Wie man einen Rehbock anlock
Die Rehbrunft zählt zu den Highlights der Jagd. Beim Rehblatt’n wird mit einem Pfeiferl eine Rehgeiß imitiert, um einen Bock anzulocken. Ein Versuch mit dem Jagdbeauftragten der Bundesforste.
Für den Laien beginnt mit dem Herbst die Wildsaison. Daran dürfte aber vielmehr die Küche schuld sein, passen doch Wildgerichte, wie sie meistens kredenzt werden – eher deftig, mit Knödel und Rotkraut – doch eher zur kalten Jahreszeit. Für den Jäger hingegen läuft die Wildsaison längst. Immerhin gibt es nicht nur eine Vielzahl an Wildtieren, die zu unterschiedlichen Zeiten erlegt werden dürfen – oder eben Schonzeit haben. Auch ist die Saison von Bundesland zu Bundesland verschieden. Wir wären nicht in Österreich, gäbe es nicht neun unterschiedliche Jagdgesetze.
Die Rehbrunft hat hierzulande von Mitte Juli bis Mitte August Saison. „Danach kommt die Hirschbrunft. Im Osten des Landes startet diese Saison immer zu Kaisers Geburtstag, am 18. August. In höheren Lagen verschiebt es sich um zwei, drei Wochen“, sagt Fritz Völk, Jagdbeauftragter der Österreichischen Bundesforste. Er hat „Die Presse am Sonntag“zum Rehblatt’n ins Jagdrevier Salzberg über Hallstatt mitgenommen, ein Rehwildrevier mit etwas Rot- und Gamswild, das zum Forstrevier Hallstatt der Bundesforste gehört. Die brunftige Geiß imitieren. Der hochgewachsene Förster, Wildökologe und Jäger – im grünen Försteroutfit und mit Fischledergürtel aus Waldviertler Karpfen – hat seinen Dienstort eigentlich in Purkersdorf, ist aber die Hälfte des Jahres „zwischen Arlberg und Hainburg“beschäftigt. Jetzt sei für einen Jäger die schönste Zeit. „Rehe sind ja, im Gegensatz zum Hirsch, Einzelgänger. Derzeit verteilen sie sich ganz gut“, sagt er am Weg in den Wald. Bei der Blattjagd „imitiert man mit einem Pfeiferl ein Weiberl, das nach einem Manderl lechzt“, erklärt Völk. Rehblatt’n heißt es deshalb, weil die hohen Töne früher mit Hilfe eines Buchenblattes erzeugt wurden. Heute gibt es dazu eigene Rehblatter, kleine Pfeifen aus Holz oder Plastik, deren Blatt im Inneren bei manchen Exemplaren mit einem Gummiringerl verstellt werden kann und somit tiefere oder höhere Töne erzeugt werden können. Es gehe darum, ein Reh möglichst echt nachzumachen. „Jeder sagt was anderes. Manche schwören auf Kirschenholz, andere auf Plastik.“Auf die Frage, woraus sein Blatter besteht, meint er nur, „Buche, glaub ich.“
Drei Varianten gibt es beim Blatt’n, die der Jäger anwenden kann. Immerhin reagieren die Böcke je nach Brunftzeit unterschiedlich. „In der Hochbrut, wo Weibchen auch Appetit haben, kommt man mit dem Pfeiferl nicht weit.“Bei der erste Stufe werden die Töne, die eine Rehgeiß von sich gibt, imitiert. Hilft das nicht, kann man zu Stufe zwei übergehen. Dabei wird ein höherer Ton erzeugt, der das Fiepen der Rehkitze nachahmt. Damit versucht man eine Geiß anzulocken, die im Idealfall einen Bock mitbringt.
