Kleine machen größte Angst
Nichts wirkt so bedrohlich wie das Heer der Viren. Sie haben Blutspuren gezogen, aber wir haben ihnen auch viel zu danken, vielleicht das Leben.
Zika heißt der jüngste Schrecken, er steht für ein Virus, das 1947 in Uganda auftauchte, später auch in Asien. Schaden richtete es keinen an, deshalb beachtete man es kaum, bis 2015: Da fiel es in Brasilien ein, infizierte Zehntausende, brachte Erwachsenen Fieber und manchen Babys Mikrozephalie, extrem kleine Schädel. Und es brachte Panik, die Olympischen Spiele in Rio gerieten in Gefahr, die Weltgesundheitsorganisation WHO rief den „internationalen Gesundheitsnotstand“aus (auch um die Scharte auszuwetzen, dass sie die viel gefährlichere Ebola-Epidemie in Afrika verschlafen hatte). Heute, ein Jahr darauf, ist Zika fast verschwunden, durch Herden-Immunität, rasch entwickelte Resistenz großer Bevölkerungsteile (Science 357, S. 631).
Dass diese kommen würde, war prognostiziert, aber dass es so rasch ging, hat Anthony Fauci, Chef der für Infektionskrankheiten zuständigen USBehörde NIAID, doch „beeindruckt“. Das Verschwinden liegt auch nicht an der Resistenz allein: Ärzte wiesen früh darauf hin, dass viele Diagnosen falsch waren – Zika-Symptome sind leicht mit denen anderer Viren zu verwechseln –, aber Zurückhaltung hat wenig Chancen, wenn irgendwo irgendetwas aus dem Dunkel der Wälder kommt. Dann werden die Schlagzeilen fett, so war das etwa 2005, als in China eine Vogelgrippe ausbrach, die die westliche Welt in derartige Panik versetzte, dass Private und auch ganze Staaten massenhaft ein Medikament bunkerten, das kaum wirkungsvoller ist als ein Placebo: Tamiflu (BMJ 348:g2545).
Dabei war die Vogelgrippe weniger eine reale Bedrohung und mehr eine in den Köpfen: Ihr Erreger – H5N1 – geht zwar leicht von Vögeln auf Vögel und auf Menschen, aber unter Menschen verbreitet er sich kaum. Den Grund hat Ruikang Tang (Hangzhou) nun gefunden: Bei uns hausen die Viren in der Lunge, bei Vögeln im Darm, und in diesem ist so viel Kalziumphosphat, dass sie sich damit umhüllen – wie mit Eierschalen –, just das macht das Andocken an und Eindringen in Wirtszellen einfacher (Angewandte Chemie, 18. 8.).
Wirte brauchen alle Viren, aus eigener Kraft können sie sich nicht vermehren, sie sind nur Genprogramme, die Anweisung zu ihrer Replikation und den Bau einer Hülle geben. Deshalb ist umstritten, ob sie Leben sind. Dass sie Leben auslöschen können, steht hingegen außer Zweifel, erstmals aktenkundig wurde das bei einem assyrischen Gericht, das einen Hundehalter verurteilte, weil ein Mensch an Bissen seines tollwütigen Tiers starb. Von dessen Aussehen bekamen sie später auch ihren Namen, das lateinische „Virus“übersetzt sich mit Schleim und Gift, auch mit Geifer. Den sah man früh an Hundemäulern, die Verursacher hingegen sind so klein, dass man erst 1893 auf sie stieß. Pocken. Um so erstaunlicher, dass hundert Jahre zuvor eine Strategie gegen eines der tödlichsten Viren gefunden wurde: Pocken. Dem Briten Edward Jenner war aufgefallen, dass Melkerinnen nicht erkrankten, er vermutete, sie seien durch ihren Kontakt mit Kuhpocken geschützt. Die injizierte er, es war der erste aller Impfstoffe, er wirkte, und mit einer verbesserten Version wurden die Pocken 1980 ausgerottet. Rätselhaft ist dieser Erfolg bis heute: Im Impfstoff von 1980 waren andere Pocken als die der Kühe: Im Lauf der Jahrhunderte gab es immer wieder neue Mixturen, Clarissa Damaso (Rio de Janeiro) hat gerade versucht, es zu rekonstruieren (Lancet Infectious Diseases, 18. 8.). Und David Adams (Alberta) hat im Labor – höchst riskant – das ausgestorbene Pockenvirus der Pferde nachgebaut, um dem alten Verdacht nachzugehen, Jenner habe damit geimpft (Sciencenow, 6. 7.).
