»Wollte keinen ›Bond‹ drehen«
Die südafrikanische Oscar-Preisträgerin Charlize Theron spricht über ihren neuen Film, »Atomic Blonde«, über weibliche Actionhelden und ihr Training mit Keanu Reeves. Außerdem verrät sie, warum sie altmodische Hongkong-Filme mag und was sie von einer Maue
Es gibt diese eine Szene in „Atomic Blonde“(ab 25. August im Kino), die allein einen Kinobesuch wert ist. Über mehrere Minuten erstreckt sich die Kampfsequenz, in der Charlize Theron als eiskalte Agentin einen KGB-Schergen nach dem anderen einmal mit Fäusten, einmal mit Waffen ausschaltet – und das scheinbar ohne Schnitt.
Angesiedelt ist „Atomic Blonde“– wie auch die zugrunde liegende Graphic Novel „The Coldest City“von Anthony Johnston – im Jahr 1989, gegen Ende des Kalten Krieges. Wenige Tage vor dem Fall der Berliner Mauer wird Lorraine Broughton (Theron), Agentin des britischen Geheimdiensts MI6, nach Westberlin entsandt.
Ein Undercover-Agent wurde von einem brutalen Spionagering getötet, seine Liste mit sämtlichen Namen und Aufenthaltsorten westlicher Agenten gestohlen. Lorraine soll herausfinden, was hinter dem Mord steckt, und die Liste wiederbeschaffen. In Westberlin angekommen, muss sie sich mit dem dort stationierten Agenten David Percival (James McAvoy) zusammentun.
Regisseur David Leitch ist ein Meister seines Fachs. Seit Mitte der 1990er-Jahre im Stuntbereich Hollywoods tätig, gab der US-Amerikaner 2014 mit dem Rachethriller „John Wick“(gemeinsam mit Ko-Regisseur Chad Stehaleski) sein äußerst erfolgreiches Regiedebüt.
Sein Zweitling, „Atomic Blonde“, strotzt nur so vor raffiniert choreografierten, ultrabrutalen Kämpfen, Verfolgungsjagden und Schusswechseln. Bei der eingangs erwähnten, herausragenden Actionszene ist Kameramann Jonathan Sela bei Lorraines Tour de Force vom Lift über das Stiegenhaus bis in einzelne Zimmer, auf die Straße und im Auto so nahe dran, dass man sich am Ende selbst durchgebeutelt fühlt. Inszeniert wird das alles in Neonästhetik zu einem pulsierenden Achtzigerjahre-Soundtrack, bei dem neben Nena auch David Bowie, Queen oder ein Falco-Remix erklingen.
Oscar-Preisträgerin Charlize Theron – das hat sie schon als tragende Kraft im Endzeitspektakel „Mad Max: Fury Road“gezeigt – ist eine veritable Actionheldin und als solche in einem männerdominierten Genre dringend notwendig. 98 Prozent der Stunts hat sie dem Stuntkoordinator Sam Hargrave zufolge selbst ausgeführt. Drehbuchautor Kurt Johnstad gibt gar an, Theron den Film auf den Leib geschrieben zu haben und diesem zwei weitere folgen lassen zu wollen.
„Die Presse am Sonntag“traf Charlize Theron in Berlin zum Interview. „Atomic Blonde“spielt beinahe zur Gänze in Berlin. Wie viele Szenen haben Sie tatsächlich hier gedreht? Charlize Theron: Ich weiß gar nicht, wie viele genau, aber es waren jede Menge. Wir waren rund zehn Tage in Berlin, soweit ich mich erinnere – und haben jede Stunde dieser zehn Tage genutzt. Welche Beziehung haben Sie persönlich zu Berlin? Berlin ist eine meiner Top-fünf-Lieblingsstädte auf der ganzen Welt. Ich liebe diese Stadt. Anfang der 1990er-Jahre war ich zum ersten Mal hier, und auf der Fahrt zum Flughafen fielen mir diese Hunderten Baukräne auf. Bei meinen späteren Besuchen sah ich dann, was aus diesen Baustellen geworden ist, ich finde die Architektur in Berlin großartig. Generell mag ich Städte, die harte Zeiten erlebt und überstanden haben, die also eine Entwicklung durchgemacht haben. Die Menschen hier wissen um ihre schwierige Vergangenheit, können aber auch ihre Gegenwart genießen und feiern. Abgese-
1975
wurde Charlize Theron in der südafrikanischen Stadt Benoni geboren.
1999
gelang ihr der Durchbruch mit einer Rolle in „Gottes Werk und Teufels Beitrag“.