Um Stufe drei zu erklären, muss er etwas ausholen. Obwohl die Geiß den Bock mit ihrem Fiepen anlockt, läuft sie immer wieder davon. „Nennen wir es ein ausuferndes Vorspiel.“Der Bock läuft der Geiß also recht lange hinterher, zum Schluss laufen die beiden in einem Kreis mit rund fünf Metern Durchmesser. „Die Spuren, die dann in der Vegetation hinterlassen werden, nennt man Hexenringe.“Am Ende dieses Vorspiels lässt die Geiß den Bock heran, und er beschlagt sie, wie das im Jägerjargon heißt. „Den Ruf, den die Geiß bei dem Treiben, wenn sie die Runden drehen, ausstößt, versucht man zu imitieren. In der Hoffnung, dass ein Bock einen Rivalen in der Nähe vermutet.“
Geschossen wird dann nach behördlichem Abschussplan. „Es gibt Staaten, in denen das Erlegen während der Brunftzeit verboten ist, in anderen ist es erlaubt, wie in Österreich und auch in Deutschland“, sagt Völk leise. Mittlerweile sind wir mit seinem weißen Kombi tief genug in den Wald gefahren, ab jetzt geht es zu Fuß weiter – nicht wie ein Wanderer, sondern wie ein Jäger. Völk gibt genaue Instruktionen, was man alles (nicht) mitnehmen darf (keine spiegelnden Sonnenbrillen, keine klappernden Kugelschreiber und generell nichts Metallisches, das klappern könnte) und wie man sich zu verhalten hat (kurz zusammengefasst, ruhig): nur auf weichem Boden gehen, nicht auf Steinen. „Und wenn ihr auf Äste steigt, bitte auf kleine, die knacken nicht so laut.“Laut gesprochen wird ab jetzt ohnehin nicht mehr. Die Autotüren werden ganz leise geschlossen. Zuvor wurden behutsam kleine Stockerl aus dem Auto gehievt. Wind holen. Das Wichtigste beim Rehblatt’n – und generell bei der Wildbeobachtung – ist der Wind. Kommt er von hinten, riecht das Tier den Menschen – über sehr weite Entfernung. Das wird schon nach einem kurzen Fußmarsch deutlich. Leise schleichen wir den Weg entlang und kommunizieren nur per Handzeichen. Der Wind bläst uns ins Gesicht, was Völk mit einer zufriedenen Geste quittiert. Wobei die Bezeichnung Wind übertrieben ist, der Laie würde das eher windstill nennen. Wenn man gut darauf achtet, spürt man einen leichten Hauch, nicht einmal ein Lüfterl. Dreht sich das, und bläst es in den Nacken, ist es plötzlich schnell vorbei mit dem leisen Anschleichen. „Oje, er hat gedreht. Braucht’s nicht mehr leise sein, die riechen uns sowieso schon“, sagt Völk und wechselt vom Schleichmodus in normales, immer noch ruhiges Gehen.
Wir nutzen die Stelle für ein paar Fotos, bevor wir unser Glück woanders versuchen. „Holst du dir Wind?“, sagt Völk zum Fotografen, als dieser eine für ihn optimale Position sucht. „Wind holen“sich nämlich auch die Rehe gern, wenn sie den Verdacht haben, dass da irgendetwas im Busch ist, erklärt er. Rehe sehen sehr schlecht, Bewegungen nehmen sie aber gut wahr. Und Riechen können sie umso besser, „Hunderte Meter weit“. Wenn sie einen Verdacht haben, umkreisen sie das Objekt auf der Suche nach einer Position, bei der der Wind den Geruch des Menschen zu ihnen bringt. Das nennt man dann „Wind holen“. Der Fotograf hat sein Bild – zumindest vom Förster und Jäger in Personalunion – und es geht weiter. Schon- und Ernteklasse. Bis wir das nächste Plätzchen erreichen, bei dem Sprechverbot herrscht, hat Völk Zeit zu erzählen. Dass eben nicht jedes Tier erlegt werden darf. Auch hier gibt es Klassen, in die die Rehe unterteilt werden. Kitze und Einjährige bilden die Jugendklasse. Dann folgt die Schonklasse mit zwei- bis vierjährigen Rehen. Alles über fünf Jahren nennt man die Ernteklasse. Wie viel von welcher Klasse geschossen werden darf oder muss, wird von der Behörde in Abstimmung mit dem Revierinhaber bestimmt – und an das jeweilige Revier angepasst. „Wenn zum Beispiel ein Schutzwald nicht mehr wächst, wird behördlich angeordnet, mehr zu schießen.“Wie der Name vermuten lässt, gibt es in der Schonklasse meist wenig zu holen. Und niemals schießt man eine Geiß vor ihren Jungen. Wenn, dann immer zuerst das Kitz, dann die Geiß.
»Man imitiert mit einem Pfeiferl ein Weiberl, das nach einem Manderl lechzt.« Förster schütteln manchmal über Trophäenjäger den Kopf, »aber wir brauchen sie«.
Ohne Jäger, die Reviere pachten, wäre die Regulierung nicht möglich. „In Försterkreisen wird manchmal verächtlich über die Trophäenjäger gesprochen. Aber ich sage immer, wir brauchen sie, ohne sie könnten wir das nicht schaffen, sie zahlen ja auch.“
Wichtig sei den Bundesforsten, die Jagd zu ökologisieren, also möglichst naturnah zu arbeiten. Das Thema Füttern sei da so eine Sache. Immerhin fressen Rehe gern junge Triebe. Gibt es zu viele Rehe, können keine Bäume nachwachsen. „Früher hat man viel gefüttert, um Schäden zu reduzieren. Das hat aber nicht funktioniert, jetzt füttert man weniger.“Überhaupt sei der Wald ja kein Urwald, sondern vom Menschen reguliert. „Den Hirsch nennen wir König der Wälder, das stimmt aber nicht, den hat der Mensch dorthin gebracht. Er ist eher der König der halboffenen Parkflächen.“
Am nächsten Platz angelangt, versuchen wir erneut unser Glück. Völk wendet einen alten Trick an und