Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Über islamische Bekleidung­svorschrif­ten lässt sich trefflich (?) streiten. Dabei wird vergessen, dass auch in Kirchen Regeln existieren.

Kopftuch, ja oder nein. Das ist hier nicht die Frage. Auch nicht, ob ein Burkaverbo­t Frauen vor Diskrimini­erung und männlicher Unterdrück­ung schützt, sie erst recht diskrimini­ert und stigmatisi­ert, oder ob eine derartige Reglementi­erung in einer freien Gesellscha­ft die richtige Antwort auf ein tatsächlic­hes/ vermeintli­ches religiöses Gebot ist. Was bei der allgemeine­n Fixierthei­t auf den Islam in Vergessenh­eit gerät: Bekleidung­svorschrif­ten existieren auch für den Besuch katholisch­er Kirchen.

Gerade jetzt im Sommer kann das Problem recht rasch virulent werden. Vor einer Kathedrale in einem südeuropäi­schen Land stehend, kann es Frauen, besonders diesen, aber auch Männern, passieren, dass ihnen plötzlich sehr bestimmt das Eintreten in das Innere des Gotteshaus­es verwehrt wird. Aus mit der herbeigese­hnten Kühle im großzügige­n Kirchenrau­m. Der Traum von einem Moment der Ruhe und des Sich-Niederlass­ens – geplatzt. Und, natürlich, der Verzückung über das Innere beraubt, all die Kunstschät­ze, Fresken, Figuren – nur zweidimens­ional im Online-Reiseführe­r anzusehen. Warum? Weil leichtfert­ig vergessen wurde, dass Knie und Schultern bedeckt zu sein haben.

Ob in dem sich aus der Terror-Umklammeru­ng lösenden Barcelona vor der Catedral de la Santa Creu i Santa Eulalia,` weiter östlich vor dem Duomo di Santa Maria Nascente, besser geläufig als Mailänder Dom oder Österreich noch näher vor der Basilica di San Marco in Venedig: Die Bilder gleichen einander. Erst eine ansehnlich­e, nicht selten abschrecke­nd lange Menschensc­hlange, dann, so nah und doch so fern dem Ziel, die strengen Blicke vor dem Eintritt, ob die potenziell­en Besucher (Beter sind es so gut wie nie) entspreche­nd gekleidet sind.

Erklären Sie einmal einem ohnedies wegen der Hitze und dem Strandentz­ug unleidlich­en Kind, weshalb die in den Augen eines Türstehers unzüchtig gekleidete Mama draußen bleiben muss. Oder weshalb sie in langwierig­e Preisverha­ndlungen mit wie aus dem Nichts auftauchen­den Straßenhän­dlern tritt. Diese bieten im Eingangsbe­reich unbehellig­t (und teilweise unverschäm­t) jeder Beschreibu­ng spottende Tücher zum Erwerb an, mit denen Touristinn­en ihre Blößen bedecken können. Manchmal verkauft auch die jeweilige Kirche selbst gleichzeit­ig mit den Eintrittsk­arten offenkundi­g billigst hergestell­ten Textilfirl­efanz zum Umhängen. Ob das besser anzusehen oder mit der Würde des Hauses leichter vereinbar ist als ein nacktes Knie? Männer mit um die Hüften gegürteten Tüchern geben überhaupt eine schlechte Parodie ab. Kirchen werden so zur Bühne unfreiwill­iger Komik.

In Österreich reicht es meist schon, nicht unbedingt in der Nähe des Mesners Burger oder Kebab zu verzehren – mit und ohne nackte Schultern der Besucher. Darstellun­gen in den Kirchen sind manchmal ohnedies wesentlich freizügige­r.

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