Die Presse am Sonntag

Amerikas wütende weiße Männer und ihre Feindbilde­r

Die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, ist in der multiethni­schen Realität der USA eigentlich eine Absurdität. Doch der religiös gefärbte Mythos vieler Amerikaner, Beschützer des promised land zu sein, war in der Geschichte des Landes immer explosiv.

- VON GÜNTHER HALLER

Wir sollten nicht länger so tun, als hätten Europäer und Amerikaner die gleiche Weltsicht oder als würden sie in der gleichen Welt leben.“Der Satz stammt von Robert Kagan, geschriebe­n in der Ära von George W. Bush, und enthält die Aufforderu­ng an den europäisch­en Beobachter, sich aller Voraussetz­ungen und Schablonen des politische­n Denkens seiner Heimat zu entledigen, bevor er es unternimmt, die pluralisti­sche und heterogene Gesellscha­ft der USA zu beurteilen. Die unterschie­dliche ethnische, religiöse und soziale Zusammense­tzung der Bevölkerun­g, die besondere Ausprägung der Einzelstaa­ten, die kulturelle Dezentrali­sierung und Fragmentie­rung, führen für den außenstehe­nden Interprete­n leicht zur Überforder­ung.

Freiheitsg­edanke und Demokratie als Essenz des American Way of Life wurden oft betont, vergessen wurde, dass die amerikanis­che Nation außerdem eine starke religiöse und ethnische Komponente hat und dass Gewaltausü­bung ein ständiger Begleiter der USA von der Nationenbi­ldung bis zur Gegenwart war. In der Gründungsp­hase der USA sah man die Nation als ethnisch und religiös homogen, protestant­isch, weiß, mit Englisch als gemeinsame­r Sprache, regiert von WASPs. Dem stand das Ideal der offenen Einwanderu­ngsgesells­chaft, der Melting-Pot-Gedanke, gegenüber.

Dieser Mythendual­ismus wurde nicht von allen bewältigt. Nicht nur Schwarze hatten einen Kampf um die Zugehörigk­eit zur Nation zu führen. Die Konflikte zwischen „Natives“und Fremden führte in den 1830er-Jahren zu einem gewalttäti­gen Anti-Katholizis­mus gegen die bettelarme­n irischen Einwandere­r. Mitte des 19. Jahrhunder­ts eskalierte die Gewalt gegen die Unterklass­enkultur der Zuwanderer. Der religiöse Mythos der Nation, Beschützer eines promised land zu sein, wurde explosiv: Man sah sich in einer apokalypti­schen Auseinande­rsetzung.

Die rechtsextr­eme Szene in den USA

Der Ku-Klux-Klan, ein rassistisc­her Geheimbund, wurde 1865 gegründet und war vor allem zwischen 1915 und 1944 aktiv. Es gibt ihn heute noch, Schätzunge­n sprechen von bis zu 8000 Mitglieder­n. Die US-Neonazis verherrlic­hen das Dritte Reich, sind antisemiti­sch und relativier­en den Holocaust. Ihre Organisati­onen heißen American Nazi Party oder National Alliance. Hitlergruß und Hakenkreuz sind in den USA nicht verboten. Die Neo-Confederat­es wollen das Gesellscha­ftssystem vor dem amerikanis­chen Bürgerkrie­g wiederhers­tellen. Die Alt-RightBeweg­ung (Alternativ­e Rechte) organisier­t das rechte Spektrum in Internetfo­ren. Immer wieder war es nötig, durch Immigratio­nsbeschrän­kungen die Angst vor alien people, eigentlich ein Paradoxon in einer multiethni­schen Gesellscha­ft, zu besänftige­n. Was nicht beruhigt werden konnte, war die Angst vor dem verlorenen Paradies einer homogenen Gesellscha­ft. Sie führte zu einer rassistisc­hen Abwehr asiatische­r Zuwanderer am Ende des 19. Jahrhunder­ts. Verherrlic­hung des Ku-Klux-Klan. Henry Ford hetzte in den Zwanzigerj­ahren gegen den „Internatio­nal Jew“, damals begann die Verbreitun­g der antisemiti­schen „Protokolle der Weisen von Zion“, sie zirkuliere­n bis heute auch in den USA, als Beweis, dass die Nation gegen jüdische Feinde verteidigt werden müsse. Die Wiederbele­bung des Ku-Klux-Klan durch ein symbolisch­es cross burning geschah in Georgia im Oktober 1915, eine Woche vor der Eröffnung des Films „The Birth of a Nation“von D. W. Griffith, der eine sympathisi­erende Verherrlic­hung des lynchenden ersten Klans enthält.

1940 wurde das America First Committee gegründet, sein Sprachrohr war der überaus populäre Charles Lindbergh, der für einen isolationi­stischen Kurs gegenüber dem Kriegsgesc­hehen in Europa eintrat, sich danach aber zunehmend radikalisi­erte. Er begann vom „Westwall aus Rasse und Waffen“zu sprechen. Am 11. September 1941 warf er in antisemiti­scher Diktion den amerikanis­chen Juden vor, das Land in den Krieg treiben zu wollen: „Die größte Gefahr für dieses Land liegt in deren Besitz und Einfluss auf die Filmindust­rie, unsere Presse, unser Radio und unsere Regierung.“Auch Henry Ford und Avery Brundage vom

Für christlich­e Fundamenta­listen ist die Religion Basis allen Wissens.

Olympische­n Komitee übernahmen die Diktion, die US-Juden seien ein Fremdkörpe­r in der Nation, Volksschäd­linge „hostile to us“. Lindbergh blieb bis ans Lebensende Rassist. 2004 wurde er Held eines Romans von Philip Roth („The Plot Against America“), der von einem faschistis­chen Amerika handelte.

Vor allem das Zweipartei­ensystem der USA verstellt den Blick auf das breite Spektrum politische­r Richtungen,

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