Aber das Rätsel des Pockenimpfstoffs ist ein Nichts im Vergleich mit dem des Ursprungs der Viren insgesamt: Man weiß nicht, wann und wie sie entstanden sind, drei Hypothesen streiten, die „progressive“, die „regressive“und „virus first“: Erstere vermutet, dass DNA-Stücke, die im Genom herumspringen können – Transposons –, irgendwann die Fähigkeit erwarben, aus Zellen hinaus- und in andere hineinzugehen. Oder war der Ahn ein Plasmid? Das ist DNA, die zwischen Bakterien getauscht wird, für gewöhnlich ist sie nackt. Nun hat Susanne Erdmann (Sydney) jedoch in Bakterien in der Antarktis Plasmide gefunden, die Hüllen haben wie Viren (Nature Microbiology 21. 8.). Oder war alles umgekehrt? Die „regressive“Hypothese verweist darauf, dass manche Bakterien – Chlamydien etwa – so leben wie Viren, in Wirtszellen und nur dort. Aber entstanden sind sie aus frei lebenden Bakterien, die nach und nach Teile ihres Genoms abgelegt haben, so könnte es auch bei Viren gewesen sein.
Progression und Regression haben eines gemeinsam, sie brauchen Wirte. „Virus first“hingegen vermutet, Viren seien am Anfang des Lebens gestanden. Ganz zufrieden stellt keine der Hypothesen, es gibt zu viele verschiedene Viren, vielleicht sind sie auf allen drei Wegen gekommen. Aber sie waren schon lange da, als sie möglicherweise ein zweites Mal in unsere Ahnenreihe eingegriffen haben: Wenn ein Virus in eine Zelle dringt, dann tut es das mit exakt den molekularen Mitteln, mit denen bei vielen Lebewesen Spermien in Eizellen dringen, William Snell (University of Maryland) hat es bemerkt (Cell 168, S. 1). Haben Viren die sexuelle Reproduktion gebracht?
Entdeckt hat man sie erst 1893, aber hundert Jahre früher fand man eine Kur: Impfen. Stammt das Leben von ihnen? Der Sex? Fix ist, dass sie bei der Plazenta geholfen haben.
Zu unserer Fortpflanzung zumindest haben sie später Zentrales beigetragen: Vor 100 Millionen Jahren wurde mit Hilfe von Viren – bzw. einem ihrer Proteine: Syncytin – die Plazenta entwickelt. Diese Viren waren endogene Retroviren (ERVs), sie gehen nicht nur in Zellen hinein, sondern auch in deren Kern, das Genom. Dort bringen sie selten Segen wie Syncitin, ganz im Gegenteil, HIV ist ein Retrovirus, es kam von Affen. Schweine haben auch ERVs, diese dürfen nicht in Menschen kommen. Die Sorge davor hat eine seit Jahrzehnten angesteuerte Revolution der Transplantationsmedizin verhindert, die der Nutzung von Geweben und Organen von Schweinen für Menschen.
Man hat oft versucht, Schweine von ERVs zu befreien, zuletzt tat das George Church, Genetiker in Harvard und Gründer der Firma eGenesis: Dort wachsen die ersten heran, die mit der Gentechnikmethode Crispr ERV-frei gemacht wurden (Science, 10. 8.).