes berufliches Fortkommen investieren würden, wären die Chancen, den Kindern ein besseres Leben bieten zu können, um ein Vielfaches höher.“