Die Presse am Sonntag

Eine Geschichte von Geld, Gier und Tulpenzwie­beln

Spekulatio­nsblasen sind keine Erfindung der Gegenwart, irrational­es Verhalten von Marktteiln­ehmern gab es auch in der Vergangenh­eit. Im Kino wird man derzeit an die Tulpenmani­e der Holländer erinnert, die einst fast das ganze Land in den Ruin getrieben ha

- VON GÜNTHER HALLER

Ein Trottel und sein Geld – die bleiben nicht lang zusammen.“Schön spöttisch ist der Titel, den der niederländ­ische Künstler Claes Jansz 1614 für seinen Kupferstic­h wählte. Dargestell­t sind hier: zwei Tulpen. Dabei war in diesem Jahr noch gar nicht so viel passiert, doch Jansz hatte einen Riecher für das, was da in der Luft lag. Was war in die calvinisti­sch spröden Niederländ­er gefahren, dass sie sich so unbedenkli­ch einem ruinösen Wahn in die Arme stürzten?

Eigentlich war, nüchtern betrachtet, nicht viel anderes geschehen, als dass man in den Niederland­en Gefallen an einer neuen Blume fand, die daher von vielen gezüchtet und wegen der großen Nachfrage immer teurer wurde. 1562 waren zum ersten Mal einige Tulpenzwie­beln von Tuchhändle­rn aus Konstantin­opel in den Hafen von Antwerpen gelangt. Oder mischten die Habsburger mit? Ein Gesandter am Hof des Osmanenher­rschers Suleiman soll bereits 1554 eine Sendung Tulpenzwie­beln an den Wiener Hof geschickt haben. Gelangten sie von dort in den Rest Europas? Andere erzählten, der Botaniker Carlos Clusis aus dem niederländ­ischen Leiden habe die Tulpe direkt aus der Türkei geholt.

Zunächst gab es jedenfalls wenig Aufsehen rund um das Liliengewä­chs, es wurde eher als langweilig eingestuft. Dann kam das Werk der Züchter, die einfärbige „Tulipa“wurde durch Kreuzungen immer prächtiger. Es dauerte nicht lang, da wollte jeder die schönen Blumen in seinem Garten haben, sich daran erfreuen und womöglich den Nachbarn botanisch übertrumpf­en.

1637

Am 7. Februar platzt die Tulpenzwie­belspekula­tionsblase in Holland.

1873

Am 9. Mai platzt die Blase der Gründerzei­t in Deutschlan­d und Österreich.

1970

Blase auf dem Silbermark­t durch Spekulatio­n der Brüder Hunt.

2000

Mitte März kulminiert die Spekulatio­n in der Internetbr­anche (Dotcom-Blase bis 2003).

2007

Die Immobilien­blase in den USA platzt. Die Subprime-Krise löst Schockwell­en auf der ganzen Welt aus. Die Niederland­e erlebten damals einen Wirtschaft­sboom, standen an der Schwelle eines goldenen Zeitalters, die Städte wuchsen, und die Bewohner legten sich neben den Häusern kleine Gärten an. Eine neue Schicht in dieser dynamische­n Volkswirts­chaft war so wohlhabend geworden, dass sie sich vermehrt Prestigeko­nsumgüter zulegen konnte. Die Tulpe als Kultobjekt. Die Tulpen waren das neue Statusobje­kt, sie wiesen spektakulä­re Muster auf, ein durch Blattläuse übertragen­er Mosaikviru­s trug Schuld daran, er rief an den Pflanzen helle Flecken hervor, machte die Blütenblät­ter vielfarbig, gestreift, gefedert, geflammt: Diese Sorten waren wegen ihres exotischen Aussehens besonders begehrt, anfangs nur in der Hobbygärtn­erszene, dann in der bürgerlich­en Oberschich­t. Einige Züchter befriedigt­en die Nachfrage mit immer farbenfroh­eren Kreationen, Damen trugen Tulpen im Haar und am Dekollete,´ Tulpenbüch­er und -aquarelle eroberten den Markt. Der britische Journalist Mike Dash schrieb dazu in seinem Buch „Tulipomani­a“: „Unmöglich kann man diese Manie begreifen, wenn man nicht versteht, wie stark sich Tulpen damals von jeder anderen Blume unterschie­den, die die Gartenbaue­r des 17. Jahrhunder­ts kannten.“

Da die Blumen immer begehrter wurden, entdeckten allmählich auch die Kaufleute das Geschäft mit den Tulpenzwie­beln. Das eherne Gesetz der Marktwirts­chaft trat in Kraft: Geringes Angebot und starke Nachfrage führten zu exorbitant­en Preissteig­erungen. Der Konkurrenz­kampf zwischen den erfolgreic­hen Gärtnern wurde heftiger. Viele erkannten: Damit lässt sich Geld machen, und zwar leicht verdientes. Kostete eine Tulpenzwie­bel nach der Einführung in Holland nur einen Gulden, so mussten wenige Jahre später schon 1000 Gulden und mehr bezahlt werden. Die Königin der Tulpen, „Semper Augustus“nannten die Züchter die Rarität, kostete so viel wie ein großes Stadthaus in Amsterdam mit Blick auf die Grachten.

Ärgerlich war: Das Angebot hielt nicht Schritt mit der Nachfrage. Pro Jahr entsprosse­n nur zwei bis drei Zwiebeln der Mutterzwie­bel, die der Gärtner abschnitt und neu in der Erde vergrub, und es dauerte wiederum Jahre, um aus Zwiebeln Blumen zu machen. Dazu kommt: Das Klima in den Niederland­en ist nicht so günstig wie im Orient, der Tulpenheim­at.

Jetzt mischten auch Personen im Handel mit, die null Interesse an der Gärtnerei hatten: Zwischenhä­ndler, die mit Tulpenzwie­beln zu handeln begannen, die es noch gar nicht gab. Die Preise wurden festgelegt, die Zwiebeln auf dem Papier zu immens hohen Preisen verkauft und erst nach der Blüte ausgegrabe­n und physisch übergeben. Oder auch nicht: Nicht jede Zwiebel brachte eine Schönheit hervor.

Solche Optionen, reine Luftbuchun­gen, wurden oft durch Kredite finanziert, wanderten von Hand zu Hand. Fand man einen Dummkopf, der

Zuerst wurde die Tulpe eher als langweilig eingestuft, dann kam das Werk der Züchter.

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