2004
wurde sie für ihre Rolle in „Monster“mit einem Oscar als beste weibliche Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Zwei Jahre später erhielt sie für das Drama „Kaltes Land“erneut eine OscarNominierung. hen davon habe ich jedes Mal eine super Zeit in Berlin. Erinnern Sie sich daran, wo Sie waren, als die Mauer fiel? In Südafrika, ich war noch ein Kind. Das war ein großes Thema dort. Natürlich hat man auf der ganzen Welt darüber gesprochen, aber in Südafrika ganz besonders, denn dort hatten wir mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen. Mit der Idee nämlich, Menschen voneinander zu trennen. Denken Sie, dass sich die Geschichte wiederholen und es erneut zu so etwas wie einem Kalten Krieg kommen kann? Natürlich. Wir haben in den USA einen Präsidenten, der eine Mauer bauen und Mexiko in Rechnung stellen will. Der Gedanke, Menschen zu trennen, ist also immer noch vorhanden. Für mich ist das kleingeistiges Denken. Für ihn offensichtlich nicht. Ihr Charakter muss in „Atomic Blonde“einiges einstecken. Wie anstrengend war das Training? Oder hatten Sie auch Spaß dabei? Das Training war schon sehr lang und hart. Aber ich war fasziniert von der Idee, diese Geschichte in dieser Form zu erzählen – also mehr durch Körpereinsatz als durch Worte. Ich bin auch ein großer Fan von altmodischen Hongkong-Filmen, in denen viel Action eine ganz andere, wichtigere Rolle spielt als in vielen amerikanischen Filmen, in denen sie oft nur Selbstzweck ist und die Handlung in keiner Weise voranbringt. Stimmt es, dass Sie mit Keanu Reeves trainiert haben, als er sich gerade für „John Wick“vorbereitet hat? Ja, wir hatten dasselbe Trainingslager. Keanu ist seit Jahren einer meiner engsten Freunde. Er hat mich inspiriert. Ich glaube, ohne ihn hätte ich das nicht durchgezogen. Einige Szenen im Film sind extrem brutal. Ihr Charakter muss unglaublich viel einstecken. Hatten Sie mit dem Regisseur viele Diskussionen darüber, wie weit Sie in diesem Punkt gehen wollten, ohne einen zu brutalen Film zu machen? Es gab viele Diskussionen, aber weniger über die Brutalität im Film als vielmehr über eine authentische Herangehensweise. Frauen bekommen solche Rollen oft deswegen nicht, weil sich das Publikum beim Anblick einer Frau, die bei einem Kampf übel zugerichtet wird, unwohl fühlen könnte. Aber das repräsentiert uns Frauen nicht ausreichend. In unserem Film soll die Empathie mit meiner Figur genau dadurch entstehen, dass sie sich wilde Kämpfe liefert und auch einstecken kann. Ich spiele keine schwache Frau, die von ihrem Mann verlassen oder verprügelt wird, sondern eine Topagentin, die gegen andere Topagenten kämpft. Diese Person muss Wunden und blaue Flecken haben. In Hollywood läuft schon länger eine Debatte über die faire Bezahlung von Schauspielerinnen. Wie sehen Sie diese Diskussion? Ich bekomme sie natürlich mit und beteilige mich auch daran. Aber ich bin in einer sehr dankbaren, glücklichen Position. Ich kann mit Studios verhandeln und genauso viel Geld verlangen wie männliche Kollegen. Die meisten meiner Kolleginnen können das nicht. Um sie geht es, nicht um mich. Genau genommen um alle Frauen, die ihre Familie ernähren müssen und nicht gleich viel verdienen wie Männer. Ich bin nicht betroffen. Obwohl: Ich bin schon betroffen, aber das kann man nicht mit der Situation der Mehrheit der Frauen vergleichen. Warum hat es so lang gedauert, bis so ein Actionfilm mit einer weiblichen Hauptfigur gedreht wurde? „James Bond“und „Jason Bourne“waren viel früher dran. Das weiß ich nicht, wir wollten auch keinen „Bond“- oder „Bourne“-Film machen, sondern einen Film, in dem für eine Frau dieselben Regeln gelten wie für einen Mann. Dass Lorraine eine Frau ist, spielt in diesem Film keine Rolle. Dieses Experiment wollten wir wagen. Und „Atomic Blonde“ist mein Baby, ich habe so viel Zeit investiert und bin sehr stolz auf das Ergebnis. Denken Sie nicht, ich hätte es für das Geld gemacht, es gab kein Geld, glauben Sie mir. Wir hatten ein Budget von 30 Millionen Dollar und konnten den Film mit Ach und Krach realisieren. Aber wir wollten es unbedingt durchziehen und einen großartigen Film mit großartiger Action drehen. Wird der Film in Serie gehen? Das ist unsere Absicht. Wir haben das Glück, dass das Studio Universal für den Film ähnlich brennt wie wir.