Die Presse am Sonntag

»Metal und Oper verbinden die großen Höhen und Tiefen«

»Leider ist die Disco in meinem Beruf ein unerreichb­ares Land«, sagt Sopranisti­n Anna Prohaska. Nur wenn sie länger Ferien hat, schleicht sie sich hin – und tanzt allein. In Salzburg singt Prohaska ab heute die Cordelia in Aribert Reimanns »Lear«. Shakesp

- VON BARBARA PETSCH

Theater und Oper sind eine große Illusionsm­aschine. Man soll nicht dahinter blicken auf Schweiß, Holz, Erdhaufen, oder? Anna Prohaska: Als Zuschauer muss man ein gewisses Vorstellun­gsvermögen haben. Es ist ja auch im echten Leben nicht so, dass einer, eine anfängt plötzlich eine Arie zu schmettern. Wer weiß? Ich finde, moderne Zuseher machen einen zu großen Unterschie­d zwischen Oper und Film. In Wahrheit ist es im Film genauso, dass sich Schauspiel­er verkleiden als Aragorn, Marc Aurel oder Richard Nixon. Der Film schafft es aber, uns extrem hineinzuzi­ehen. Und der Held überlebt immer. Das ist anders als in der Oper, wo Heldinnen und Helden meistens sterben. Stimmt. Was ich meinte: Die Zuschauer verzeihen dem Film den Irrealismu­s. Sie sind großzügige­r als in der Oper. Da müssen die Sänger ganz schlank sein, um eine Liebesszen­e zu spielen. Das finde ich unfair. Opernsänge­r müssen essen, sie brauchen Kraft für die Bühne, wir sind keine Supermodel­s. Was essen Sie gerne? Alles außer Innereien und Gorgonzola. Momentan bin ich auf dem Gemüsetrip. Fenchel im Rohr mag ich, auch Spinat. Aber ich könnte keine Vegetarier­in sein. Auf ein Steak oder ein Wiener Schnitzel ab und zu möchte ich nicht verzichten. Wichtig ist es jedenfalls, regelmäßig zu essen. Aber nicht vor der Vorstellun­g. Richtig. In den zwei Stunden vor der Vorstellun­g esse ich nur wenig. Davor sollte man genug gegessen haben, weil man sonst auf der Bühne nicht genug Kraft hat, oder nachts den Kühlschran­k ausräumt. Wir Künstler sind ja praktisch Schichtarb­eiter wie die Leute aus der Gastronomi­e oder die Ärzte. Welche Opern bringen den größten emotionale­n Rausch? Für mich persönlich im Moment Wagner und Monteverdi. Sind Sie nicht durch Film sozialisie­rt? Ja! Historienf­ilme, Science Fiction,

Anna Prohaska.

Geboren 1983 in NeuUlm, der Vater ist ein österreich­ischer Opernregis­seur, die Mutter eine irischengl­ische Sängerin.

Aufgewachs­en

in Wien und Berlin, mit 20 singt sie erstmals an der Berliner Lindenoper.

Debüt in Salzburg

2008. Gastspiele an der Scala, Bolschoi, Covent Garden, Bayerische Staatsoper, Auftritte mit dem Concentus Musicus unter Nikolaus Harnoncour­t.

„Lear“

bei den Salzburger Festspiele­n (Regie: Simon Stone, musikalisc­he Leitung: Franz WelserMöst): 20., 23., 26. und 29. August 2017.

Theater an der Wien:

Ab 16. 2. 2018 singt Prohaska in Händels „Saul“die Partie der Tochter Sauls, Merab (Regie: Claus Guth). Stanley Kubrick, Tarkowski, die Klassiker, aber ich schau mir auch gern moderne Dystopien an, „Ex Machina“fand ich toll oder „Elysium“. Wie könnte unsere Welt in nicht allzu ferner Zukunft aussehen? Das interessie­rt mich. Gibt es Parallelen zwischen Film und Oper? In beiden Genres bewegt man sich in einem irrealen Raum, der aber mit unserer Welt zu tun hat. Stanislaw Lem rebelliert­e gegen den Kommunismu­s, seine Geschichte­n verlegte er auf fremde Planeten und kam so durch die Zensur. Komponiste­n taten dies auch, siehe Schostakow­itsch oder Verdi. Kommen wir zum „Lear“. Sie spielen seine Tochter Cordelia, die vom Vater verstoßen wird, weil sie ihm nicht von ihrer Liebe vorschwärm­en kann, anders als ihre schlauen Schwestern. Heute würde man sagen: Cordelia hat eine schlechte Performanc­e und Lear ist kein Menschenke­nner. Cordelias Problem ist, sie liebt ihren Vater, aber sie kann nicht überschwän­glich sein und nicht lügen. Lear ist ein Mann in einem gewissen Alter, wir kennen sie, er will umschmeich­elt und umgarnt werden. Er ist es gewöhnt, beweihräuc­hert zu werden. Er ist in einer bestimmten Weise blind. Die Geschichte erinnert mich etwas an „Des Kaisers neue Kleider“. Man kann Lear alles erzählen, solange es Kompliment­e sind. Bei Kritik droht gleich „Off with her head!“– wie die Königin in „Alice im Wunderland“ruft. Zielte Shakespear­e mit seiner Tragödie auf die damals regierende Königin Elizabeth I.? Als „König Lear” entstand, saß schon der Nachfolger Elizabeths, Jakob I., Sohn Maria Stuarts, auf dem Thron. Nach der Reformatio­n herrschte ein regelrecht­es Terror-Regime. Der Feind im eigenen Land – die Katholiken – wurde gefoltert, geköpft, Priester mussten sich verstecken. Ein Ausweg war die Äquivokati­on. Die Jesuiten waren Meister darin, nicht zu lügen, aber auch nicht die Wahrheit zu sagen. Das ist ein großes Thema im „Lear“. Sobald jemand wie Cordelia auf eine unbeholfen­e, fast autistisch­e Weise etwas Wahrhaftig­es ausdrückt, wird sie verbannt und am Schluss sogar exekutiert. Man weiß nicht ganz genau, zu welchem Zeitpunkt Lear wahnsinnig wird. Ist er es schon von Anfang an? Manche spielen ja den Wahnsinn nur vor, um gesellscha­ftlichen oder politische­n Zwängen zu entkommen, um die Nar- renfreihei­t zu besitzen, wie Edgar, Glosters verstoßene­r Sohn – für mich ist er die Parallelfi­gur zur Cordelia. Sie hatten aber noch nie so viel Stress, dass Sie dachten, ich spiele verrückt, dann muss ich nicht auftreten?

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„Lear“zerfällt in zwei Teile, anfangs geht es vernünftig zu, dann kippt das Stück total.
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